Straßenszene in Freetown Sierra Leone

Politische Situation Reformvorhaben nur mit internationaler Hilfe zu verwirklichen

Sierra Leone entwickelte sich seit Ende des Bürgerkriegs 2002 positiv, das politische System hatte sich stabilisiert. Seit 2021 sind jedoch demokratische Rückschritte zu verzeichnen, die sich seit August 2022 und insbesondere nach den Wahlen vom Juni 2023 verstärkt haben.

Trotz der Rückschläge durch die Corona-Pandemie versucht Präsident Julius Maada Bio, sein ehrgeiziges Regierungsprogramm fortzuführen. Wichtige Vorhaben sind unter anderem der kostenlose Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle, die Korruptionsbekämpfung, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Förderung privater Investitionen, eine Landrechtsreform und die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter. Es sind kleine Fortschritte zu verzeichnen, insgesamt gehen die Reformen aber nur langsam voran und haben bislang keine ausreichenden Verbesserungen für die Bevölkerung gebracht.

Die zukünftigen Entwicklungsziele der Regierung sind im Medium Term National Development Plan 2024–2030 zusammengefasst, im Mittelpunkt des Plans stehen Ernährungssicherung, Beschäftigung und Investitionen in die Menschen.

Zu den Entwicklungshindernissen zählen die weit verbreitete Korruption, das niedrige Bildungsniveau und die äußerst angespannte Finanz- und Wirtschaftslage. Um ihr Reformprogramm umsetzen zu können, ist die Regierung Sierra Leones auf umfangreiche Unterstützung von außen angewiesen. Die staatlichen Einnahmen reichen nicht aus, um die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

Außenpolitisch spielt Sierra Leone – im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten als Staat mit etwa 8,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern – eine aktive Rolle. Seit Januar 2024 hat das Land für die Dauer von zwei Jahren einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne. Sierra Leone fördert afrikanische Integrationsbemühungen, unterstützt afrikanische Anliegen innerhalb der Vereinten Nationen und engagiert sich für Konfliktverhütung und Friedenssicherung. Mit Sorge betrachtet die Regierung den zunehmenden religiös begründeten Fanatismus und Terrorismus in der Region Westafrika. Sierra Leone setzt sich für ein friedliches Nebeneinander der Religionen ein.

Menschenrechte

Die Menschenrechtslage in Sierra Leone ist zunehmend unbefriedigend. Es bestehen Mängel in der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Medienfreiheit, beim Schutz vor Willkür sowie bei den Rechten von Frauen, Kindern und Minderheiten. Auf der Rangliste der Pressefreiheit (Externer Link) der Nichtregierungsorganisation (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) Reporter ohne Grenzen belegte Sierra Leone 2023 Rang 74 von 180 bewerteten Ländern. Im Jahr zuvor hatte es noch Platz 46 eingenommen.

Positive Menschenrechtsentwicklungen sind die Abschaffung des Verleumdungsgesetzes, das die Pressefreiheit einschränkte, sowie die Aufhebung des Verbots des Schulbesuchs von schwangeren Mädchen. Im Juli 2021 stimmte das Parlament außerdem einstimmig für die Abschaffung der Todesstrafe.

Erhebliche Defizite sind noch immer bei den Frauenrechten zu verzeichnen. Viele Mädchen und Frauen in Sierra Leone sind von weiblicher Genitalverstümmelung (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) betroffen. Häusliche Gewalt, vor allem gegen weibliche Familienmitglieder, ist weit verbreitet. Die Verfassung lässt Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot, die mit Religion oder Gewohnheitsrecht begründet werden, ausdrücklich zu. Positiv zu bewerten ist, dass im August 2022 der Customary Land Rights Act verabschiedet wurde, der die Besitzrechte von Frauen und Mädchen stärken soll. Faktisch waren sie bisher von der Erbfolge ausgeschlossen.

Zusätzlich ist auch Gewalt gegen die LSBTIQ+ (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen)-Gemeinschaft ein anhaltendes Problem. Eine organisierte Zivilgesellschaft (Lexikon-Eintrag zum Begriff aufrufen) gibt es hauptsächlich in den größeren Städten. Dort nimmt sie aktiv am politischen Geschehen teil. In den ländlichen Regionen sind traditionelle Autoritäten die wichtigsten Entscheidungsträger.


Hintergrund Der Bürgerkrieg in Sierra Leone von 1991 bis 2002

Korruption und Misswirtschaft, Eliten, die sich an den Rohstoffen des Landes bereicherten, während ein Großteil der Bevölkerung in Armut lebte, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit unter den Jugendlichen, eine schlechte Bildungs- und Gesundheitsversorgung und eine ungerechte Landverteilung – all das waren Gründe für die Rebellenbewegung Revolutionary United Front (RUF), 1991 den bewaffneten Kampf gegen die Regierung Sierra Leones zu beginnen. Doch politische und soziale Ziele traten schnell in den Hintergrund, bald kämpfte die RUF vor allem um ihren Machterhalt und – unterstützt durch das benachbarte Liberia – um mehr Einfluss im illegalen Handel mit Rohdiamanten. Der Bürgerkrieg wurde mit äußerster Brutalität geführt, es kam zu massiven Menschenrechtsverletzungen.

Im Juli 1999 unterzeichneten die Rebellen und die Regierung ein Friedensabkommen, das jedoch zunächst nicht eingehalten wurde. Das offizielle Ende des Bürgerkrieges wurde im Januar 2002 verkündet. Eine umfangreiche UN-Friedensmission (UNAMSIL ) unterstützte die Regierung dabei, Kämpfer zu entwaffnen und wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission wurde eingesetzt, um die begangenen Verbrechen aufzuarbeiten. Ihr Abschlussbericht (Externer Link) enthält zahlreiche Reformvorschläge zur Überwindung der Konfliktursachen. Sie wurden bislang nur in Teilen umgesetzt.

Die Haupttäter wurden durch einen Sondergerichtshof (Special Court for Sierra Leone, SCSL (Externer Link)) auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Dieser verurteilte neun Angeklagte zu Haftstrafen zwischen 15 und 52 Jahren. Dazu gehört der ehemalige Präsident von Liberia, Charles Taylor, der wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und zu 50 Jahren Haft verurteilt wurde.

Der SCSL hat als erstes internationales Tribunal Personen wegen des Einsatzes von Kindersoldaten verurteilt sowie Zwangsverheiratungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Vergewaltigungen als Kriegshandlungen bewertet.

Stand: 26.03.2024