1. Dezember 2022 [digital.global]-Auftaktevent zur strategischen Neuausrichtung der Digitalpolitik des BMZ
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
stellen Sie sich vor, eine schwere Krankheit breitet sich aus. Die Infizierten leiden an Fieber, Unwohlsein, Müdigkeit, Gliederschmerzen. Der Verlauf der Krankheit kann unterschiedlich sein, aber eines ist sicher: für viele Menschen ist er tödlich. Die Krankheit wird unter anderem über Tröpfchen weitergegeben. Ein Mindestabstand ist sehr ratsam. Und es ist wichtig, nachzuverfolgen, wer wann wen getroffen hat.
Und dann kommt jemand mit der innovativen Idee, diese Kontaktverfolgung digital abzubilden. Über Smartphones, in einer App. Viele tausend Menschen können gerettet werden, weil Infektionsketten unterbrochen werden.
So war es 2014 bei Ebola in Nigeria.
Und Sie kennen es, weil diese Idee in der Corona-Pandemie aufgegriffen und weiterentwickelt wurde.
Die Software SORMAS wurde ursprünglich 2014 in Westafrika entwickelt, um alle relevanten Daten und Beteiligten der Ebola-Epidemie miteinander zu vernetzen. Deutschland hat bereits früh die Entwicklung der Software gefördert. Und inzwischen ist SORMAS ein digitales öffentliches Gut.
Kurzum: Eine mit Afrika entwickelte Software war und ist bis heute die Grundlage, um in Ländern wie Frankreich und Deutschland Corona einzudämmen und täglich Menschenleben zu retten.
Häufig denken die Menschen, wenn sie von „Digitalisierung in der Entwicklungszusammenarbeit“ hören, an Innovation, die der Globale Norden dem Globalen Süden bringt. Doch hier gilt – wie bei vielen anderen Fragestellungen im Übrigen ebenso! – dass das Voneinander-Lernen im Vordergrund steht. Es gibt vieles, wobei wir unsere Partnerländer unterstützen können. Ich denke da beispielsweise an Beratung zur Marktregulierung, um den bezahlbaren Zugang zum Internet zu ermöglichen. Es gibt aber ebenso viel, bei dem wir eine ganze Menge von unseren Partnerländern lernen können.
Das habe ich bereits früh in meiner Amtszeit erleben können. Im Februar traf ich in Ruanda viele Unternehmerinnen. Tolle Frauen. Sie erzählten mir, dass in Ruanda nahezu alles Finanzielle digital per Handy abgewickelt wird. Ganz im Gegensatz zu Deutschland, wo selbst nach fast drei Jahren Corona immer noch viel zu häufig „cash only“ vorherrscht.
Wir müssen also feststellen, dass Deutschland in digitaler Hinsicht eher ein Entwicklungsland ist. Das soll nicht so bleiben. Und deshalb ist es ein wichtiges Zeichen, dass mit der nationalen Digitalstrategie eine „Digitale Dekade“ ausgerufen wurde. Für mich sogar noch bedeutender ist es, dass eine internationale Digitalstrategie entwickelt werden soll. Mir ist bewusst, dass jetzt alle – insbesondere auch Sie als anwesende Expertinnen und Experten – darauf warten, dass diese Ankündigung mit Leben gefüllt wird.
Das Bundesentwicklungsministerium geht heute hier voran, gemeinsam mit GIZ und KfW. Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Teil einer erfolgreichen internationalen Digitalpolitik – ja, internationale Digitalpolitik kann sogar nur erfolgreich sein, wenn sie Entwicklungspolitik beinhaltet.
Das mache ich insbesondere an drei Punkten fest:
Zum einen ist es meine tiefe Überzeugung, dass Entwicklungspolitik nur dann erfolgreich ist, wenn sie auch digitale Aspekte mitdenkt. Die entwicklungspolitische Kernaufgabe ist die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen umzusetzen. Sie ist handlungsleitend für meine Politik. Die Weltgemeinschaft wird diese Ziele bis 2030 allerdings nur noch mit digitalen Entwicklungssprüngen erreichen können. Das umfasst Infrastruktur ebenso wie moderne Informationstechnologien. Entwicklungspolitik und Digitalpolitik müssen also zusammengedacht werden!
Zum zweiten: Die deutsche Entwicklungspolitik bietet eine Digitalpolitik an, die einen echten Interessenausgleich anstrebt und gleichzeitig mit europäischen Standards untermauert ist. So stellen wir eine echte Alternative zu den Angeboten von Autokratien. Unser Angebot führt nicht zu neuen Abhängigkeiten. Ganz im Gegenteil: Deutschland und die EU sind selbst daran interessiert, bestehende Abhängigkeiten zu verringern. Wir bieten unseren Partnerländern deshalb Lösungen an, die beiden Seiten nutzen. Ein gelungenes Beispiel ist die gerade kürzlich vereinbarte enge Zusammenarbeit mit Pakistan im Rahmen des Globalen Schutzschirms gegen Klimarisiken. Wir wollen den pakistanischen Behörden Zugang zu ansonsten teuren und schwer zugänglichen Risikomodellierungen und -daten geben – und zwar über Open-Source-Modelle. Diese können dann an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Im Ergebnis können so zum Beispiel lokale Behörden in Pakistan Flutrisiken in Zukunft besser einschätzen und Planungsinstrumente, Frühwarnsysteme und finanzielle Absicherungsmechanismen daran ausrichten. Gleichzeitig verbessern sich die Modelle, je mehr sie genutzt werden, weil sie mehr Daten verwenden können. Und so können solche Modellierungen auch helfen, die nächste Naturkatastrophe in Europa in ihren Wirkungen abzumildern.
