Stand: 07.03.2023

Afghanistan

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 stürzte Afghanistan in eine dramatische sozio-ökonomische Krise. Die Corona-Pandemie und anhaltende Dürren verstärken einen beispiellos schnellen Kollaps der afghanischen Wirtschaft. In Afghanistan besteht eine der größten humanitären Notlagen weltweit.

Nach Angaben der Vereinten Nationen leben 97 Prozent der afghanischen Bevölkerung in Armut. Etwa 28 der 40 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben, sechs Millionen Menschen stehen am Rande einer Hungersnot. Millionen Kinder sind von schwerer Unterernährung und lebensbedrohlichen Krankheiten bedroht. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass 2023 allein für die Nahrungsmittelhilfe und die Unterstützung der Landwirtschaft Mittel in Höhe von 2,59 Milliarden US-Dollar erforderlich sind.

Die De-facto-Autoritäten verletzen massiv die Menschenrechte, insbesondere die Rechte von Frauen, Mädchen und Minderheiten, und verdrängen Frauen und Mädchen systematisch aus dem öffentlichen Leben. Die Vereinten Nationen bewerten diese gezielte Diskriminierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unter anderem ist Mädchen der Besuch von weiterführenden Schulen und Frauen der Besuch von Universitäten untersagt. Darüber hinaus ist es Frauen verboten, in Nichtregierungsorganisationen zu arbeiten, ohne männliche Begleitung zu reisen und öffentliche Plätze wie Parks zu besuchen. Die De-facto-Regierung Afghanistans wird international weiterhin nicht anerkannt.


Weiteres entwicklungspolitisches Engagement notwendig und möglich

Die afghanische Bevölkerung braucht dringend Unterstützung, um dem Zusammenbruch der Grundversorgung entgegenzusteuern. Die internationale Gemeinschaft ist sich einig: Humanitäre Hilfe reicht in dieser Situation nicht aus.

Regierungsfern bedeutet:

Das BMZ führt keine Regierungsverhandlungen mit der Taliban-Regierung, stimmt die Projekte nicht mit ihr ab und arbeitet in keiner Weise mit ihr zusammen. Dementsprechend erfolgen auch keine finanziellen Zusagen an das Taliban-Regime.

Das BMZ setzt seine Finanzmittel nur außerhalb des afghanischen Staatshaushalts ein, die Taliban haben keinen Einfluss auf Projektstandorte, Zielgruppen oder Partner.

Deshalb hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zwar nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 die staatliche bilaterale (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Afghanistan ausgesetzt – gleichzeitig wird aber die Unterstützung für die afghanische Bevölkerung regierungsfern und bevölkerungsnah fortgesetzt.

Das heißt, das BMZ verhandelt nicht mit Vertretern der Taliban-Regierung und arbeitet auch nicht anderweitig mit ihnen zusammen.

Aber: Deutschland lässt die afghanische Bevölkerung nicht allein.

Die Unterstützung des BMZ zielt darauf ab, die Basisversorgung aufrechtzuerhalten und damit zur mittel- und langfristigen Überwindung der humanitären Krise beizutragen. Die Umsetzung der entwicklungspolitischen Maßnahmen vor Ort erfolgt ausschließlich regierungsfern über die Weltbank (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen), UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen).

Der Schutz der Menschenrechte, besonders der Rechte von Frauen und Mädchen, ist zentral. Das BMZ-Engagement folgt daher dem Grundsatz „mit Frauen für Frauen“: Soweit Frauen in den vom BMZ finanzierten Programmen mitarbeiten und Frauen durch diese Programme erreicht werden können, setzt das BMZ das Engagement zum Erhalt der Basisversorgung fort.

Das deutsche Engagement

2021

Um die humanitäre Katastrophe abzumildern und einer Destabilisierung der Region vorzubeugen, hat Deutschland im Jahr 2021 600 Millionen Euro für humanitäre Hilfe, strukturbildende Übergangshilfe und Basisversorgung zur Verfügung gestellt. Diese Mittel wurden in Afghanistan selbst, aber auch in den Nachbarländern eingesetzt – unter anderem zur Unterstützung afghanischer Flüchtlinge und aufnehmender Gemeinden. Zu diesem Krisenpaket der Bundesregierung steuerte das BMZ 250 Millionen Euro bei.

2022

Im Jahr 2022 hat Deutschland 527 Millionen Euro für humanitäre Hilfe, strukturbildende Übergangshilfe und Basisversorgung in Afghanistan bereitgestellt. Davon stammen bis zu 195 Millionen Euro aus dem Haushalt des BMZ (115 Millionen Euro für technische (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) und finanzielle Zusammenarbeit (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen), bis zu 72 Millionen Euro für strukturbildende Übergangshilfe).

