25. Februar 2021 Rede von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zur Organisation und Unterstützung der globalen Covid-19-Bekämpfung vor dem Deutschen Bundestag

Es gilt das gesprochene Wort!
Eine Videoaufzeichnung der Rede finden Sie hier (Externer Link).
Eine druckbare Version der Rede (PDF 92 KB, barrierefrei) finden Sie hier (Externer Link).

Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Der Lichtblick heute: 600.000 Impfdosen sind in Ghana eingetroffen. Marokko ist schneller und weiter im Impfmodus als wir in Deutschland. Das ist der Lichtblick! Aber es sind nur fünf von 55 afrikanischen Ländern, die heute konkreten Zugang zu Impfdosen haben. Deshalb freue ich mich und bin dankbar für diese Debatte, Herr von Holtz, und auch für viele Impulse, die dieser Antrag liefert. Dahinter stecken echte Fachleute. Herzlichen Dank!

Standbild aus dem Video von Bundesminister Gerd Müller bei seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 25.02.2021
Standbild aus dem Video von Bundesminister Gerd Müller bei seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 25.02.2021

Covid-19 ist eine globale Pandemie, und das Virus besiegen wir nur weltweit oder gar nicht. Den Satz predige ich jetzt seit Monaten. Er ist noch längst nicht überall angekommen, weder in der Politik in Deutschland noch draußen in der Welt. Aber das müssen wir verstehen: Besiegen wir das Virus nicht weltweit, dann kommt es mit dem nächsten Flieger zurück.

Diese Pandemie ist eine Polypandemie. Was heißt das? Sie gefährdet Gesundheit, wirtschaftliche Entwicklung, Stabilität und Frieden. Die Ärmsten der Armen werden am härtesten getroffen und können sich am wenigsten schützen. Ich will diesmal mit Zahlen aufbereiten, damit uns klar wird, was in der Welt außerhalb Europas, wo die Sonne scheint, abgeht.

Der Tod durch das Virus: 2,5 Millionen Tote, zwei Drittel davon in Entwicklungs- und Schwellenländern, 170.000 Tote in Mexiko; ich greife mal Lateinamerika heraus. Der Zusammenbruch von Nahrungsmittel- und Medikamentenversorgung: Nach UN-Angaben voraussichtlich zwei Millionen Tote in diesem Jahr allein in Afrika, weil Medikamente gegen Aids, Malaria, Tuberkulose und so weiter fehlen.

Logo der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Polypandemie heißt auch: 150 Millionen Menschen zusätzlich kämpfen gegen Hungertod und Armut. 300 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern haben ihren Arbeitsplatz verloren – ohne Kurzarbeitergeld, ohne Unterstützung. Eine Milliarde Kinder – eine Milliarde Kinder! – kann heute, an diesem Tag, weltweit nicht zur Schule gehen.

Diese Wirtschaftskrise ist auch eine Finanzkrise, mit der wir uns die nächsten Monate auseinandersetzen werden. Überschuldung führt zu Destabilität und zu Staatsbankrott, Stichwort „Sambia“. Deshalb bedeutet diese Coronakrise auch eine Gefährdung der Sicherheit in vielen Bereichen. Ich habe Anfang der Woche mit den fünf Sahelstaaten darüber in einer Konferenz gesprochen.

Die Pandemie ist ein Weckruf an alle, an die internationale Gemeinschaft, die Schwächsten der Welt deutlich mehr zu unterstützen, als dies bisher erfolgt. Ja, jeder kann mit unterstützen. Die Unterstützung bleibt weit hinter dem zurück, was international notwendig wäre. Deutschland geht voran; das unterstreichen wir dick. Diese Debatte muss auch andere in Europa und in der Weltgemeinschaft mitreißen. Sie alle haben nahezu im Konsens, sage ich, das Corona-Sofortprogramm des BMZ in Höhe von vier Milliarden Euro aus dem Boden gestampft. Damit wird die Gesundheitsstruktur gestärkt, die Mittel fließen in Testkits, Labor, Forschung-, Wissenschaftsaustausch. Es ist schon was vorangekommen.

Die Kanzlerin hat letzte Woche eine zusätzliche Zusage von 1,5 Milliarden Euro für COVAX gemacht. Zentral wichtig! Die Amerikaner haben unter Joe Biden vier Milliarden US-Dollar zusätzlich angekündigt. Deutschland insgesamt – ich nenne auch die anderen Ministerien: Finanzministerium, Gesundheitsministerium, Forschungsministerium – stellt 2020/2021 zusätzlich 8,9 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Das ist schon eine Ansage.

Wenn dieser Ansage auch die europäischen Staaten, die EU und die internationale Staatengemeinschaft folgen würden, dann könnten wir das finanzielle Leck stopfen. Herr von Holtz, Sie haben das angesprochen: Um 20 Prozent der Menschen in den Entwicklungsländern Zugang zu Impfstoffen zu ermöglichen – 20 Prozent! –, fehlen nach jetzigem Stand 25 Milliarden Euro. Der Zugang zu Impfstoffen für die Ärmsten der Armen darf nicht an der Finanzierung scheitern.

Impfstoffe sind ein globales Gut. Die Lage ist so, dass 70 Prozent der weltweit verfügbaren Impfdosen – 70 Prozent! – sich Industriestaaten mit 16 Prozent der Weltbevölkerung gesichert haben. 70 Prozent der Impfungen erfolgen in den 50 reichsten Ländern. Ja, jeder denkt zunächst mal an sich selber. Aber ich sage noch mal: Das Virus wird zurückkommen. Es ist von Wuhan innerhalb von Wochen auf 195 Länder der Welt gesprungen. Deshalb können wir uns nicht isoliert davon freimachen. Es ist positiv hervorzuheben: Es passiert schon eine Menge, zum Beispiel das, was ich in Bezug auf Deutschland gesagt habe.

