14. Oktober 2025 Laudatio der Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan zur Verleihung des FES-Menschenrechtspreis an die International Detention Coalition
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Frau Gottardo [Carolina Gottardo, Geschäftsführerin IDC],
liebe Frau Nairi [Dr. Asma Hedi Nairi, Regionalmanagerin Naher Osten und Nordafrika IDC],
lieber Herr Akbari [Hayat Akbari, Vorstandsmitglied der IDC],
lieber Martin [Martin Schulz, Vorsitzender der FES],
liebe Sabine [Dr. Sabine Fandrych, Vorstandsmitglied FES],
liebe Freundinnen und Freunde der FES,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor zehn Jahren wurde an der Küste vor Bodrum in der Türkei die Leiche des zweijährigen Alan Kurdi angeschwemmt. Das Bild ging um die ganze Welt. Es hat uns allen auf erschütternde Weise vor Augen geführt, wie wenig Menschenrechte bei Geflüchteten zählen. Wie brutal unser Anspruch an Menschenwürde damals gescheitert ist.
Jetzt, zehn Jahre später, dreht sich die Diskussion noch immer um Geflüchtete.
Aber anders als damals, als das Schicksal von Alan Kurdi die öffentliche Debatte für einen kurzen Moment aufgerüttelt hat.
Jetzt, zehn Jahres später, spielen die Menschenrechte von Geflüchteten für viele keine Rolle mehr.
Jetzt, zehn Jahre später, sprechen wir in Deutschland vor allem darüber, wie man die Zahl der Grenzübertritte am besten senken kann. Wir sprechen darüber, wie man möglichst viele Personen wieder in ihre Herkunftsländer zurückzuschickt. Auch indem die Haftmöglichkeiten bei Geflüchteten ausgeweitet werden – sogar für Familien mit Kindern. Das schockiert mich!
Die neuen Bestimmungen, die dazu letzte Woche im Bundestag besprochen wurden, sind wirklich schwierig. Sie schrappen hart an dem, was gemäß Kinderrechtskonvention erlaubt ist.
Und sie gehen zum Beispiel bei der Einführung von Abschiebehaft auch für Kinder – ganz ohne Not - über das hinaus, was EU-Recht fordert.
Wie aktuell über Geflüchtete diskutiert wird, und was entschieden wird, zeigt:
Es wird vergessen, dass es nicht Zahlen sind, um die es geht. Es geht um Menschen.
Menschen mit einer persönlichen Geschichte. Menschen, wie Sie und ich.
Menschen, die genau wie Sie und ich unveräußerliche Rechte haben.
Und es wird vergessen, dass Flucht eben nicht an der deutschen Grenze beginnt.
Es wird vergessen, warum Menschen aus ihrer Heimat fliehen. Warum sie alles aufgeben. Warum sie ihr Leben und das Leben ihrer Kinder riskieren. So wie es die Familie von Alan Kurdi getan hat.
Denn niemand setzt die eigenen Kinder in ein Boot, wenn das Wasser nicht sicherer ist als das Land. So steht es in einem Gedicht von Warsan Shire.
Derzeit wird an den deutschen Grenzen mit großem Aufwand kontrolliert, wer einreisen möchte. Doch damit behandeln wir nur ein Symptom – wenn überhaupt.
Denn die Gründe, warum Menschen fliehen, liegen woanders. Wer erfolgreich und langfristig verhindern will, dass Menschen fliehen müssen, muss an den Ursachen ansetzen. Das gilt für Menschenrechts-Aktivist*innen genauso wie für die Befürworter*innen einer restriktiven Asylpolitik. Und um die Ursachen anzugehen, braucht es internationale Zusammenarbeit.
Im Rahmen der deutschen Entwicklungspolitik arbeiten wir mit Herkunfts- und Aufnahmeländern zusammen, um die Menschenrechte von Geflüchteten zu gewährleisten.