Die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen sind unverzichtbare Partner des deutschen Engagements in den Bereichen Ernährungssicherung, Bildung, Gesundheitsversorgung, psychosoziale Unterstützung, Beschäftigung und soziale Sicherung. Entscheidend ist, dass die Hilfe unmittelbar der afghanischen Bevölkerung zugutekommt und keine Mittel an die De-facto-Autoritäten fließen.

Symbolbild: Hörsaal in Deutschland
Entwicklungsministerin Svenja Schulze bei der internationalen Geberkonferenz des UN-Bildungsfonds „Education Cannot Wait“ (ECW) am 16. Februar 2023 in Genf

Prinzipien unseres Engagements

Das BMZ hat sich mit anderen Gebern auf grundlegende Prinzipien für das internationale Engagement in Afghanistan verständigt. Dazu gehören zum Beispiel das regierungsferne Vorgehen und der gleichberechtigte Zugang zur Unterstützung für Frauen und Mädchen.

Als die Taliban im Dezember 2022 ein Beschäftigungsverbot für Frauen in Nichtregierungsorganisationen verhängten, setzte das BMZ umgehend die meisten Vorhaben des bilateralen entwicklungspolitischen Engagements aus, um in enger Abstimmung mit anderen internationalen Gebern das weitere Vorgehen abzustimmen.

Die Bundesregierung verfolgt die Situation der Frauen und Mädchen in Afghanistan sehr aufmerksam und entscheidet je nach Entwicklung, ob eine Anpassung des Engagements erforderlich ist.

Ziele der deutschen Entwicklungspolitik in Afghanistan

Deutschland will auch in Zukunft sein Möglichstes tun, um die Lebensumstände der afghanischen Bevölkerung zu verbessern. Die Ziele der entwicklungspolitischen Maßnahmen sind daher die

  • Stärkung der Widerstandskraft (Resilienz (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen)) der Bevölkerung und Unterstützung der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts und die
  • Förderung von funktionsfähigen Strukturen und sozialem Zusammenhalt sowie die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage.

Das BMZ unterstützt in Afghanistan Projekte, die dazu beitragen, die menschlichen Grundbedürfnisse zu sichern. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den besonderen Bedürfnissen von Frauen und Mädchen sowie anderer benachteiligter Gruppen. Im Bereich der Ernährungssicherung wird beispielsweise der Anbau von trockenresistenten Arten und Sorten unterstützt. Es werden Küchengärten und Gewächshäuser in Schulen errichtet und Einkommensmöglichkeiten für Frauen im ländlichen Bereich geschaffen (Bienenhaltung oder Geflügelzucht).

Im Bereich Bildung werden unter anderem non-formale Qualifizierungsmaßnahmen für Frauen im Gesundheitsbereich angeboten, Lehrkräfte im Primarbereich fortgebildet (etwa zu Hygienemaßnahmen für Mädchen und zur Unterstützung traumatisierter Schülerinnen und Schüler) und der Betrieb von Schulküchen unterstützt.

Unterstützung für afghanische Binnenvertriebene und Flüchtlinge in den Nachbarländern

Bereits vor der Machtübernahme der Taliban war Afghanistan nach Syrien und Venezuela weltweit das drittgrößte Herkunftsland von Flüchtlingen. Die meisten afghanischen Flüchtlinge bleiben in der Region: Zurzeit leben rund 2,1 Millionen Afghaninnen und Afghanen in den Nachbarländern, vor allem in Pakistan und Iran. Etwa 3,4 Millionen Menschen, die aus ihren Heimatorten vertrieben wurden, haben in anderen Landesteilen Afghanistans Schutz gesucht.

Evaluierung und Forschung

Um für das zukünftige Engagement in fragilen Kontexten aus Erfahrungen zu lernen, werden die in der BMZ-Arbeit gewonnenen Erkenntnisse („Lessons Learned“) gezielt mit anderen Ministerien, den Durchführungsorganisationen (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) und zivilgesellschaftlichen (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) Partnern – auch aus der afghanischen Diaspora – sowie wissenschaftlichen Einrichtungen aufgearbeitet. Im April 2022 hat eine gemeinsame Evaluierung (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) der Arbeit des Bundesentwicklungsministeriums, des Auswärtigem Amts und des Bundesinnenministeriums in Afghanistan begonnen.

Darüber hinaus hat der Bundestag im Juli 2022 die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ eingesetzt. Sie wird das deutsche Engagement in Afghanistan im Zeitraum 2001 bis 2021 untersuchen und Erkenntnisse für die zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik gewinnen. Die Kommissionsmitglieder stützen sich dabei auf die Erfahrungsberichte von Sachverständigen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft beider Länder.