Ich bin auch erfreut – ich war vor Jahren noch skeptischer –: Die UN-Organisationen handeln entschlossen, zum Beispiel das Welternährungsprogramm. UNICEF ist in die Verteilung der Impfdosen integriert. UNDP, der Währungsfonds und die Weltbank verhindern den wirtschaftlichen Zusammenbruch vieler dieser Staaten. Die Weltgesundheitsorganisation, Gavi, COVAX sind einsatzfähig. Dr. Berkley wartet nur darauf, voranzugehen, Diagnostik aufzubauen, Impfkampagnen umzusetzen.

Die Grundstruktur in der Organisation ist vorhanden, um 20 Prozent der Menschen in den Entwicklungsländern 2021 zu impfen. Das wäre ein großer Schritt; denn das Durchschnittsalter beispielsweise in Afrika liegt bei 20 Jahren. Die Ausgangslage ist etwas anders als bei uns. Aber es fehlen diese 25 Milliarden Euro. Die heutige Debatte ist ein Aufruf an die EU: Es ist nicht mit 500 Millionen plus 500 Millionen Euro getan. Wenn nach innen ein 1.000-Milliarden-Euro-Recovery-Programm finanziert werden kann, dann muss COVAX mindestens auf Augenhöhe mit den Amerikanern unterstützt werden. Die G7, G20 sind aufgerufen, diese Lücken zu schließen.

Aus dieser Krise müssen wir auch die richtigen Konsequenzen ziehen, die ich nur kurz andeuten kann: Stärkung internationaler Zusammenarbeit, Ausbau der Weltgesundheitsorganisation zu einem Weltpandemiezentrum mit globalen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen, Zusammenführung der Wissenschaft und Forschung, Diagnostik weltweit – China, Russland, Indien, Afrika, Israel, Amerika.

Ich bestärke auch den Vorschlag von Guterres, das Potenzial für Impfstoffproduktion auch in den Entwicklungsländern, wie Sie es im Antrag dargelegt haben, Herr von Holtz, zu fördern, Technologietransfer und Lizenzproduktionen aufzubauen. Das ist zentral wichtig für die jetzige und für spätere Pandemien. Das ist nicht die erste und wird nicht die letzte Pandemie sein, die wir bekämpfen. Wir müssen für die Zukunft besser vorbereitet sein als jetzt. Wir brauchen dazu auch ein neues Verständnis des Miteinanders von Mensch, Tier und Natur. Das ist der One-Health-Ansatz.

Wo kommt das Virus her? Das wäre eine eigene Debatte, Stichwort „Ökosysteme“. Wie zerstören wir Ökosysteme? Wie treiben wir Soja- und Palmölpflanzen hinein in die Regenwälder und machen den Lebensraum für Tiere immer kleiner?

Wir sind uns einig – das findet sich auch in den Anträgen wieder –, dass die Produktionskapazität in Europa, in den USA nicht ausreichend ist. Vielmehr müssen wir die vorhandenen Kapazitäten in den Entwicklungs- und Schwellenländern nutzen. So ist beispielsweise Indien die Apotheke der Welt. Dort ist die grundlegende Infrastruktur vorhanden, und deshalb gibt es bereits Lizenzfertigungen von Produzenten mit indischen pharmazeutischen Unternehmen im ganz großen Stil. Das muss der Weg sein.

Wir im BMZ sind dabei, diese Potenziale abzufragen. Südafrika hat Möglichkeiten, Produktionspotenziale aufzubauen. Auch das Pasteur-Institut im Senegal hat eine Grundinfrastruktur, um Kapazitäten für die Impfstoffproduktion aufzubauen. Das geht nicht von heute auf morgen, und es geht nicht mit dem Zwang zur Freigabe von Patenten. Das gelingt nur in der Zusammenarbeit zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer und mit technologischer Unterstützung, mit Technologietransfer; auch dafür hat COVAX sein System vorbereitet. Ich sehe uns da auf einem guten Weg – er reicht aber noch nicht aus –, um die Kapazitäten in diesen Ländern grundständig, bodenständig zu entwickeln.

Grafische Darstellung des One-Health-Ansatzes: One Health steht im Mittelpunkt und hat Wechselwirkungen mit gesunden Menschen, gesunden Tieren und gesunder Natur.

Ich komme zum Schluss. Wir brauchen ein neues Verständnis in dem Sinne, dass wir nicht, wie jetzt, jeden Tag in Bezug auf das Virus in Hektik geraten, auf die Medikamente, auf die Impfung warten. Vielmehr müssen wir uns fragen: Wo kommen das Virus, die Bedrohung, die Pandemie her, und was müssen wir grundlegend ändern? – Es geht um ein neues Verständnis von Mensch, Tier und Natur; es geht um den Schutz der Biosphäre, den Erhalt der wertvollen Schutzgebiete Regenwälder durch einen One-Health-Ansatz.

Wir sind dem Antrag der Grünen an dieser Stelle schon voraus; denn wir haben vor drei Monaten eine Unterabteilung eingerichtet; Frau Staatssekretärin Flachsbarth – sie ist ausgebildete Veterinärmedizinerin – ist Sonderbeauftragte. Wir wollen diesen Bereich aufbauen und einen neuen Ansatz finden, die Arbeit von Humanmedizin, Veterinärmedizin, Landwirtschaft und Ökologie zusammenzudenken. Wir müssen Globalisierung und globale Lieferketten nachhaltig und gerecht gestalten; das ist eine der zentralen Antworten.

Vielen Dank.