Global denken, lokal handeln

Gastbeitrag von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, erschienen im „Bayerischen Bürgermeister | Zeitschrift für kommunale Selbstverwaltung“ Ausgabe 4 | 2021

Viele bayerische Kommunen übernehmen Verantwortung für die globalen Herausforderungen unserer Zeit, wie den Klimaschutz, faire Lieferketten oder Klinikpartnerschaften. Das Bundesentwicklungsministerium unterstützt Sie dabei nach Kräften. Wie genau, das stellen wir Ihnen hier vor.

Die Welt ist vernetzt wie nie zuvor: Der IT-Support für unser Laptop kommt aus Indien, Koltan für unsere Handys stammt aus dem Kongo und 90 Prozent unserer Kleidung wird in Südostasien genäht. Vor Corona waren täglich sieben Millionen Menschen mit dem Flugzeug unterwegs. Menschen, Güter, Dienstleistungen, Kapital und Wissen reisen in immer größerer Menge und Geschwindigkeit um die Welt. Die Globalisierung hat die Welt zu einem globalen Dorf gemacht, in dem wir alle verbunden sind.

Bis 2050 werden fast 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Neun von zehn davon in den heutigen Entwicklungs- und Schwellenländern. Jeder dritte Jugendliche wird in Afrika geboren sein – und dort vor allem in wachsenden Städten.

Weil die Weltbevölkerung wächst, steigt auch der Bedarf an Lebensmitteln, Energie, Wohnraum und Infrastruktur exponentiell. Wenn im Jahr 2050 dann fast 10 Milliarden Menschen in Würde und im Einklang mit der Natur leben wollen, dann müssen wir umsteuern. Nachhaltigkeit muss zum neuen globalen Leitbild werden. Aber selbst die großen Veränderungen fangen oft im Kleinen an: bei uns selbst, in der Familie, oder in den Gemeinden. Think global, act local – das ist das Motto.

Viele Kommunen gehen heute schon voran und setzen auf faire und nachhaltige Entwicklung. Auch im Austausch in ärmeren Ländern. Denn dort sind die Herausforderungen groß: 2,2 Milliarden Menschen leben heute ohne intakte Trinkwasserversorgung. Und noch immer werden weltweit 80 Prozent aller Abwässer ungefiltert in die Umwelt geleitet. Oder beim Abfall: Laut Schätzungen wird er bis 2050 um 70 Prozent wachsen, in städtischen Regionen Südasiens und Afrikas sogar um 100 Prozent! Dort fehlt häufig ein effektives Abfallmanagement. Der Müll wird nicht etwa durch kommunale Betriebe verarbeitet, sondern unter offenem Himmel verbrannt oder unkontrolliert entsorgt. Mit gravierenden Folgen für Mensch und Natur.

Oder nehmen sie den Klimaschutz – die Überlebensfrage der Menschheit. In Afrika haben 600 Millionen Menschen noch keinen Zugang zu Elektrizität. Der Energiebedarf wird sich bis 2030 verdreifachen. Wenn alle eine Steckdose auf der Basis von Kohle bekommen, müssten hunderte neue Kohlekraftwerke gebaut werden. So stoppen wir den Klimawandel nie! Die Länder und Kommunen vor Ort brauchen Unterstützung beim Ausbau erneuerbarer Energien. Afrika darf nicht der schwarze Kontinent der Kohle, sondern muss der grüne Kontinent der erneuerbaren Energie werden. Denn ohne Energie ist keine Entwicklung möglich, ohne Entwicklung keine Perspektive vor Ort.

Und so wie wir die Corona-Pandemie nur gemeinsam besiegen, kann die Welt diese globalen Herausforderungen auch nur gemeinsam bewältigen. Entwicklungszusammenarbeit ist heute nicht Politik für ferne Länder, sondern verantwortungsvolle Nachbarschaftshilfe im globalen Dorf.