Denn diese Menschen brauchen Schutz. Sie brauchen Unterstützung. Sie sind keine Verbrecher, die wir wegsperren müssen.
Unfassbar, dass man das überhaupt sagen muss, in einer Welt, in der sich die Länder doch eigentlich gemeinsam verpflichtet haben, die Rechte von Geflüchteten zu achten. So, wie sie es 1951 in der Genfer Flüchtlingskonvention festgeschrieben haben.
Und trotzdem werden diese Rechte überall immer wieder verletzt.
Die diesjährige Preisträgerin des FES-Menschenrechtspreises setzt sich genau dem entgegen:
Es ist mir eine große Ehre, heute die Laudatio für die International Detention Coalition zu halten.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung lenkt mit dieser Wahl den Blick auf eine Organisation, deren Arbeit und Engagement aktuell mehr denn je gebraucht wird:
Die IDC kämpft für die Rechte von Geflüchteten in Abschiebehaft. Sie erinnert uns daran, dass Menschenrechte für alle gelten müssen.
Gerade jetzt, wenn sich weltweit die Stimmung gegenüber Migrant*innen wieder verschlechtert. Wenn der Eindruck wächst, dass es politisch von Nachteil ist, sich für Geflüchtete und Migrant*innen einzusetzen.
Die IDC leistet hier Wesentliches: Sie zeigt machbare Alternativen zur Abschiebehaft auf. Alternativen, die die Menschenrechte von Geflüchteten schützen und Ordnung stärken. Lösungen, die rechtlich umsetzbar sind und auf Fakten basieren.
Überall auf der Welt rüttelt die IDC unermüdlich an Strukturen. Setzt sich ein für die Menschen, für die sich sonst niemand einsetzt.
Sie hält uns damit auch den Spiegel vor. Macht sichtbar, wo wir unserem eigenen Anspruch an Menschenrechte nicht gerecht werden.
Diese Mahnung sollte auch unser Leitbild in der deutschen Asyldebatte sein. Es geht um Ordnung. Und es geht um Menschlichkeit. Beide Prinzipien leiten sich aus dem Grundgesetz ab. Sie bilden das Fundament für eine gerechte und zukunftsorientierte Asylpolitik.
- Dazu gehört zum Beispiel, dass sich Geflüchtete in Deutschland jetzt eine dauerhafte Bleibeperspektive erarbeiten können. Das haben wir vor drei Jahren mit dem sogenannten Chancenaufenthaltsrecht möglich gemacht. Sie bekommen damit die Möglichkeit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Durch Arbeit und Einsatz für unsere Gesellschaft.
- Dazu gehört auch, dass Menschen in Deutschland schneller Integrationskurse machen und Jobs annehmen können. Dafür habe ich mich als Integrationsbeauftragte eingesetzt.
- Und dazu gehört, legale Migrationswege abseits vom Asylsystem zu schaffen. Dementsprechend haben wir das Fachkräfteeinwanderungsgesetz neu gestaltet. Auch die Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Partnerländern tragen dazu bei, legale Einwanderungsmöglichkeiten zu stärken. Und damit das Geschäftsmodell von Schleppern und Ausbeutern zu untergraben. Ein Geschäftsmodell, das die Menschenrechte mit Füßen tritt.
Seit Mai bin ich Entwicklungsministerin. Damit verantworte ich nun einen der Bereiche in der deutschen Politik, in dem ganz konkret etwas getan werden kann, damit Menschen nicht fliehen müssen. Und Menschen, die bereits geflohen sind, unterstützt werden, sodass sie nicht weiterfliehen müssen.
Zum Beispiel verbessern wir in Jordanien zusammen mit der der dortigen Regierung die Wasserversorgung für einen Großteil der Bevölkerung. Davon profitieren auch viele syrische Flüchtlinge, die nach Jordanien geflohen sind. Hier in diesem Raum muss ich das niemandem erklären: Wasser ist ein Menschenrecht und Grundlage jeder Existenz.
