5. März 2024 Deutschland braucht den Sahel: Warum Entwicklungspolitik auch eine Frage der Sicherheit ist

Deutschland und die EU müssen die besseren Partner in Afrikas Krisenregionen sein – sonst gewinnt Russland immer mehr Einfluss. Ein Gastbeitrag von Bundesministerin Svenja Schulze in der Frankfurter Rundschau (Externer Link).

Woran denken Sie bei Entwicklungspolitik? An Fahrradwege in Peru? Ich auch. Denn jede eingesparte Tonne CO₂ ist wichtig im weltweiten Kampf gegen den Klimawandel.

Und ich denke an Menschen wie Noumoutènè Diarra. Sie ist Landwirtin in Mali, einem westafrikanischen Land in der Sahel-Region. Im Sahel herrscht Armut und Hunger, Konflikte sind an der Tagesordnung. Der Klimawandel trifft die Menschen dort besonders hart, sie haben mit Dürren und Wasserknappheit zu kämpfen, es mangelt an Perspektiven. Hinzu kommt der sich ausbreitende Terrorismus.

Wer sich dort Terroristen anschließt, tut das aber meist nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil es häufig für Familien und ganze Dörfer die einzige Einnahmequelle ist. Dem stellt sich Noumoutènè Diarra entgegen. Sie trotzt der Perspektivlosigkeit, die Terrorismus nährt, und sie bekämpft den Hunger – mit einer motorisierten Schneidemaschine für Gemüse, einem Solartrockner und optimierten Lagerungsmöglichkeiten. Denn damit hat ihre Kooperative die Gemüseproduktion in ihrem Dorf so verbessert, dass die Versorgung gesichert wird und die Landwirtinnen zusätzlich daran verdienen können. Das trägt zur Ernährungssicherheit für die ganze Gemeinde bei. Gleichzeitig sorgt diese zusätzliche Einnahmequelle für die Familien dafür, dass sich die Erfolgschancen der Terroristen verringern, neue Anhänger zu rekrutieren.

Gegen die Ursachen von Hunger und Konflikten im Sahel

Mit unserer Entwicklungspolitik unterstützen wir Frauen wie Noumoutènè Diarra, um die Ursachen für Konflikte, Hunger und Armut anzugehen und die Widerstandskraft der betroffenen Bevölkerung zu vergrößern.

Natürlich lässt sich Terror nicht mit Gemüse bekämpfen. Natürlich sorgt Entwicklungspolitik nicht allein für Sicherheit. Aber: Es geht nicht ohne sie. Das zeigt auch die Situation in Mali, in der der Fokus lange vor allem auf militärischer Unterstützung lag.

Wenn es jetzt nicht gelingt, die Grundversorgung für die Bevölkerung in der Sahel-Region langfristig sicherzustellen und den Menschen Perspektiven zu bieten, durch Bildung und Jobs, dann werden sich Krisen und Terror weiter ausbreiten und letztlich noch mehr Menschen zur Flucht getrieben – mit gravierenden Auswirkungen für die gesamte Region und damit auch für Deutschland.

Wir in Deutschland haben ein Interesse an stabilen Nachbarn. Dazu zähle ich auch zahlreiche Länder unseres Nachbarkontinents Afrika. Wir brauchen verlässliche Partnerschaften in der Welt, weil Deutschland jeden zweiten Euro aus dem Export verdient. Weil wir auf alternative Energiequellen angewiesen sind, um hier in Deutschland die Energiewende zu schaffen. Weil wir auf stabile Lieferketten angewiesen sind, damit wir zum Beispiel zuverlässig Antibiotika in unseren Apotheken kaufen können. Daher ist es auch wichtig, dass sich Krisen nicht weiter ausbreiten. Dass rund um Krisenregionen möglichst stabile Länder liegen, die verhindern, dass weitere Regionen destabilisiert werden und Menschen vor Hunger, Armut und Terror fliehen müssen. Das ist auch in der Sahel-Region so.

Mauretanien: Viele Vertriebene im eigenen Land

Ein wichtiger Partner für uns ist zum Beispiel Mauretanien. Das Land hat in etwa so viele Einwohner*innen wie der Großraum Berlin und integriert derzeit mehr als 100.000 Geflüchtete aus dem angrenzenden Mali in sein Gesundheits- und Bildungssystem. Anders als einige hier bei uns in Deutschland behaupten, sind die meisten Menschen auf der Flucht vorrangig Vertriebene im eigenen Land oder fliehen ins Nachbarland – die Hauptlast bei der Aufnahme von Flüchtlingen liegt also vor allem bei Ländern in und um die Krisenregionen.

Ein anderes Beispiel ist Benin. Das Land grenzt im Norden an Niger und Burkina Faso – beides Kern-Sahelländer, in denen sich das Militär kürzlich an die Macht geputscht und sich die dortige Sicherheitslage entsprechend zugespitzt hat. Ich reise deshalb diese Woche nach Benin und werde mit unseren Partner*innen vor Ort darüber sprechen, was wir gemeinsam tun können, um eine weitere Ausbreitung der Krisen und des Terrorismus in der Region zu verhindern. Außerdem werde ich nach Burkina Faso reisen, um mit Vertretern der Übergangsregierung über unsere Erwartungen und Perspektiven für eine weitere Zusammenarbeit zu sprechen, damit wir die Menschen in dem Land weiterhin unterstützen können.

Die Menschen in diesen krisengeschüttelten Ländern entwicklungspolitisch zu unterstützen, ist aus deutscher Perspektive absolut sinnvoll. Deutschland und die EU haben ein Interesse daran, auch in diesem Gefüge relevante Player zu bleiben. Nur wenn wir geopolitische Bedeutung behalten, können wir antidemokratischen Tendenzen etwas entgegensetzen. Dies ist nicht zuletzt auch wichtig, weil immer mehr Länder, insbesondere im Kern-Sahel, eng mit Akteuren wie Russland zusammenarbeiten. Insbesondere im Sahel dürfen wir Russland aus strategischen Gründen nicht das Feld überlassen, denn die Region ist Drehkreuz für Migrant*innen und energiepolitisch wichtig. Es gilt zu verhindern, dass Russland durch seinen Einfluss im Sahel Europa unter Druck setzen kann, indem es Migrant*innen als Waffe einsetzt oder Energielieferungen aus Afrika kontrolliert.

Damit Deutschland und die EU mitgestalten können, müssen wir die besseren Partner sein. Wir müssen Angebote machen, von denen beide Seiten langfristig profitieren und die keine neuen Abhängigkeiten schaffen. Hier kommt es auch auf unsere Haltung an, denn unserer Partner*innen haben das besserwisserische, koloniale Gehabe westlicher Staaten satt. Gefragt ist weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand. Und eine ehrliche Kommunikation ist auch unser Interesse. Das wird auch bei meiner Reise nach Burkina Faso und in Benin Thema sein.

Mit Blick auf die sich wandelnde geopolitische Lage muss es selbstverständlich sein, dass Deutschland und auch die EU in Entwicklungspolitik investieren. Sich ins nationale Schneckenhaus zurückzuziehen macht keinen Sinn. Es ist sogar kontraproduktiv. Es wäre nicht gut für die Menschen in unseren Partnerländern, die mit uns zusammenarbeiten wollen. Und es wäre nicht gut für die Menschen in Deutschland. Denn von dieser Zusammenarbeit profitieren alle.

Lesen Sie den Gastbeitrag hier (Externer Link).