Lokales Wissen ist überall wertvoll, Kommunen sind entscheidend für eine nachhaltige Zukunft. Keine andere Einheit ist so nah dran an den Nöten ihrer Bürgerinnen und Bürger. Zum Beispiel für die Versorgung mit Trinkwasser, Müllentsorgung, den Bau von Schulen, Kliniken oder Straßen. Kommunen stehen für Eigenverantwortung, dezentrale Entscheidungen und praktische Lösungen. Dieses Wissen und diese Erfahrungen sind ein Schatz, den wir für nachhaltige Entwicklung weltweit nutzen möchten. Darum fördert das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen kommunalen Praktikern aus Deutschland und anderen Ländern über den Service für Entwicklungsinitiativen „Engagement Global“.

Globale Nachhaltigkeitsziele lokal verankern

Unser Leitbild ist die „Agenda 2030“ der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (kurz SDGs – siehe Abbildung 1). Alle UNO-Mitglieder haben der Agenda 2030 in New York 2015 zugestimmt. Die Weltgemeinschaft will damit eine ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung fördern. Die 17 Ziele der Agenda – zu denen das Ende von Hunger und Armut, weniger Ungleichheit, Bildung, Gesundheit, Geschlechtergleichheit, Klimaschutz, saubere Energie und nachhaltiger Konsum gehören – sind für uns alle verbindlich.

Abbildung 1: Die 17 Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. 17 Logos mit Piktogrammen der einzelnen Ziele, ein weiteres Logo mit dem Text "Ziele für nachhaltige Entwicklung"

Abbildung 1: Die 17 Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen

Abbildung 1: Die 17 Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen

Den Kommunen kommt als erste politische Verwaltungseinheit eine starke Rolle bei der Agenda-Umsetzung zu. Ohne ihr Mitwirken sind zwei Drittel der SDGs nicht erreichbar: Ziel von SDG 11 ist es, in Städten und Gemeinden sicheren und bezahlbaren Wohnraum und öffentlichen Nahverkehr zu schaffen – sowie Ansiedlungen nachhaltig und inklusiv zu planen. Die Idee, allen Bürgerinnen und Bürgern die soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe zu ermöglichen, fußt also auf Solidarität und Partnerschaft: Niemanden zurücklassen – das ist, was lokal, regional und national zählt. Und auch global müssen wir jene Menschen auf dem Weg zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung mitnehmen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen. Das ist die beste Friedenspolitik und sichert nachhaltige Entwicklung.

Viele der circa 2.000 Kommunen in Bayern sind bereits um soziale und ökologische Nachhaltigkeitskriterien bemüht. Zum Beispiel in der öffentlichen Beschaffung und im Handel. Nachhaltig hergestellte und fair gehandelte Produkte sind die Pfeiler einer gerechten Globalisierung – damit schaffen wir die größten Entwicklungssprünge. Jede und jeder kann hier mitmachen und auf faire Produkte achten! In unseren Einkaufswägen entscheidet sich, ob sich Lebensbedingungen andernorts verschlechtern oder verbessern.

Bayerns Kommunen sind überdurchschnittlich engagiert

Ich freue mich, dass in den letzten Jahren immer mehr Gemeinden, Städte und Landkreise aktiv wurden. 2013 engagierten sich 25 bayerische Kommunen in der Entwicklungszusammenarbeit. Heute sind es siebenmal so viele. Herzlichen Dank! Sie übernehmen Verantwortung für unsere eine Welt. Das ist auch der Verdienst unserer ehrenamtlichen Botschafter für kommunale Entwicklungspolitik, wie Erlangens Alt-Bürgermeister Prof. Dr. Siegfried Balleis.

Ich möchte ein paar inspirierende kommunale Projekte erwähnen: Im Sommer 2020 beschloss die Stadt Augsburg, mit der jordanischen Stadt Ar-Ramtha zu kooperieren, um das kommunale Abfall-Managements auszubauen. Durch die große Not und fast 12 Millionen Flüchtlinge im seit 10 Jahren tobenden Syrien-Krieg hat sich die Einwohnerzahl auch in dieser Grenzstadt verdoppelt.

Auch die kleineren Allgäuer Gemeinden Amtzell, Markt Heimenkirch, Gestratz, Hergatz, Opfenbach und Kißlegg unterstützten im Rahmen der Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ libanesische Partnerkommunen bei der Versorgung von Flüchtlingen.

Die Metropolregion Nürnberg fördert fair gehandelte Produkte und hat im Sommer 2020 mit 68 Städten, Gemeinden und Landkreisen einen Pakt für nachhaltige Beschaffung geschlossen.

Seit letztem Jahr läuft das Projekt „Global Nachhaltige Kommune in Bayern“. So möchten wir Nachhaltigkeit als Querschnittsthema in alle Bereiche des kommunalen Handelns einführen. Vor wenigen Tagen startete testweise ein Umsetzungs-Monitoring mit der Stadt Aschaffenburg und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE).

Aus der Idee von Landrat Stefan Rößle aus Donau-Ries für den Bau einer Schule in Namibia ist in bestechendem Tempo die Gemeinschaftsinitiative „1.000 Schulen für unsere Welt“ der drei kommunalen Spitzenverbände erwachsen: Dieser Initiative sind beispielweise viele neue Schulen in Togo oder Kongo zu verdanken. Denn Bildung ist der Schlüssel für beruflichen Aufstieg, persönliche Entwicklung und ein selbstbestimmtes Leben!

Unsere Unterstützung für engagierte Kommunen

Kommunale Zusammenarbeit ist elementar für die Umsetzung der Agenda 2030 vor Ort. Darum hat das BMZ die Förderung seit 2014 auf 38 Millionen Euro verachtfacht. Zentrale Anlaufstelle für kommunales Engagement rund um Nachhaltigkeit, globale Gerechtigkeit und internationale Partnerschaft ist die „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ (SKEW) unter dem Dach von „Engagement Global“. Die SKEW berät Kommunen zu vier Handlungsfeldern.

  • Kommunale Partnerschaften
    Das Programm „Kommunale Partnerschaften“ dient zur Vermittlung, zum Aufbau und zur Pflege von Beziehungen und Projekten mit Partnerkommunen. Dabei gibt es länder- und regionenbezogene Partnerschaften wie die Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ und themenbezogene Kooperationen. Darüber hinaus unterstützt die SKWE im Rahmen der Klinikpartnerschaften die Vernetzung von Kommunen und kommunalen Krankenhäusern aus Bayern mit Partnerkliniken in Afrika, um die Patientensicherheit und Mutter-Kind-Gesundheit zu verbessern.
    Weiteres unter www.klinikpartnerschaften.de (Externer Link)
    Weitere Beispiele sind die Klimapartnerschaft zwischen der tansanischen Großstadt Mwanza und Würzburg oder die Plattform „Connective Cities“, welche Akteure aus 84 Ländern und 650 Kommunen zu vielseitigsten Fachthemen vernetzt und einen Einstieg in die Auslandsarbeit bietet.
  • Global Nachhaltige Kommune
    Die SKEW berät Kommunen beim bundesweiten Programm „Global Nachhaltige Kommunen“, die Agenda 2030 bei sich zu Hause mit Leben zu füllen – das heißt: im eigenen Alltag sozialer, ökologischer und inklusiver zu werden. Die SKEW berät Kommunen und hilft bei Bestandsaufnahmen, Studien sowie Informationsveranstaltungen für lokale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitspolitik. Denn jede Kommune, aber auch jedes Unternehmen und jeder Einzelne kann etwas tun. Zum Beispiel können Kommunen mithilfe der Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima ihre eigenen CO2-Emissionen reduzieren und gleichzeitig Klimaschutzprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern fördern, die dort die wirtschaftliche Entwicklung stärken, die Lebensumstände verbessern und die Umwelt schützen.
    Mehr unter: www.allianz-entwicklung-klima.de (Externer Link)
  • Fairer Handel und faire Beschaffung
    Pflastersteine, Uniformen, Papier – jährlich geben Bund, Länder und Kommunen rund 500 Milliarden Euro für öffentliche Beschaffung aus. Ein riesiger Hebel, um nachhaltig produzierte Waren (Beispiel Textilsiegel Grüner Knopf) und fairen Handel zu fördern. Die öffentliche Hand kann dank dieser Wirtschaftsmacht zum Vorbild werden, indem sie fair einkauft und auf Produkte und Güter verzichtet, die durch den Bruch sozialer und ökologischer Mindeststandards hergestellt werden
    (siehe www.kompass-nachhaltigkeit.de (Externer Link)).
    Die SKEW unterstützt mit Fachwissen und Vergabeberatung. Ihr zur Seite steht das „Netzwerk faires Beschaffungswesen“ und für den bundesweiten Wettbewerb „Hauptstadt des fairen Handels“ können sich interessierte Kommunen noch bis zum 2. Juli bewerben. 2019 gewann Neumarkt in der Oberpfalz den Titel und freute sich über 200.000 Euro Preisgeld.
  • Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Kommunen
    Bürgerbeteiligung, gute Verwaltung, Stadtentwicklung und Daseinsvorsorge – an diesen Ansprüchen müssen sich Kommunen weltweit orientieren. Sie verdienen Unterstützung: Deutsche Kommunen haben hier ein besonderes Fachwissen, das über internationale Vernetzung entwicklungspolitisch in Wert gesetzt wird. Zudem engagieren sich viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland – sie kennen Anspruch und Wirklichkeit am besten. Die SKEW unterstützt Kommunen, die hier auf bewährte Mittel setzen und neue Wege gehen. Zum Beispiel mit Dialogrunden, wie beim Netzwerk „Migration und Entwicklung“, Studien oder dem Wettbewerb „Kommune bewegt Welt“. Das fördert die interkulturelle Kompetenz unserer Verwaltungen und macht das Know-how von Zugewanderten sichtbar.

