22. Mai 2025 Rede von Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan beim Afrikatag
Deutsche Übersetzung | Es gilt das gesprochene Wort! Die Originalrede in englischer Sprache finden Sie hier.
Exzellenzen,
Mitglieder des Bundestags,
verehrte Gäste,
und vielen Dank an Sie, Botschafter Alaoui, sowie an Herrn Peiß, dass Sie heute unsere Gastgeber sind.
In der Debatte zur Zukunft der deutschen Entwicklungspolitik mit Bundestagsabgeordneten in der vergangenen Woche ging es vor allem darum, dass Entwicklungspolitik und internationale Zusammenarbeit von Werten und Interessen geleitet sein sollten.
Freiheit, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Würde – das sind die Werte, auf die es dabei ankommt. Und das sind die Werte, denen sich die Organisation für Afrikanische Einheit in ihrem Gründungsdokument im Jahr 1963 verschrieben hat.
Und genau so verstehe ich internationale Zusammenarbeit, so verstehe ich Entwicklungspolitik. Es geht nicht ums Durchsetzen eigener Werte und Interessen. Es geht um geteilte Werte und gemeinsame Interessen.
Daher ist es mir eine Ehre, dass einer meiner ersten offiziellen Termine als neue deutsche Entwicklungsministerin das heutige Treffen mit Ihnen ist – mit den Botschafter*innen der afrikanischen Länder. Denn Sie sind wichtige Partner für Deutschland – heute mehr denn je.
In einer Welt, in der Ungleichheiten in den Gesellschaften immer größer werden, in der Konflikte und Krisen zunehmen und sich die negativen Auswirkungen der Klimakrise verschärfen – und zwar gerade für die Menschen und in den Regionen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben – in einer solchen Welt brauchen wir mehr, nicht weniger internationale Zusammenarbeit. Und wir brauchen starke internationale Institutionen.
Es ist daher die richtige Entscheidung der neuen Bundesregierung, weiterhin eine starke und unabhängige Entwicklungspolitik zu verfolgen. Wir wollen der Welt ein wichtiges Signal senden: das Signal, dass Isolation und Abschottung nicht gewinnen. Dass Deutschland ein verlässlicher und vertrauenswürdiger Partner bleibt. Und dass Deutschland sich weiterhin für multilaterale Lösungen und stabile Partnerschaften einsetzt.
Es ist aber auch klar, dass sich die deutsche Entwicklungspolitik anpassen muss, an den sich verändernden geopolitischen und innenpolitischen Kontext. Nur dann ist sie so stark und wirksam, wie es in der jetzigen Situation notwendig ist.
Wie genau passen wir die Entwicklungspolitik an?
Als neue Ministerin ist es jetzt meine Aufgabe, diese Frage zu beantworten.
Und darum höre ich gerade sehr genau zu, stelle Fragen und führe Gespräche. Mit internationalen Partnern und mit Ihnen heute hier. Mit Wissenschaftler*innen, mit Expert*innen aus der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, aus Deutschland, Europa und dem Globalen Süden.
Eins kann ich Ihnen – auch nach nur zwei Wochen im Amt – bereits jetzt versichern: Die Zusammenarbeit mit unseren afrikanischen Partnern wird künftig eine zentrale Rolle spielen.
Es ist eine Frage von Solidarität. Die Frage, was es braucht, um für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zu sorgen. Was es braucht, um Frieden und Sicherheit zu erreichen.
Als Bundesregierung setzen wir auf eine integrierte Sicherheitspolitik, die Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik zusammendenkt.
Wir wollen uns gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern für Stabilität auf unserem Nachbarkontinent einsetzen.
Ein besonderer Fokus sollte auf dem Horn von Afrika liegen. Ich muss Ihnen nicht erklären, in welcher Situation sich die Menschen dort befinden – die Expert*innen sitzen hier unter uns. Aber aus meiner Sicht ist Stabilität in dieser Region fundamental wichtig – nicht nur für die Menschen und ihre Sicherheit, sondern auch für den EU-Außenhandel. Jeder dritte Container, der in die Europäische Union importiert wird, kommt über das Rote Meer, vorbei am Horn von Afrika. In dieser Region befindet sich kritische Infrastruktur. Als Exportnation hat Deutschland ein hohes Interesse daran, sich hier zu engagieren und zu Frieden und Sicherheit in der Region beizutragen.
Hier braucht es ein strategisches Vorgehen – gemeinsam mit unseren afrikanischen, europäischen und internationalen Kolleg*innen.
