26. Juni 2025 Rede von Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan anlässlich der Aktuellen Stunde zum Nahen Osten im Bundestag

Standbild: Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan bei ihrer Rede im Bundestag am 26. Juni 2025

Es gilt das gesprochene Wort!
Eine druckbare Version der Rede (PDF 77 KB, barrierefrei) finden Sie hier (Externer Link).

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte Ihnen von Ahmad erzählen. Er ist drei Jahre alt und wohnt mit seiner Familie in Gaza, ein kleiner Junge, der nichts anderes kennt als Krieg. Vor ein paar Monaten lag er nachts in seinem Bett und schlief, als eine IDF-Bombe auf das Haus seiner Familie fiel. Bei der Explosion wurde sein Bein verletzt und die Wunde entzündete sich. Er wurde ins Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis gebracht, dort gab es aber keine Medikamente, um die Entzündung zu behandeln. Die Ärzt*innen im Nasser-Krankenhaus entschieden sich, Ahmad den Unterschenkel zu amputieren und so zu verhindern, dass die Entzündung noch größeren Schaden anrichtet. Diesem dreijährigen, völlig unschuldigen Jungen fehlt nun ein Bein. Und er ist in höchstem Maße traumatisiert.

Dieser Junge steht stellvertretend für den Großteil der Menschen in Gaza. Sie haben keine Stimme.

Und jeder Tag ist für sie ein Kampf ums Überleben.

Die Lage der Menschen hat sich nicht verbessert, auch wenn der mediale Fokus derzeit woanders liegt.

Im Gegenteil, die Lage verschlechtert sich mit jedem Tag. Mütter finden keine Milchnahrung für ihre Babys, Familien haben kein Dach über dem Kopf, mittlerweile sind neun von zehn Gebäuden im Gazastreifen zerstört oder beschädigt.

Es leben etwa 335.000 Kinder unter fünf Jahren in Gaza. Und alle sind mangelernährt. Zehntausende dieser Kinder sind bereits verwundet worden, alle 45 Minuten wird ein Kind getötet.

Es macht mich wütend. Es sollte uns alle wütend machen.

Trotz Zusicherungen der israelischen Regierung kommt fortwährend viel zu wenig humanitäre Hilfe bei den Menschen an. Und heute Morgen hat uns die Information erreicht, dass die Hilfslieferungen vorerst ganz gestoppt wurden. Immer wieder werden Hilfesuchende im Umfeld der Verteilungszentren der Gaza Humanitarian Foundation erschossen. Die Menschen hungern und leiden. Diese Situation ist unerträglich.

Ich habe dazu am Montag mit UNRWA-Generalkommissar Lazzarini gesprochen und begrüße die eingeleiteten Reformschritte. Und dennoch: UNRWAs Rolle ist lebenswichtig und nicht zu ersetzen für die Versorgung der Menschen in Gaza.

Die Bundesregierung drängt in den Gesprächen mit der israelischen Regierung auf eine Verbesserung der Situation. Es braucht einen Waffenstillstand – sofort – und einen ungehinderten Zugang für die Vereinten Nationen, um den notleidenden Menschen zu helfen.

Und selbstverständlich fordern wir tagtäglich die Freilassung der Geiseln, die sich immer noch in den Händen der Hamas befinden. Wir stehen an der Seite der Familien die seit 627 Tagen um ihre Liebsten bangen. Ein schier unerträglicher Zustand.

Auch in Ostjerusalem und Westjordanland bleibt die Lage weiter extrem angespannt. Immer wieder überfallen israelische Siedler auf brutalste Weise palästinensische Dörfer wie auch gestern ein christliches Dorf. Diese Gewalt verurteile ich auf das Schärfste.

Ein vom BMZ finanziertes Wasser-Projekt ist direkt betroffen: das Projektgelände bei Nablus wurde von einem illegalen Siedler besetzt. Olivenbäume in Brand gesteckt. Und palästinensische Bauern wurden bedroht, sodass diese nun ihre Felder nicht mehr bestellen und ihre Familien nicht mehr ernähren können. Wir unterstützen die Menschen vor Ort, damit sie eine Perspektive bekommen. Doch dabei werden wir systematisch behindert und beobachten, dass konkrete Schritte zur Annexion vorbereitet werden.

Insgesamt im Nahen Osten ist die Situation zutiefst beunruhigend. Johann Wadephul hat das eben schon ausgeführt.

Jede erneut aufflammende Eskalation erschwert die wichtige Arbeit der internationalen Organisationen wie UNICEF und auch des BMZ. Und vor allem bringt sie die Menschen vor Ort noch weiter in Bedrängnis. In Israel und im Iran, aber auch in anderen Ländern der Region – wie Jordanien, Libanon oder dem Irak und in Syrien, in denen die Situation ohnehin fragil ist.

Der Anschlag auf eine Kirche in Damaskus am vergangenen Sonntag ist abscheulich und besorgniserregend. Und er verdeutlicht leider auf dramatische Weise, wie fragil auch die Sicherheitslage in Syrien weiterhin ist. Die syrische Übergangsregierung muss die Sicherheit der Minderheiten gewährleisten. Gerade mit Blick auf die Stabilität in der Region, ist es wichtig, dass wir dort engagiert bleiben.

Die Region braucht Stabilität. Was sie jedoch am allermeisten braucht, sind Hoffnung, Perspektiven und Frieden. Da sind wir uns in der Bunderegierung einig.

Deshalb ist und bleibt das Engagement der deutschen Entwicklungspolitik in der Region richtig und wichtig. Es geht um Menschlichkeit. Menschlichkeit, ohne die Stabilität nicht möglich ist. Stabilität für unsere Nachbarregion, mit der wir eng verbunden sind, die auch für uns relevant ist.

Auch durch die vielen, vielen persönlichen Verbindungen von hier nach dort.

Vielen Dank.