Förderinstrumente

Was wird gefördert?

Art der Förderung

Kleinprojektefonds

Einstiegshilfen, zum Beispiel für Delegationsreisen und Projekte in der deutschen Kommune

Bis zu 90-prozentiger Zuschuss von 1.000 Euro bis maximal 50.000 Euro innerhalb eines Kalenderjahres (maximal 12 Monate)

Nachhaltige Kommunalentwicklung durch Partnerschaftsprojekte (Nakopa)

Bilaterale Projekte von bis zu 3 Jahren Dauer für nachhaltige Daseinsvorsorge, gute Regierungsführung, Klimaschutz, Klimaanpassung

Bis zu 90 Prozent Zuschuss für entwicklungspolitische Vorhaben von 50.000 Euro bis 500.000 Euro

Koordination kommunaler Entwicklungspolitik in Deutschland

Förderung von Personalstellen in der deutschen Kommune

Bis zu 90 Prozent Zuschuss, Förderzeitraum: 24 Monate mit Verlängerungsoption

Fachkräfte für kommunale Partnerschaften weltweit

Förderung von Personalstellen in der Partnerkommune

Förderzeitraum: 24 Monate mit Verlängerungsoption

Finanzielle Förderung der SKEW

Kommunen können für ihre Projekte bei der SKEW finanzielle und personelle Unterstützung beantragen. Dies umfasst Einstiegsfinanzierungen in Höhe von 1.000 Euro von bis zu 250.000 Euro und einer Laufzeit von wenigen Monaten bis zu drei Jahren. Zusätzlich stehen Mittel für Personalstellen im In- und Ausland zur Verfügung (siehe Tabelle). Mehr auch unter: https://skew.engagement-global.de (Externer Link)

Mitmachen: Lokal handeln, lokal wirken muss Normalität werden

Egal wie klein oder groß, ob zu Hause oder im Ausland: Unsere Landkreise, Städte und Gemeinden waren schon immer Pioniere des Wandels und die Praktiker der Gegenwart. Sie haben direkten Kontakt mit den Menschen, sind selten um eine Lösung verlegen und verstehen die lokalen Herausforderungen am besten. Darum arbeiten wir daran, dass kommunale Entwicklungspolitik mehr und mehr selbstverständlich wird. Wir sind eine Welt. Und jede Kommune in Deutschland hat das Zeug dazu, diese Welt etwas besser zu machen: Lokal handeln, global wirken!

Anfang dieses Jahres engagieren sich schon über 960 Kommunen in Deutschland bei Programmen der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit – fast viermal so viele wie noch 2013 bei meinem Amtsantritt. Ich bin mir sicher, dass es bis zur Bundeskonferenz der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit im Sommer 1.000 sein werden. Denn gerade unsere Gemeinden aus Bayern setzen sich überdurchschnittlich ein! Darum lade ich alle bayerischen Kommunen ein. Werden sie aktiv und engagieren sie sich für unser globales Dorf.