Im neuen Koalitionsvertrag verpflichtet sich die deutsche Bundesregierung zu einer Afrikapolitik, die dem strategischen Stellenwert Afrikas gerecht wird, und insbesondere dazu, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren.
Wir wollen langfristige Wirtschaftspartnerschaften fördern, insbesondere im Energiesektor. Unser Ziel ist es, Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung stärker zusammenzubringen. Momentan erarbeiten wir die Details, um dieses Ziel zügig und effektiv zu erreichen.
Klar ist: Internationale – und wirtschaftliche – Beziehungen funktionieren nur dann langfristig, wenn sie auf Partnerschaft, Respekt und Gegenseitigkeit beruhen.
Dazu gehört, dass wir unsere Arbeit an den afrikanischen Institutionen und Initiativen – insbesondere der Agenda 2063 der Afrikanischen Union „The Africa We Want“ – ausrichten.
Dazu gehört, dass wir unsere jeweiligen Interessen abgleichen.
Und dazu gehört, dass wir uns für Veränderungen in globalen Strukturen und internationalen Institutionen einsetzen, damit afrikanische Länder angemessen vertreten sind.
Der Koalitionsvertrag bekennt sich auch zur Aufarbeitung von Deutschlands Kolonialgeschichte – ein Ziel, das ich voll und ganz unterstütze.
Weil es richtig ist.
Und auch weil: Nur wer Afrikas Erfahrungen mit Kolonialismus, Versklavung, Imperialismus und Stellvertreterkriegen anerkennt, wer Verantwortung für die eigene Geschichte übernimmt, und wer sich in Afrika nicht bloß engagiert, um Chinas oder Russlands Einfluss etwas entgegenzusetzen, der wird echte Partner auf dem Kontinent finden.
Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen, um zu verdeutlichen, wie wir auf der Basis von gegenseitigem Interesse, Respekt und Partnerschaft zusammenarbeiten.
Zunächst die Kooperation zwischen Ghana und Deutschland im Bereich der Berufsbildung. Zusammen mit Akteuren aus dem Privatsektor aus beiden Ländern investiert die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in die berufliche Aus- und Weiterbildung. So werden junge Menschen für den lokalen Arbeitsmarkt fit gemacht – und für mögliche Jobs im Ausland. Das Ziel? Brain Waste zu vermeiden und den Menschen Perspektiven zu geben, im Heimatland oder im Ausland: „Brain Gain statt Brain Drain“.
Das zweite Beispiel ist die Zusammenarbeit namibischer und deutscher Partner im Bereich grüner Stahl, der unter Verwendung von grünem Wasserstoff hergestellt wird. Die Initiative schafft Arbeitsplätze in Namibia, stärkt die lokale Wirtschaft und verringert Namibias Abhängigkeit von Kohlestromimporten. Sie bringt Privatsektor und öffentliche Stellen aus beiden Ländern zusammen. Auf deutscher Seite sind sowohl das Wirtschafts- als auch das Entwicklungsministerium daran beteiligt – das BMZ fördert die Aus- und Weiterbildung, das BMWE finanziert die Anlage. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung sinnvoll verzahnt werden können.
Die beiden Initiativen machen deutlich, welche Chancen gezielte Investitionen eröffnen können. Und davon wir brauchen mehr.
Damit Afrika sein immenses wirtschaftliches Potenzial voll ausschöpfen kann, sind Investitionen erforderlich – insbesondere mit privatem Kapital. Es muss gelingen, öffentliche und private Ressourcen zu kombinieren. Öffentliche Mittel können ein Katalysator sein, Finanzierungskosten senken und Risiken verringern – sowohl die realen als auch die auf dem afrikanischen Kontinent wahrgenommenen Risiken. Aber damit nachhaltige Entwicklung wirklich gelingt, ist privates Kapital essenziell – gerade in Zeiten, in denen die öffentlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zurückgefahren werden.
Die geopolitische Unsicherheit hat jedoch ein schwieriges Investitionsklima geschaffen. Wir beobachten weltweit einen zunehmenden Protektionismus und Fokus auf nationale Eigeninteressen – und dies erschüttert die Fundamente der internationalen Wirtschafts- und Handelspolitik und führt zu wachsender Unsicherheit. Militärische Konflikte und Klimawandel erhöhen zudem die Investitionsrisiken.
Deutsche Direktinvestitionen in afrikanischen Ländern machen auch heute noch weniger als ein Prozent der weltweiten deutschen Investitionen aus – konkret sind das 12 Milliarden von 1,6 Billionen Euro. Und diese Investitionen sind nicht sehr diversifiziert: Sie konzentrieren sich auf das südliche und nördliche Afrika und auf den Textil- und Landwirtschaftssektor.