Auch im Sudan, wo eine der größten humanitären Krisen unfassbar viele Menschen in die Flucht getrieben hat, unterstützen wir mit der Entwicklungspolitik.
Es geht darum, Geflüchtete und Aufnahmegemeinden im Sudan und in den Nachbarländern mit dem Nötigsten zu versorgen. Von Wasser über medizinische Versorgung bis zu Bildung.
Es geht darum, den Menschen auch in schwersten Krisen ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Denn das ist keine Selbstverständlichkeit. Viele Länder in der Region leisten Großartiges dabei, die Menschen auf der Flucht aufzunehmen. Sie mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu versorgen. Aber zu häufig müssen die Menschen unter widrigen Bedingungen in Lagern leben. Sie sind damit ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe. Von Arbeit. Und oft genug auch von der Möglichkeit, das Lager überhaupt zu verlassen.
Hier setzt sich die IDC dafür ein, konkrete Lösungen zu entwickeln und die Regierungen von Verbesserungen zu überzeugen.
Denn egal ob in Deutschland, in Albanien oder im Sudan - Freiheit, Würde und eine faire Behandlung sind die wichtigste Grundlage, damit Menschen eine Zukunft für sich sehen.
Sich für ihre Rechte und ihre Entwicklungsperspektiven einzusetzen, ist Menschenrechtsarbeit im besten Sinne des Wortes.
Meine Damen und Herren,
Ich habe mit Alan Kurdi begonnen, der 2015 mit nur zwei Jahren auf dem Weg nach Europa gestorben ist. Für ihn hat sich damals niemand eingesetzt. Aber sein Tod hat etwas bewegt. Für Kinder, die wie er auf der Flucht sind, erheben jetzt Organisationen ihre Stimme.
Ganz vorne dabei: Die heutige Preisträgerin International Detention Coalition. Sie setzt sich für unzählige Kinder weltweit ein.
Zum Beispiel für Isabel aus Honduras, die als Geflüchtete ohne ihre Eltern in Mexiko inhaftiert wurde. Dank der IDC ist sie jetzt in einem Kinderschutzprogramm im Süden Mexikos. Das war möglich, weil die IDC darauf hingewirkt hat, dass die Abschiebehaft von Kindern in Mexiko endlich verboten wird.
Oder Aung aus Myanmar, der als Kind in Thailand ins Gefängnis kam. Er lebt jetzt in einer unterstützten Gemeinschaft – dank eines Memorandums of Understanding, das in Thailand für Kinder Alternativen zur Abschiebehaft vorschreibt. Dieses Memorandum hat die IDC maßgeblich mitbeeinflusst.
Und jetzt gerade kämpft die IDC für die Freilassung von Monica, die in den USA inhaftiert und von ihren Eltern getrennt wurde. Genauso wie für Amari, die seit über einem Jahr in Libyen in einer Zelle sitzt.
Für sie alle setzt sich die IDC ein. Denn:
Isabel, Aung, Monica, Amari. Diese Kinder verdienen Schutz, kein Gefängnis.
Dank der Detention Coalition bekommen sie eine kraftvolle Stimme.
Wir müssen ihnen zuhören.
Wir müssen auch diese Stimmen verstärken.
Bei all den unschönen Entwicklungen im Bereich Flucht und Migration ist das wirklich ein Lichtblick. Dafür bin ich der IDC und allen ihren Mitstreiter*innen dankbar!
Ihr Einsatz trägt dazu bei, dass wir unseren Anspruch an Menschenrechte nicht verlieren. Dass die Rechte von Menschen auf der Flucht geschützt werden und nicht aus dem Blickfeld geraten. Allen voran die Rechte von Kindern und Jugendlichen, die besonders gefährdet sind.
Der Arbeit der International Detention Coalition gilt meine größte Anerkennung und Respekt.
Ich gratuliere von ganzem Herzen zum Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung.