24. Januar 2024 Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika neu denken?
Die Rede wurde auf Englisch gehalten. Die englische Version finden Sie hier.
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Exzellenzen,
kann man mit Entwicklungszusammenarbeit die Welt voranbringen? Ist sie das richtige Instrument um globale Fortschritte zu erreichen?
Diese Frage wurde mir in den vergangenen Wochen wiederholt gestellt angesichts der vielen Krisen in der Welt und nicht zuletzt vor dem Hintergrund knapper Kassen.
Meine Antwort ist ganz klar: Ja! Gerade angesichts der globalen und regionalen Krisen ist Entwicklungszusammenarbeit wichtiger denn je.
Entwicklungszusammenarbeit hilft, Menschen vor Armut und Hunger zu schützen. Sie unterstützt Länder dabei, Klimaschäden zu begegnen. Und sie fördert Bildung und gute Arbeit, damit Gesellschaften aus eigener Kraft heraus ihren Wohlstand ankurbeln können. Und zwar nachhaltig.
Eine weitere Frage, die mir häufig gestellt wird, lautet: Muss die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika neu erfunden werden? Meine Antwort ist genauso klar: Nein! Wir müssen sie nicht neu erfinden. Wohl aber neu ausrichten. Und dabei erfinderisch, visionär sein.
Dafür steht die neue Afrika-Strategie, die mein Ministerium genau vor einem Jahr veröffentlicht hat. Mit ihr haben wir eine neue Haltung in der Zusammenarbeit begründet – eine Haltung von Respekt und Gegenseitigkeit.
Was meine ich damit konkret? Dass Afrika als dynamischer Kontinent zu verstehen ist, der längst nicht mehr allein auf Europa als Partner angewiesen ist. Sondern den wir Europäer*innen vielmehr als Partner brauchen. Die globalen Transformationsaufgaben gemeinsam anzugehen und anderen in Krisen beizustehen, entspricht unseren Werten, aber auch unseren strategischen Interessen.
Einer dieser Werte und gleichzeitig ein strategisches Interesse ist Stabilität. Deutschland und Europa sind nur so stabil, wie es die uns umgebende Welt ist.
Dafür gleich ein konkretes Beispiel: die Sahel-Region. Als Präsidentin der Sahel-Allianz bin ich regelmäßig vor Ort. Im Gespräch mit Entscheidungsträger*innen, mit Berufsschüler*innen, lokalen Fischer*innen und Geflüchteten bei meiner letzten Reise in Mauretanien habe ich besonders gespürt, wie sehr Klimawandel, demografischer Wandel und Autokratisierung die Region beeinflussen. Berufliche Perspektiven gibt es häufig kaum, Extremwetterereignisse treiben die Menschen oft an den Rand ihrer Existenz. Und das in einer Lage, in der wenig soziale Sicherung existiert. Für Extremisten ist dies ein geeigneter Nährboden.
Deshalb habe ich die Entscheidung getroffen: Deutschland wird sich weiter für die Sahel-Region einsetzen, auch nachdem in verschiedenen Ländern Regime durch Militärputsche an die Macht gekommen sind. Dort, wo es nötig ist, gemeinsam mit nicht-staatlichen Partnerorganisationen und regierungsfern. Ziel ist, die Bevölkerung zu unterstützen und Spill-Over-Effekte der Autokratisierung und des Extremismus in weitere Länder des Sahel und in die Küstenländer zu vermeiden. Das erreichen wir nur gemeinsam, durch noch intensivere Zusammenarbeit mit den Anrainerstaaten.
Wir sind in Europa auf die Stabilität unseres Nachbarkontinents angewiesen. Denn die Herausforderungen unserer Zeit können nur in Partnerschaft mit Afrika gelöst werden.
Das geht damit los, dass – flapsig gesagt – Europa ein alternder Kontinent im Umbau ist und Afrika ein junger wachsender Kontinent im Aufbau. Mit kluger Strukturpolitik können daraus gemeinsame Chancen werden – für ausreichend gute Nahrung für alle, für eine zukunftsfähige Energieversorgung, für gute Arbeit.
Nehmen wir die Arbeit als Beispiel:
In vielen afrikanischen Ländern steigt der Druck auf lokale Arbeitsmärkte durch eine wachsende Bevölkerung. In vielen europäischen Ländern wächst die Fachkräftelücke, gerade auch in Deutschland. Hier setzt eine engere Zusammenarbeit an.