Doch Afrika ist vielfältig und bietet deutlich mehr Chancen für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Im Koalitionsvertrag ist deshalb festgelegt, dass exportorientierte und investitionsbereite Unternehmen bessere Finanzierungsmöglichkeiten und Risikoabsicherungen erhalten.
Wir modernisieren und erweitern dazu den Garantierahmen für die Absicherung von Krediten. Und wir verzahnen die Außenwirtschaftsförderung und die Entwicklungszusammenarbeit mit einer gemeinsamen Anlaufstelle für den deutschen Privatsektor.
Wir wollen das komplexe System der Förderprogramme vereinfachen und dafür sorgen, dass die Programme für Unternehmen leichter zugänglich sind.
Um mehr privates Kapital für nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren, bauen wir auf die Plattform auf, die von der vorherigen Ministerin Svenja Schulze und weiteren Partnern initiiert wurde. Die Plattform bringt öffentliche und private Investitionen durch standardisierte Finanzprodukte wirksamer zusammen.
Auf globaler Ebene zusammenzuarbeiten, um gemeinsam Lösungen zur Stärkung der Entwicklungsfinanzierung zu finden, ist eins der Ziele der zweiten Hamburg Sustainability Conference des BMZ im Juni. Das fließt auch in die Financing for Development Conference in Sevilla im Juni ein, an der ich teilnehmen werde.
In Afrika zu investieren, heißt, in die Zukunft investieren. Es ist eine strategische Entscheidung – für Wohlstand in Afrika und in Europa, für Stabilität und für gemeinsame Stärke.
Was wir jetzt brauchen, ist ein entschlossener Schritt nach vorn: hin zu einer fokussierteren wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Aber Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Sondern muss im Dienst der Menschen stehen – ihre Lebensbedingungen, Chancen und Perspektiven verbessern. Und das geht nur gemeinsam.
Ich möchte mich gemeinsam mit afrikanischen Partnern für gleichberechtigte Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft einsetzen, insbesondere von Frauen und Mädchen, denn wir können 50 Prozent der Bevölkerung nicht einfach zurücklassen.
Ich möchte mit afrikanischen Partnern an den globalen Herausforderungen arbeiten – dem Klima- und Biodiversitätsschutz, der Anpassung an den Klimawandel, der globalen Gesundheit und Pandemiebekämpfung, Frieden und Sicherheit, und gemeinsamen Standards für Digitalisierung, einschließlich KI, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Wie machen wir das?
Durch unsere Zusammenarbeit in internationalen Gremien: mit den Vereinten Nationen – die Deutschland weiterhin verlässlich unterstützen wird und sich dafür einsetzt, dass Afrika im VN-System – und auch im VN-Sicherheitsrat – stärker repräsentiert ist – mit der Afrikanischen Entwicklungsbank und mit der Weltbank, deren Reform ich weiterhin vorantreiben werde.
Durch die G20, der die AU vor zwei Jahren beigetreten ist und deren Vorsitz derzeit Südafrika innehat.
Durch unsere starken, von gegenseitigem Vertrauen geprägten bilateralen Kooperationsprogramme, die natürlich eine zentrale Säule unserer Entwicklungszusammenarbeit bleiben werden.
Selbstverständlich auch durch europäische Initiativen wie Global Gateway.
Und last but not least: Durch eine stärkere Einbindung von Diaspora-Organisationen hier in Deutschland, denn ihre Perspektive ist für unsere Arbeit extrem wertvoll. Ich hoffe, dass ich bald die Gelegenheit haben werde, einige dieser Organisationen zu treffen.
Wenn unsere beiden Kontinente zusammenarbeiten, wenn europäische und afrikanische Länder gemeinsam wirtschaften, können sie gemeinsam die Zukunft gestalten.
Die AU-EU-Ministertagung, die gerade in Brüssel stattgefunden hat – beziehungsweise immer noch stattfindet – zeigt den Willen, sich zu engagieren und zusammenzuarbeiten.
Wir stehen an einem Punkt, an dem Europa und Afrika mehr sein können als Partner – gemeinsam können wir einen neuen wirtschaftlichen und politischen Standard aufbauen, der sich auf Respekt, Offenheit und Gegenseitigkeit gründet.
Es ist an der Zeit, den alten Blick aufeinander abzulegen – und in eine neue, gemeinsame Ära aufzubrechen.
Als deutsche Entwicklungsministerin werde ich mich zusammen mit Ihnen dafür einsetzen.
Vielen Dank.