14. März 2024 Rede von Bundesministerin Svenja Schulze zum 60. Gründungstag des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Professorin Hornidge,
sehr geehrter Herr Dr. Hoffmann,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

wissen Sie, was ich hier in der Hand halte? Eine Schallplatte, ganz genau. Aber sie ist noch viel mehr als das: Sie wurde 1967 aufgenommen als Antwort auf die damalige Diskussion um Radwege in Peru.

Nein, natürlich nicht tatsächlich um Radwege – aber im Kern gab es schon vor gut 60 Jahren, zu Zeiten der Gründung von IDOS, ähnliche Debatten wie heute. Die deutsche Wirtschaft steckte damals in einer Krise, und auch dann wurden Rufe nach Kürzungen von Entwicklungsgeldern laut.

Um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass internationale Zusammenarbeit sinnvoll ist, beauftragte der damalige Entwicklungsminister Hans-Jürgen Wischnewski kurzerhand den Kabarettisten Jürgen von Manger, diese Schallplatte aufzunehmen. Man hört hier zum Beispiel, wie er eine Gruppe Kohlekumpels im Ruhrgebiet vom Nutzen der Entwicklungspolitik überzeugt. Davon, dass die Migration dem deutschen Arbeitsmarkt und damit auch den Menschen in Deutschland nützt. Dank an Marcel Behrens vom IDOS, der dieses historische Dokument für uns geborgen hat.

Damit ist klar: Auch vor 60 Jahren schon musste sich die deutsche Entwicklungspolitik für ihre Existenz rechtfertigen. Auch damals schon musste immer wieder erläutert werden, dass Entwicklungspolitik zum einen Mitmenschlichkeit für die Menschen im Globalen Süden ist. Aber sie zum anderen vor allem auch den Menschen in Deutschland von großem Nutzen ist.

Aber nun doch nochmal zu den Radwegen in Peru: Die Entwicklungspolitik steht innenpolitisch wieder stark unter Druck. Und das leider vor einem anderen Hintergrund als noch vor 60 Jahren. Mit starken antidemokratischen Kräften. Mit einer rechtsradikalen Partei im deutschen Bundestag. Mit den sozialen Netzwerken, in denen Populisten rasend schnell falsche Informationen verbreitet können, die nur schwer wieder einzufangen sind. Mit durch künstliche Intelligenz erstellte Bilder die zeigen sollen, warum Entwicklungspolitik Geldverschwendung sei.

Es gibt Versuche, unsere nationalen Interessen und unsere internationale Zusammenarbeit gegeneinander auszuspielen. Es gab populistische Rufe danach, sich abzuschotten, sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen.

Umso wichtiger ist es mir als Entwicklungsministerin, dem etwas entgegenzusetzen. Die Debatte zu versachlichen und auf die Fakten zu schauen. Die Öffentlichkeit immer wieder von der Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zu überzeugen, auch und gerade für die Menschen in Deutschland. Zu zeigen, warum Entwicklungspolitik im deutschen Interesse ist.

Und hierbei ist das IDOS von äußerst großem Wert:

  • Sie forschen – und schaffen damit genau die empirische Evidenz, die wirksame Entwicklungspolitik braucht – derzeit mehr denn je.
  • Sie beraten das BMZ und schlagen dabei die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis.
  • Sie bilden den wissenschaftlichen Nachwuchs aus – und nicht wenige Führungskräfte im BMZ sind Ihre Schule durchlaufen.

Dieser Dreiklang aus Forschung, Beratung und Ausbildung ist seit 60 Jahren das Rückgrat des IDOS. Und zu diesem 60. Jubiläum gratuliere ich Ihnen herzlich. Vor 60 Jahren, fast auf den Tag genau, wurde das IDOS im Beisein Willy Brandts und Walter Scheels in Berlin gegründet, damals noch als Deutsches Institut für Entwicklungspolitik – DIE.

Seitdem ist viel passiert. Das IDOS zählt mittlerweile zu den weltweit führenden Think Tanks im Bereich internationaler Zusammenarbeit. Ich gratuliere Ihnen, Frau Hornidge, dass Sie dem IDOS so viel Gehör verschaffen.

Mein Glückwunsch geht auch an alle Mitarbeitenden, an die Alumni der mittlerweile 59 Postgraduiertenkurse sowie an die Nachwuchskräfte der Managing Global Governance und der African-European Leadership Academy. Und natürlich an die Kuratoriumsmitglieder. Mit Ihrem Einsatz tragen Sie alle zum Erfolg des Instituts bei.

Ich erinnere mich an das 50-jährige Jubiläum vom damaligen DIE und die zuversichtliche Stimmung, die über der Festveranstaltung im Hotel Königshof am Rhein lag. Damals war ich als Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen dabei und weiß noch gut, dass sich die positive Atmosphäre nicht allein auf das Fest beschränkte.

