26. September 2023 Rede von Entwicklungsministerin Svenja Schulze anlässlich der Eröffnung des vierten Jahrestreffens des Aktionsnetzwerks für Frauen auf der Flucht

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Mitglieder und Partner*innen des Netzwerks,
liebe Cecilia Jimenez,
liebe Mitglieder des Bundestags,
liebe Freund*innen und Gäste,

Als ich im August ein Registrierungszentrum für Flüchtlinge in Mauretanien besuchte, habe ich dort Leila Kparambeti getroffen, die vor neun Jahren aus der Zentralafrikanischen Republik gekommen war. Sie hat mir von den Schwierigkeiten berichtet, die Flüchtlinge bei der Arbeits- und Wohnungssuche haben. Sie ist gelernte Buchhalterin, hat in Mauretanien einen Nähkurs absolviert und verkauft nun selbstgemachte Kleidung. Ihr Wunsch ist es, sich mit anderen Frauen als Schneiderin einmal selbstständig zu machen. Von einer anderen Frau habe ich dort diese Kette gekauft. Auch sie hat sich mit einem Handwerk eine Existenz aufgebaut und kämpft für ihre wirtschaftliche Teilhabe.

Und eine andere Frau, die bereits seit Jahren im M’bera Camp an der malischen Grenze lebt, erzählte mir, dass ihre Kinder die Schule besuchen können, ohne dafür zahlen zu müssen, und medizinisch versorgt werden. Für sie sei das nicht selbstverständlich. So fühle sie sich nicht als Mensch zweiter Klasse.

Was mich an diesen Begegnungen so beeindruckte, war die Zuversicht und der Tatendrang, die diese Frauen trotz der widrigen Umstände haben. Sie sind bereit, Dinge zu verändern und aus ihrer Situation das Beste zu machen.

Für mich sind diese Frauen „agents of change“. Sie kämpfen im Alltag für ihre Teilhabe und gestalten ihre Zukunft. Und damit auch die der Gesellschaften, in denen sie wirken. Women as agents of change, das sind vor allem auch Sie, liebe Mitglieder des Netzwerks. Sie setzen sich im konkreten Alltag wie auf der politischen Ebene unermüdlich für die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen auf der Flucht ein. Sie verschaffen ihnen Gehör und ermächtigen sie, für ihre Teilhabe einzutreten. Für Ihr Engagement danke ich Ihnen ganz besonders. Und auch den Unterstützer*innen des Netzwerks, die heute hier sind, danke ich für Ihren Einsatz.

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir uns das erste Mal hier in Berlin persönlich getroffen. Dieses Treffen ist mir sehr lebhaft in Erinnerung geblieben. Ihr Enthusiasmus, mit dem Sie von Ihrer Arbeit in den verschiedenen Ländern berichteten. Einige erzählten auch von ihren persönlichen Fluchterfahrungen. Davon wie sie sich auf der Flucht emanzipiert haben und wie die Erkenntnis, dass sie als Frauen Rechte haben, sie darin gestärkt hat. Das hat mich sehr beeindruckt.

Ihr Netzwerk ist seit dem letzten Jahr weiter zusammengewachsen. Es wird nach außen hin immer sicht- und hörbarer. Ich denke da zum Beispiel an Ihre Beiträge beim internationalen High Commissioner‘s Dialogue zur Entwicklungspolitik mit über 90 Staaten in Genf. Indem Sie dort, wie auch bei anderen Gelegenheiten, Ihre Stimmen einbringen, gestalten Sie die feministische Flüchtlings- und auch Entwicklungspolitik.

Wie herausfordernd es ist, einen gleichberechtigten Zugang zu den drei Rs – Rechte – Ressourcen – Repräsentanz – für Frauen auf der Flucht zu schaffen, das wissen Sie am besten. Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen auch für die Politik verfügbar zu machen, das ist eines der Ziele des Netzwerks.

Welche Rolle es spielt, dass die Belange von Frauen in den Fokus gerückt werden, zeigt die Situation in Mauretanien.

Mauretanien hat seinen Arbeitsmarkt für Flüchtlinge geöffnet. Das Land hat rechtliche Hürden abgebaut und gewährt ihnen – sobald sie registriert sind – Zugang zu sozialer Sicherung, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen. Das bietet ihnen Perspektiven auf dem Weg hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe und ist enorm fortschrittlich. Und dennoch bestehen Hürden, oft administrative, die gerade für Frauen auf der Flucht schwierig zu überkommen sind. Beispielsweise wenn sie für eine Registrierung Dokumente aus dem Heimatland brauchen, selbst für ihre bereits in Mauretanien geborenen Kinder. Können sie diese nicht vorweisen, fehlt ihnen der Zugang zu wichtigen Ressourcen und die Grundlage dafür, ihre oft prekäre Situation zu verbessern. Und weil sie politisch wie wirtschaftlich nicht angemessen repräsentiert sind, werden ihre Belange nicht ausreichend adressiert. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Es zeigt, dass politische Initiativen, Gesetze und Maßnahmen dann am besten wirken, wenn sie mit denen erarbeitet werden, die sie betreffen: mit den Geflüchteten, mit den Frauen.

