Politische Situation Defizite bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
Tor in der nigerianischen Hauptstadt Abuja
Einen demokratischen Machtwechsel erlebte das Land erstmals 2015, als Muhammadu Buhari zum Staatspräsidenten gewählt wurde. 2019 wurde er in einem umstrittenen Wahlprozess im Amt bestätigt. Nachdem der Urnengang äußerst kurzfristig verschoben worden war, lag die Wahlbeteiligung bei lediglich 36 Prozent. In politischer Hinsicht fehlt es an einem echten Parteienwettbewerb, funktionierenden gegenseitigen Kontrollen sowie an Transparenz und Rechenschaftspflicht. Insgesamt können die Wahlen in Nigeria bisher nur begrenzt als frei und fair gelten.
Die letzten Wahlen fanden im Februar 2023 statt. Bola Tinubu von der Regierungspartei hat mit 8,8 Millionen Stimmen die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Die zwei wichtigsten Gegenkandidaten Atiku Abubakar von der größten Oppositionspartei PDP sowie Peter Obi von der Labour-Partei erzielten laut Wahlkommission 6,9 Millionen beziehungsweise 6,1 Millionen Stimmen. Der Urnengang war größtenteils friedlich verlaufen. Viele Wahllokale hatten jedoch mit zum Teil sehr deutlicher Verspätung geöffnet. Verzögerungen und technische Probleme beeinträchtigten zudem das Hochladen der ausgezählten Stimmen auf eine zentrale Internetseite.
Zentrale Themen der Regierung Nigerias sind Sicherheit, Korruptionsbekämpfung und wirtschaftliche Reformen. Die Sicherheitslage hat sich seit 2019 stetig verschlechtert.
Außenpolitisches Engagement
Nigeria versteht sich als aufstrebendes Schwellenland (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) und übernimmt, wenn es um die Wahrung von Eigeninteressen geht, Verantwortung auf der weltpolitischen Bühne, zum Beispiel bei Militär- und Polizeioperationen der Vereinten Nationen. Nigeria ist das finanzierungsstärkste und größte Mitglied der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). Über Afrika hinaus ist Nigerias Friedensengagement jedoch, vor allem unter Präsident Buhari, zurückgegangen. Die Regierung stellt nur noch wenige Hundert Militär- und Polizeikräfte für UN-Einsätze bereit, nachdem Nigeria in den 1990er und 2000er Jahren eines der größten Entsendeländer war.
Als regionale Führungsmacht gestaltet es die Politik der Afrikanischen Union maßgeblich mit. Das Abkommen über die Afrikanische Freihandelszone (African Continental Free Trade Agreement, AfCFTA) hat Nigeria im November 2020 ratifiziert.
Außerdem setzt sich das Land für eine Stärkung der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) ein. Ziel ist eine Zusammenführung der Märkte der 15 Mitgliedsstaaten und ein gemeinsames Engagement in den Bereichen Konfliktvermeidung und Krisenbewältigung. Ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der Europäischen Union hat Nigeria als einziges ECOWAS-Mitglied bislang nicht unterzeichnet.
Menschenrechte
Die Menschenrechtssituation in Nigeria hat sich seit Ende der Militärdiktatur im Jahr 1999 verbessert. Dennoch ist der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor der Willkür der Staatsmacht nicht ausreichend gesichert. Menschenrechtsorganisationen kritisieren insbesondere den Umgang von Polizei und Streitkräften mit Menschen, die im Verdacht stehen, der Terrorgruppe „Boko Haram“ nahezustehen sowie den Umgang mit der schiitischen Minderheit und politischen Aktivistinnen und Aktivisten. Die Tötung dutzender friedlicher Demonstrierender bei den #EndSARS-Protesten gegen Polizeigewalt im Oktober 2020 zeigt, dass selbst bei friedlichem Protest aus der Mitte der Gesellschaft brutale Repression droht. Von Juni 2021 bis Januar 2022 sperrte die Regierung sogar landesweit den Zugang zu Twitter, was ein ECOWAS-Gericht im Juli 2022 als Verstoß gegen Nigerias Menschenrechtsverpflichtungen verurteilte.
In zwölf der nördlichen Bundesstaaten gilt das islamische Scharia-Recht. Zudem bleibt die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit von Millionen Menschen christlichen Glaubens in Nordnigeria beeinträchtigt. An der Todesstrafe hält Nigeria grundsätzlich fest.
Viele Frauen und Mädchen in Nigeria leiden unter geschlechtsspezifischer Diskriminierung und sexualisierter Gewalt. Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist die Zahl der Vergewaltigungen während der Corona-Pandemie massiv angestiegen. Ein wichtiger Schritt zum Schutz der Mädchen- und Frauenrechte erfolgte 2015: Die bis dahin weit verbreitete Praxis der Genitalverstümmelung (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) ist seitdem gesetzlich verboten. Obwohl die progressive Gesetzgebung mittlerweile in 28 von 36 Bundesstaaten in Kraft ist, sind Frauen weiterhin in hohem Maße häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung und Vergewaltigungen ausgesetzt.
Die rechtliche Gleichstellung von LSBTIQ+ (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) wird in Nigeria gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen werden strafrechtlich verfolgt. Auch die Rechte anderer benachteiligter Gruppen bleiben eingeschränkt. Menschen mit Behinderungen sind zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt, obwohl die 2018 in nigerianisches Recht übertragene Behindertenrechtskonvention starke Schutzvorgaben macht.
Eine Verfassungsänderung, die eine Mindestrepräsentation von Frauen im Parlament sowie Frauenquoten in Parteien vorsah, wurde im März 2022 mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.
Stand: 16.03.2023