Denn es war die Zeit, in der die Weltgemeinschaft die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen verhandelte, die 2015 verabschiedet wurden. Ein wahres Fest des Multilateralismus.

Es gab dieses Grundvertrauen, dass sich ein globaler Trend zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zu gerechter verteiltem Wohlstand durchsetzen würde.

Der schwedische Wissenschaftler Hans Rosling arbeitete an der Erstauflage seines Buchs „Factfulness“, in dem er nachzeichnet, welche Erfolge weltweit bei vielen der Entwicklungszielen bereits erreicht wurden: Sei es bei der Bekämpfung von Hunger und Armut, bei Bildung und Gesundheit oder auch der Gleichstellung der Geschlechter. Natürlich war klar: Es gibt noch viel zu tun.

Aber klar schien auch: Diese Herausforderungen können wir als Weltgemeinschaft gemeinsam, in globaler Solidarität, bewältigen. Das alles ist eigentlich noch gar nicht so lange her, aber es scheint wie eine andere Zeit.

Denn dieses Vertrauen in den Multilateralismus scheint heute erschüttert, besonders seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Denn dieser Krieg markiert nicht nur einen offenen Bruch des Völkerrechts und bringt Zerstörung und Leid, zuallererst für die Menschen in der Ukraine.

Er fordert uns in Deutschland, in Europa, auch heraus, unsere Werte und Interessen klar zu benennen. Sie mit unserem partnerschaftlichen Ansatz in der Entwicklungspolitik in Einklang zu bringen.

Und ich bin froh, dass das IDOS uns dabei unterstützt, genauer hinzuschauen. Innerhalb weniger Tage nach Kriegsausbruch hat Ihr Team, liebe Frau Hornidge, für das BMZ zum Beispiel mehrere hochkarätige Wissenschaftsrunden einberufen.

So konnten wir die Perspektiven von Partnerinnen und Partnern aus Asien, Afrika und Lateinamerika auf die russische Aggression besser nachvollziehen. Die vielschichtigen Folgen des Krieges für unsere Partnerländer besser verstehen und darauf reagieren. Das Globale Bündnis für Ernährungssicherheit, das ich 2022 im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft zusammen mit der Weltbank initiiert habe, ist eines der Ergebnisse dieses Austauschs.

Und mit ihrem Weitblick fordern Sie oft auch die Politik heraus.

Sie entdecken Trends und geben Empfehlungen, die keine politische Konjunktur haben. Wie wichtig das ist, haben Sie im IDOS oft genug bewiesen.

Ich rufe dafür einige Beispiele aus sechs Jahrzehnten Institutsgeschichte in Erinnerung:

  • In den 1970er Jahren war das IDOS eine der ersten Stimmen, die Agrarexportsubventionen und handelspolitischen Protektionismus als Entwicklungshemmnisse für unsere Partnerländer benannte. Es war die Geburtsstunde dessen, was später globale Strukturpolitik genannt wurde.
  • In den späten 1980er Jahren kritisierte das IDOS den sich formierenden Washington-Konsensus – den Drang auf Deregulierung und Liberalisierung. Entgegen populärer Trends machte sich das IDOS stark für ökologische und soziale Mindeststandards.
  • In den 1990er Jahren war das IDOS maßgeblich daran beteiligt, die fünf Leitprinzipien für wirksame Entwicklungspolitik zu erarbeiten. Diese wurden später in der Paris-Deklaration zu Aid Effectiveness verankert und sind noch heute gültig.
  • In den 2000er Jahren prägte das IDOS den Begriff der „Ankerländer“, denn es erkannte die Bedeutung der rasch wachsenden Schwellenländer.
  • In den 2010er Jahren warnte das IDOS frühzeitig vor einer neuen Verschuldungskrise. Die Debt-for-Climate Swaps gehörten zu den Antworten, die das BMZ daraufhin entwickelte.
  • Und auch aktuell, wo viele unserer Partnerländer erneut von den hohen Schuldenlasten geradezu erdrückt werden, entwickeln Sie Vorschläge – beispielsweise, um private Gläubiger und multilaterale Entwicklungsbanken stärker in die Pflicht zu nehmen.

Die deutsche Entwicklungspolitik wäre um einiges ärmer ohne die konstruktive Kritik und die Erkenntnisse des IDOS.

Und diese Erkenntnisse möchte ich mir in Zukunft noch stärker zunutze machen, um die Menschen in Deutschland zu überzeugen. Überzeugen, dass Radwege in Peru und Kampagnen zu positiver Maskulinität in Ruanda sinnvoll sind – als Teil unseres entwicklungspolitischen Engagements.

Und ich zähle darauf, dass das IDOS mir auch hier tatkräftig zur Seite steht. Lassen Sie uns anstoßen auf 60 Jahre IDOS.

Auf dass Sie noch viele weitere Jahrzehnte überzeugen werden – mit Ihrer Forschung, Ihrer Beratung und Ihrer Ausbildung.