Dafür ist eine starke Zivilgesellschaft unerlässlich. Denn zivilgesellschaftliche Organisationen haben oft direkten Zugang zu Geflüchteten, kennen ihre Belange und können sie auf die politische Ebene tragen. Um dies zu unterstützen, fördert mein Ministerium gemeinsam mit dem Women’s Peace and Humanitarian Fund der Vereinten Nationen lokale zivilgesellschaftliche Frauenrechtsorganisationen in zehn Ländern. So zum Beispiel in Kolumbien, wo geflüchtete Frauen und Mädchen durch Schulungen darin unterstützt werden, an Friedensprozessen mitzuwirken. Oder in der Ukraine, wo Lehrerinnen dazu weitergebildet werden, besser mit traumatisierten Kindern umgehen zu können. Ein großer Teil der von uns geförderten Organisationen ist flüchtlingsgeführt. Das macht einen Unterschied, denn sie wissen am besten, an welchen Schrauben gedreht werden muss. Auch hier geht es nur mit ihnen: mit den Geflüchteten, mit den Frauen.

Genauso unerlässlich wie eine starke Zivilgesellschaft vor Ort ist der hochrangige politische Dialog. Denn er stellt die Weichen dafür, dass Menschen auf der Flucht in Entscheidungen, die sie selbst betreffen, gehört und repräsentiert werden. Dass sie beispielsweise an Friedens-, Wiederaufbau- und Versöhnungsprozessen beteiligt werden. Dass sie für sich selbst sprechen dürfen. Dem Netzwerk, also Ihnen, ist es gelungen, dass Frauen mit Fluchterfahrung ihre Expertise in internationale Debatten und Prozesse einbringen konnten. So zum Beispiel beim Global Women’s Forum for Peace and Humanitarian Action im letzten Mai in Berlin: Dort haben Repräsentant*innen von über 80 Frauenrechtsorganisationen gemeinsam die Berlin Declaration entwickelt. Die darin enthaltenen Forderungen sind ein Maßstab, an dem sich Regierungen und ODA-Financiers zukünftig messen lassen müssen.

Das ist ein großer Erfolg. Aber es braucht noch eine viel stärkere Beteiligung auf der internationalen Ebene, um Menschen – insbesondere Frauen – auf der Flucht Mitsprache und Teilhabe zu gewährleisten. Für mich ist klar, dass die deutsche Delegation beim Globalen Flüchtlingsforum im Dezember einen Platz für eine geflüchtete Person in ihren Reihen haben soll. Um Flüchtlingen wörtlich eine Stimme zu geben. Und um ein Signal dafür zu setzen, dass es nur mit ihnen gehen kann: mit den Geflüchteten, mit den Frauen.

Auf dem letzten Globalen Flüchtlingsforum vor vier Jahren hat sich das Entwicklungsministerium dazu verpflichtet, die Gründung eines Netzwerks von geflüchteten Frauen zu unterstützen. Vier Jahre später werden Sie, liebe Mitglieder, eben dieses Netzwerk dort selbst vertreten. Darauf bin ich stolz, und Sie können es noch viel mehr sein. Das Globale Flüchtlingsforum ist ein wichtiger Meilenstein: Dort wird die Umsetzung des Globalen Flüchtlingspakts überprüft, es werden neue Vereinbarungen getroffen und Verpflichtungen eingegangen. Es wird wegbereitend sein für zukünftige Teilhabemöglichkeiten von Menschen auf der Flucht. Ich erwarte zum Beispiel, dass die internationale Staatengemeinde sich dazu bekennt, rechtliche und praktische Hürden für den Zugang zum Arbeitsmarkt und sozialer Sicherung abzubauen. Dazu, den Zugang zu Bildung und Gesundheit – und dazu gehört auch psychosoziale Unterstützung – auszubauen. Und dass im politischen Dialog die Beteiligung von Geflüchteten einen höheren Stellenwert erlangt.

Deshalb ist auch das heutige und morgige Netzwerktreffen wichtig, denn hier können Sie konkrete Ideen für Beiträge zum Globalen Flüchtlingsforum diskutieren. Vielleicht ist das Netzwerk ja sogar bereit, eigene Selbstverpflichtungen einzugehen? Auf die Unterstützung seitens des Entwicklungsministeriums können Sie dabei zählen. Ich vertraue darauf, dass Sie das Globale Forum zum Anlass nehmen werden, als genau das zu agieren, was Sie repräsentieren: Women as agents of change!