20. August 2023 Eine global gerechte Entwicklung: gemeinsam umdenken

Rede zur Begrüßung der Botschafterinnen und Botschafter von afrikanischen Partnerländern und des Botschafters der Ukraine beim Tag der offenen Tür in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Exzellenzen,

in Deutschland, in Europa, ist seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar letzten Jahres vieles im Umbruch, was wir als sicher glaubten. Der Friede in Europa, eine stabile Energieversorgung und eine regelbasierte internationale Ordnung. Bundeskanzler Scholz hat mit dem Begriff der Zeitenwende auf den Punkt gebracht, dass es sich für uns in Deutschland und Europa um einen einschneidenden Moment, um einen Umbruch handelt.

Unter dem völkerrechtswidrigen Krieg leiden zuallererst die Menschen in der Ukraine. Sie müssen täglich um ihr Leben fürchten – das ist grausam. Ihnen gilt unsere volle Solidarität und ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie Herr Botschafter, besonders herzlich zu begrüßen. Aber auch für die Länder Afrikas hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Folgen. In Afrika äußern sich die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise viel drastischer als in Europa: Sie gefährden die Ernährungssicherheit, lassen Menschen hungern und verschärfen die wirtschaftlichen Probleme, die bereits durch die Covid-Pandemie ausgelöst wurden. Geografisch gesehen liegt der Konflikt zwar in Europa, aber er zieht auch Afrika, ja die gesamte Welt, in sein Fahrwasser.

Wir erleben also weltweit eine Zeitenwende. Sie prägt unser Verständnis von Sicherheit neu. Als Entwicklungsministerin verstehe ich Sicherheit immer als menschliche Sicherheit – sie bedeutet mehr als körperliche Unversehrtheit. Sicherheit für Menschen bedeutet die Freiheit von Armut, die Fähigkeit, eigene Grundbedürfnisse decken zu können, Ernährungssicherheit. Sie bedeutet auch soziale und wirtschaftliche Sicherheit.

Und diese Sicherheit wird gerade auf vielfältige Weise bedroht – von den Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels, von den noch nicht überwundenen Folgen der Covid-Pandemie und von Angriffen auf die Demokratie, wie wir sie gerade im Niger erleben. All diese Herausforderungen wirken sich global aus.

Und wir können ihnen eben nicht ausschließlich nationalstaatlich oder regional begegnen, sondern nur gemeinsam, auf multilateraler Ebene. Gemeinsam müssen wir uns für Frieden und Menschenrechte, für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und eine sozialverträgliche Wirtschaftsordnung einsetzen. Eine global gerechte Entwicklung liegt in unser aller Interesse. Und dafür müssen auf multilateraler Ebene auch die Interessen unserer aller Länder angemessen vertreten werden. Deshalb ist beispielsweise ein Sitz der Afrikanischen Union bei der G20 längst überfällig, und Deutschland setzt sich hierfür ein.

Was kann ich Ihnen und Ihren Ländern als Entwicklungsministerin konkret anbieten, um eine global gerechte Entwicklung gemeinsam voranzubringen? Ich möchte Ihnen drei Initiativen nennen, die für mich alle beispielhaft dafür stehen, dass wir gemeinsam mehr erreichen.

Erstens, habe ich im Juli die Präsidentschaft der Sahel-Allianz übernommen. Mir ist wichtig, dass die Allianz für die Menschen im Sahel arbeitet. Deshalb muss die Sahel-Allianz einen besonderen Fokus darauf legen, die schwierigen Lebensbedingungen in der Region zu verbessern - jetzt mehr denn je. In meinem Gespräch mit dem ECOWAS-Präsidenten Omar Touray am Mittwoch in Abuja habe ich die Unterstützung der Allianz zugesichert. Als Allianz werden wir in die Grundversorgung der Menschen investieren, in ihren Zugang zu Nahrung und sozialer Sicherung, in ihre wirtschaftlichen Perspektiven. Darauf kommt es an, das konnte ich bei meinem Besuch in Mauretanien diese Woche selbst erleben. Denn all das trägt auch dazu bei, dem Terrorismus in der Region seinen Nährboden zu entziehen. Denn ich weiß von Ihnen: Die Menschen dort schließen sich nicht aus Überzeugung terroristischen Gruppen an, sondern aus schierer Not. Dem wollen wir als Allianz gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern begegnen.

Zweitens, engagiert sich Deutschland weltweit für den Auf- und Ausbau von sozialen Sicherungssystemen. Die Covid-Pandemie genauso wie zahlreiche Naturkatastrophen haben gezeigt: wo ein soziales Netz gespannt ist, kommen Gesellschaften besser durch Krisen. Wenn Menschen sozial abgesichert sind – beispielsweise im Falle von Krankheit oder Armut aber auch einer Pandemie oder Naturkatastrophe – stärkt das Gesellschaften wirtschaftlich und politisch. Deshalb unterstützt Deutschland beispielsweise gemeinsam mit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der Weltbank den UN Global Accelerator on Jobs and Social Protection. Das Programm leistet Partnerländern Unterstützung dabei, ihre soziale Sicherung krisenfest auszubauen.

Drittens, setze ich mich gemeinsam mit weiteren Partnerinnen und Partnern für eine umfassende Reform der Weltbank ein. Das übergeordnete Ziel dieser Reform ist es, den Schutz globaler öffentlicher Güter zu verbessern. Denn Klimaschutz, globale Gesundheit und den Erhalt unserer Biodiversität erreichen wir nicht allein auf nationaler Ebene – sie alle erfordern gemeinsame, multilaterale Lösungen. Und hierbei ist mir besonders wichtig, dass der Schutz globaler öffentlicher Güter nicht gegen die Armutsbekämpfung ausgespielt wird – beides erreichen wir nur im Zusammenspiel. Und beides brauchen wir für eine nachhaltige, eine global gerechte Entwicklung.

Sehr verehrte Exzellenzen, das Leitbild für eine global gerechte Entwicklung haben wir als Weltgemeinschaft bereits formuliert: die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen. In Kürze ziehen wir auf dem SDG-Gipfel die Halbzeitbilanz. Wir wissen schon jetzt, dass der Fortschritt viel zu langsam ist. Aber ich bin überzeugt: Sie sind nicht außer Reichweite, sondern wir müssen unsere Anstrengungen in der zweiten Halbzeit deutlich verstärken. Lassen Sie uns die zweite Hälfte der Agenda 2030 gemeinsam mit Leben füllen. Denn die 17 Nachhaltigkeitsziele sind nicht nur unser Kompass für eine global gerechte Entwicklung. Sie sind auch ein wahrer Meilenstein des Multilateralismus.