Hintergrund Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Ein junger Mann in Eastleigh, einem Vorort von Nairobi, Kenia

Ein junger Mann in Eastleigh, einem Vorort von Nairobi, Kenia

Ein junger Mann in Eastleigh, einem Vorort von Nairobi, Kenia

Häusliche Gewalt

Für sechs von zehn Kindern im Alter zwischen zwei und 14 Jahren – das sind etwa eine Milliarde Kinder – gehören körperliche Strafen laut einer Studie des Kinderhilfswerks UNICEF zum Alltag. In der Altersgruppe der Zwei- bis Vierjährigen sind sogar drei von vier Kindern regelmäßig physischer oder psychischer Gewalt durch Eltern oder andere Erziehungsberechtigte ausgesetzt. Etwa zehn Prozent der Kinder auf der Welt sind rechtlich nicht vor körperlicher Bestrafung innerhalb der Familie geschützt. Millionen Mädchen und Jungen unter fünf Jahren sind indirekt von häuslicher Gewalt betroffen: Sie leben mit einer Mutter zusammen, die von ihrem Lebenspartner misshandelt wird.

Auch in Bildungseinrichtungen sind Kinder mit Gewalt konfrontiert. Rund die Hälfte aller Kinder im Schulalter (732 Millionen) lebt in Ländern, in denen Prügelstrafen an der Schule nicht vollständig abgeschafft sind. Auch Mobbing an Schulen betrifft Kinder und Jugendliche überall: Weltweit hat jeder dritte Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren schon seelische Schikane und Quälerei durch Mitschülerinnen und Mitschüler erlebt.

Jugendliche: Opfer und Täter

In einem verlassenen Lagerhaus in Conakry, Guinea, spiele junge arbeitslose Männer Karten.
In einem verlassenen Lagerhaus in Conakry, Guinea, spiele junge arbeitslose Männer Karten.

Junge Menschen stellen in vielen Entwicklungsländern die Mehrheit der Bevölkerung, doch ihre Lebensumstände führen oft zu einer gesellschaftlichen Randstellung. Dadurch gehören Rechtsverletzungen und Gewaltkriminalität für viele Kinder und Jugendliche zum Alltag, wobei sie sowohl zu Tätern als auch zu Opfern von Gewalt werden. Armut, Perspektivlosigkeit, extreme soziale Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit, fehlende Anerkennung und mangelnde politische Teilhabe sind in vielen Fällen die Ursache für gewalttätiges Verhalten.

Vor allem in den städtischen Ballungsgebieten sind Täter und Opfer oft unter 30 Jahre alt. Die größte Tätergruppe bilden junge Männer – die auch am häufigsten Opfer von lebensbedrohlicher Gewalt in der Öffentlichkeit werden. Mädchen und junge Frauen sind dagegen vorrangig Opfer von weniger sichtbaren Formen der Gewalt wie sexueller und häuslicher Gewalt.

Lässt man Krisen- und Kriegsgebiete wie Syrien oder Afghanistan außer Acht, haben Jugendliche in Lateinamerika und der Karibik das höchste Risiko, getötet zu werden. 50 Prozent aller Morde an Kindern und Jugendlichen (10 bis 19 Jahre) werden dort verzeichnet. Besonders dramatisch ist die Lage in Venezuela, Kolumbien, El Salvador und Honduras.

Sexuelle Gewalt und Ausbeutung

Schülerin in einer Schule in Bangui, Zentralafrikanische Republik
Schülerin in einer Schule in Bangui, Zentralafrikanische Republik

Mädchen erfahren Gewalt oft allein aufgrund ihres Geschlechts: Körperliche und psychische Gewalt, sexueller Missbrauch, Zwangsheirat oder weibliche Genitalverstümmelung sind Beispiele. Etwa 15 Millionen Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren wurden nach Angaben von UNICEF in ihrem Leben bereits zu Geschlechtsverkehr gezwungen – meist kamen die Täter aus dem direkten persönlichen Umfeld. Zwölf Millionen Mädchen werden jedes Jahr vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet, besonders betroffen sind Mädchen in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara und in Südasien.

Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gibt es weltweit etwa 4,8 Millionen Opfer sexueller Ausbeutung in Form von Prostitution und Pornografie. 99 Prozent davon sind Mädchen und Frauen, etwa 20 Prozent der Opfer sind Kinder.

Die technischen Möglichkeiten des Internets und die Verbreitung der neuen Medien haben die Möglichkeiten für pädophile Täter erheblich erweitert. Auch die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Bereich Reisen und Tourismus hat dadurch zugenommen.

Sprach-Leitfaden

Titelblatt Terminologischer Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt

Terminologischer Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt

Dateityp PDF | Sachstandsdatum 08/2018 | Dateigröße 1 MB, Seiten 131 Seiten

Grooming, Sexting und Livestreaming sexuellen Missbrauchs – im Laufe des vergangenen Jahrzehnts sind neue Begriffe im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder aufgetaucht. Gleichzeitig sind Ausdrücke wie Kinderpornografie oder Kindesmissbrauch in die Kritik geraten, weil sie als nicht kindgerecht, die Opfer stigmatisierend oder als verharmlosend empfunden werden.

Um die Kommunikation mit und zwischen Kindern, Eltern, Regierungsvertreterinnen und -vertretern, Fachleuten und ehrenamtlich Engagierten so wirkungsvoll wie möglich zu gestalten, braucht es sprachliche Konzepte und Ausdrücke, die alle Beteiligten verstehen und respektieren. Auf Initiative der internationalen Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung (ECPAT) haben Sachverständige daher einen „Terminologischen Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt“ (Luxemburg Guidelines) erarbeitet.

Folgen der Corona-Pandemie

Schülerin in einer Siedlung für Flüchtlinge, Binnenvertriebene und einheimische Familien in Ouallam, Niger
Schülerin in einer Siedlung für Flüchtlinge, Binnenvertriebene und einheimische Familien in Ouallam, Niger

Überall auf der Welt sind Kinder durch die Schließung von Schulen und Hilfseinrichtungen infolge der Corona-Pandemie einem höheren Risiko von häuslicher Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Es wird geschätzt, dass bis zu 85 Millionen mehr Kinder weltweit infolge von Quarantäne-Maßnahmen Opfer physischer, sexueller und/oder emotionaler Gewalt sein könnten.

Schläge durch Eltern oder andere Angehörige haben sich nach Angaben der Kinderschutzorganisation World Vision um mehr als 40 Prozent erhöht. Experten erwarten, dass bis 2022 vier Millionen Mädchen als Folge der Pandemie zwangsverheiratet werden, da Familien- und Gemeinschaftsstrukturen durch die Krise zusammenbrechen und Eltern in akute Versorgungsnöte geraten.