Beispielsweise haben Deutschland und Marokko im vergangenen Jahr vereinbart, enger zu Migration zusammenzuarbeiten. Gleich im Anschluss an diese Veranstaltung werde ich nach Marokko aufbrechen. In Rabat werde ich eines unserer Zentren für Migration und Entwicklung eröffnen. Deutschland finanziert solche Zentren in neun Partnerländern, fünf davon in Afrika. In den Zentren erhalten Interessierte Informationen zu regulärer Migration nach Deutschland, Europa oder in andere Länder in der Region. Außerdem verweisen die Zentren auf Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten, die sie für den Arbeitsmarkt vor Ort oder in einem anderen Land fit machen. Dabei arbeitet mein Ministerium eng mit den Partnerländern zusammen, um ein „Brain-Drain“ von dringend benötigten Fachkräften zu verhindern.
Anders als viele denken, möchten die meisten Menschen lieber in ihrer Region arbeiten, einen Job in der Nähe ihres Zuhauses finden – und nicht in Europa. Und das liegt sicherlich nicht nur am hiesigen Wetter. Während hier in Deutschland heute jeder zweite Mensch älter als 45 Jahre ist, ist die Hälfte der Afrikaner*innen unter 19 Jahre. Und dort, wo junge Leute sind, herrscht Dynamik, dort entstehen Ideen und neue Chancen.
Das konnte ich im November spüren, als am Rande des Compact-with-Africa-Gipfels 35 Jungunternehme*innen aus 16 afrikanischen Ländern in unserem Ministerium zu Gast waren. Die Konferenz hieß Shaping the Future with Africa – Young Entrepreneurship as Key to a Just Transition. Die Energie und das Selbstbewusstsein der Unternehmer*innen war wirklich unglaublich. Sie haben meinem Ministerium klare Handlungsempfehlungen gegeben, wie nachhaltiges Unternehmertum gefördert werden sollte. Und sie haben konkrete Erwartungen an die eigenen Regierungen formuliert. Diese Jungunternehmen sind kreativ und pragmatisch, wenn es darum geht, passgenaue Lösungen für die eigenen Herausforderungen zu entwickeln.
Die Gespräche mit ihnen haben mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir wirklich aufmerksam zuhören. Unsere Aufgabe als deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist es nicht, es besser zu wissen. Sondern als Partnerin dazu beizutragen, diese Problemlösungskompetenz in unseren Partnerländern zu heben.
Und damit wären wir bei einem weiteren Wert, der mir ganz wichtig ist: Respekt. Zu einer respektvollen Partnerschaft gehört auch, dass wir unsere koloniale Vergangenheit aufarbeiten. Im Entwicklungsministerium schauen wir sehr kritisch auf unsere Arbeit. Wir arbeiten zusammen mit externen Expert*innen daran, koloniale Kontinuitäten im Denken und Handeln zu identifizieren und entwickeln Ideen, um sie zu überwinden.
Deutschland und Europa sind natürlich nicht die einzigen, die eng mit Afrika zusammenarbeiten möchten. Die afrikanischen Staaten haben attraktive Alternativen. Oft Länder, die unsere demokratischen Werte leider nicht teilen. Wir in Deutschland und Europa müssen uns deshalb um eine gute Partnerschaft mit den afrikanischen Staaten bemühen.
Denn eins ist klar: Ohne Afrika geht nichts. Deshalb fordern afrikanische Staaten auch völlig zurecht ein, auf der internationalen Bühne gleichberechtigt behandelt zu werden. Und ich unterstütze diese Forderung.
Im vergangenen Jahr ist der Afrikanischen Union ein wichtiger Schritt gelungen: Sie ist nun Mitglied der G20. Als nächster Schritt geht es um eine ständige Repräsentation Afrikas im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die deutsche Bundesregierung wird sich dafür einsetzen.
Afrika braucht einen Platz am Tisch. Das ist nicht nur richtig, weil es richtig ist. Es ist auch notwendig. Afrika spielt eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung einer globalen sozial gerechten Wirtschaftstransformation. Das hat der Africa Climate Summit im September unmissverständlich deutlich gemacht. In der Gipfelerklärung formulierten die Veranstalter*innen ihre Ambition, die erneuerbaren Energien auszubauen. Und stellten zugleich klare Forderungen an die Weltgemeinschaft im Bereich der Entschuldung, der Reform der internationalen Finanzarchitektur und der fairen Besteuerung von Treibhausgasemissionen. Deutschland war unter anderem mit Staatssekretärinnen aus dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministerium vor Ort, und sämtliche Kolleg*innen berichteten mir von einer großen Aufbruchstimmung.
Diese selbstbewusste und konstruktive Haltung der afrikanischen Akteur*innen macht mir Hoffnung darauf, dass wir die immensen Herausforderungen gemeinsam bewältigen können. Wir brauchen Sie. Vielen Dank, dass Sie mit uns zusammenarbeiten.
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich zusammenfassen: Die Lösung ist nicht weniger internationale Zusammenarbeit, sondern mehr. Viel, viel mehr.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute eine gute Diskussion.