Und drittens – und das ist mir besonders wichtig: Digitalisierung bringt nichts, wenn sie um ihrer selbst willen betrieben wird. Im BMZ denken wir Digitalisierung von unseren Themen her. Ich möchte das gern an Beispielen verdeutlichen.
Gesundheitsfinanzierung und andere Sozialsysteme zu verwalten, ist komplex und datenintensiv. Diese Systeme können erheblich effizienter werden, wenn sie digitalisiert werden. Die System-Operatoren in unseren Partnerländern haben jedoch oft Schwierigkeiten, sich entsprechende Software zu leisten und einzurichten. In solchen Fällen ist die Open-Source-Software openIMIS eine nachhaltige Alternative zu teuren kommerziellen Lösungen. Sie ermöglicht es unseren Partnerländern, Fachwissen über die Software aufzubauen – und sie langfristig selbst zu nutzen und zu pflegen. Die Initiative für dieses digitale Gemeingut wurde von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und dem BMZ gegründet und wird von ihnen finanziert. Derzeit wird openIMIS in sieben Ländern, überwiegend in Afrika, genutzt, um Sozailsysteme zu verwalten, die fast zehn Millionen Menschen betreffen.
Ich habe ein weiteres Beispiel: Mir liegt die feministische Entwicklungspolitik besonders am Herzen. Während meiner Ruanda-Reise besuchte ich auch das Digitalzentrum in Kigali. Dabei wurde deutlich: Besonders die wirtschaftliche Beteiligung von Frauen kann durch Digitalisierung einen Schub bekommen. Und da ist viel zu tun. Frauen in den Ländern des Globalen Süden sind auch digital besonders benachteiligt: Nur 19 Prozent der Frauen haben Zugang zum Internet – gegenüber 31 Prozent der Männer.
Das muss sich ändern. Denn wenn Frauen Zugang zum Internet erhalten, erhalten sie die Möglichkeit auf Bildung, auf Karrierechancen, auf demokratische Beteiligung, auf finanzielle Unabhängigkeit. Und deshalb fördern wir die digitale Fähigkeiten junger Menschen im Rahmen von Ausbildungsprogrammen besonders.
Mein Besuch in Ruanda hat mir gezeigt, wie mit wenigen Mitteln Kleinunternehmer*innen durch digitale Handelsmöglichkeiten ihr Einkommen verbessern können. Davon brauchen wir mehr.
Ich freue mich deshalb auch besonders, dass Doreen Bogdan-Martin als kürzlich gewählte, erste weibliche Generalsekretärin in der 150-jährigen Geschichte der ITU heute hier ist. Sie wird uns gleich mehr unseren gemeinsamen Programmen für Mädchen und Frauen berichten.
Wir wissen aus Erfahrung, dass gesellschaftliche Veränderungen Zeit und Unterstützung brauchen. Die digitale Transformation wird nur erfolgreich sein, wenn sie von allen Menschen der Gesellschaft gestaltet wird, gestaltet werden kann. Sie kann dabei helfen, soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen. Und sie bietet Möglichkeiten, eine Entwicklungspolitik umzusetzen, die Menschen und Zivilgesellschaft direkt erreicht.
Demokratie braucht freie Medien und Meinungsfreiheit – nachhaltige Entwicklung ebenso. Das BMZ setzt sich für ein freies, offenes und inklusives Internet ein. Damit stärken wir global demokratische und menschenrechtsbasierte Entwicklungen. Ich denke an die Frauen und Männer, auch die vielen Schüler*innen, die jetzt im Iran die Revolution vorantreiben. Für sie ist das Internet das Fenster zur Welt. Um Menschen dabei zu unterstützen, sich sicher im Internet zu bewegen, Falschinformationen identifizieren zu können und auch die eigenen Inhalte zu schützen, gibt es beispielsweise das Digital Enquirer Kit. Das BMZ unterstützt gemeinsam mit der EU Aktivist*innen, Journalist*innen, aber auch Frauen und Kinder, sich sicher im Internet zu bewegen. Das wollen wir ausweiten.
Damit Gesellschaften ihre digitalen Potenziale voll entfalten können, müssen wir die dafür notwendige digitale Infrastruktur ausbauen. Die EU setzt hier mit Global Gateway an der richtigen Stelle an. Wir reden hier aber nicht nur über Breitbandkabel und Satelliten, sondern auch über offene Software und offene Daten. Digitale öffentliche Güter – wie zum Beispiel die eingangs erwähnte SORMAS – auszubauen und sicher bereitzustellen, ist für unsere Entwicklungszusammenarbeit zentral. Wir haben dies mit dem Projekt GovStack deshalb auch als Schwerpunkt in die nationale Digitalstrategie eingebracht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
bei der Digitalisierung gilt, wie bei vielem anderen auch: Es ist wichtig, dass wir voneinander lernen. Nicht mit dem Blick auf das, was uns trennt, sondern das, was uns gegenseitig bereichert. Lassen Sie uns dies digital global denken.
Dafür ist diese Veranstaltung ein guter Auftakt.
Vielen Dank.