1. Juni 2023 Rede von Ministerin Svenja Schulze bei der BMZ-Dialogveranstaltung mit der Zivilgesellschaft zum Thema „Globale Gesundheit und körperliche Selbstbestimmung“

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Bleiben Sie gesund“ … Erinnern Sie sich noch? „Bleiben Sie gesund“ hatte sich während der Corona-Pandemie zu einer alltäglichen Grußformel entwickelt. Man hörte sie beim Bäcker, von der Nachrichtensprecherin, von den Nachbarinnen und Nachbarn, sogar in beruflichen Mails wurde so gegrüßt. Gesund zu bleiben, war alles andere als selbstverständlich, was für viele Menschen neu und beunruhigend war, jedenfalls hier in Deutschland. Weltweit ist das schon lange Realität. Millionen Menschen haben keinen Zugang zu elementarer Gesundheitsversorgung. Wir als internationale Gemeinschaft, als Staat, als Zivilgesellschaft haben das Wissen, um das zu ändern. Wie das konkret zu schaffen ist – darüber möchte ich heute mit Ihnen diskutieren.

„Globale Gesundheit und körperliche Selbstbestimmung“ – so lautet einer der vier Schwerpunkte meiner Arbeit als Entwicklungsministerin.

Mein Ziel ist, dass so viele Menschen wie möglich einen gerechten Zugang zu Impfstoffen, medizinischen Produkten und Gesundheitsversorgung bekommen. Und das ist durch die Covid-19-Pandemie noch schwieriger geworden. Denn sie hat nicht nur in den akuten Phasen die Gesundheitssysteme gefordert und gezeigt, wie wichtig Pandemievorsorge ist.

In vielen Ländern kam es dadurch zu erheblichen Rückschritten bei der Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele, auch bei der Bekämpfung vieler Krankheiten. Zum Beispiel sind die Impfquoten für Krankheiten wie Polio und Masern während der Pandemie gesunken, die Folgen waren Masernausbrüche in Nigeria, Somalia und Äthiopien. Die Zahl der ungeimpften Kinder ist weltweit von 13 Millionen auf 18 Millionen angestiegen. Auch der Zugang zu elementaren Gesundheitsdienstleistungen hat sich an vielen Orten verschlechtert.

Jetzt geht es also darum, die von Covid-19 verursachten Rückschritte wieder aufzuholen. Die Gesundheitssysteme müssen so gestaltet werden, dass sie zukünftige Krisen überstehen. Dass sie flexibel und effektiv reagieren können. Dass sie für alle Menschen zugänglich sind, unabhängig davon, wo sie leben, ob sie arm oder reich oder ob sie Frauen oder Männer sind. Erst dann sind Gesundheitssysteme gerecht. Wie schaffen wir das?

Zunächst einmal gilt: Gesundheit darf keine Frage des Wohnorts sein.

Ein zentraler Ansatzpunkt dafür ist die Frage, ob es Impfstoff- und Pharmaproduktion vor Ort gibt, zum Beispiel in Afrika. Wenn Impfstoffe, Tests und Medikamente lokal hergestellt werden, verringert das erstens die Abhängigkeiten von internationalen Firmen.

Zweitens trägt es zu einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung bei, weil die Gesundheitsprodukte dort hergestellt werden, wo sie gebraucht werden. Wir haben alle in der Pandemie gelernt, wie wichtig es ist, dass sie im Krisenfall direkt zur Verfügung stehen.

Und drittens steigert es die wirtschaftliche Entwicklung in den entsprechenden Ländern. Mein Ministerium unterstützt deshalb das Ziel der Afrikanischen Union, sechzig Prozent der auf dem afrikanischen Kontinent verwendeten Impfstoffe bis 2040 auch dort herzustellen. Besonders eng arbeiten wir mit Ghana, Ruanda, Senegal und Südafrika zusammen, zum Beispiel bei der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften oder durch Kredite für Unternehmen in der Medizinbranche.

Indem wir gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnerinnen und Partnern den Privatsektor stärken und einen fairen Zugang zum Markt ermöglichen, können lokale Firmen ausgebaut und langfristig konkurrenzfähig werden. Das Ziel ist, dass die Menschen das bekommen, was sie brauchen, um gesund zu bleiben – egal wo sie auf der Welt leben.

Zweitens gilt: Gesundheit darf nicht davon abhängen, ob jemand arm oder reich ist.

Das ist besonders wichtig, wenn es um neue Medikamente geht, zum Beispiel gegen sogenannte Vernachlässigte Tropenkrankheiten. Diese Erkrankungen betreffen vornehmlich die Ärmsten der Armen im Globalen Süden. Wir müssen als internationale Gemeinschaft gewährleisten, dass auch neue und oftmals teure Medikamente für die Menschen verfügbar sind, die sie brauchen. Und nicht nur für die, die sie bezahlen können. Insbesondere wo Armut herrscht, fehlt es oft an elementarer Gesundheitsversorgung. Über Klinikpartnerschaften fördert mein Ministerium zum Beispiel die Ausbildung von Fachkräften. Die stärkt die Gesundheitsstrukturen für alle Menschen.

Und auch strukturell setze ich an. So möchte ich unsere Partnerländer dabei unterstützen, soziale Sicherungssysteme auf- und auszubauen. So können auch ärmere Menschen im Fall einer Krankheit oder eines Unfalls versorgt werden, was sie sich sonst nicht hätten leisten können. Sie brauchen ein soziales Sicherungssystem, das sie auffängt. Gesund zu bleiben, darf kein Privileg der Reichen sein.

Und, als dritte und letzte Dimension: Gesundheit darf keine Frage des Geschlechts sein.

Doch für viele Mädchen und Frauen ist Gesundheit alles andere als selbstverständlich. Manche von ihnen werden genital verstümmelt. Viele dürfen nur verhüten, wenn die Eltern oder der Partner es erlauben.

Sind sie außerhalb der Ehe schwanger, werden sie ausgegrenzt, von der Schule geworfen oder sogar von der Familie verstoßen. Um Hilfe bei der Geburt zu bekommen, laufen manche unter Wehen kilometerweit bis zur nächsten Hebamme oder zum Krankenhaus. Häufig haben sie keinen Zugang zu Menstruationsprodukten und dürfen während ihrer Periode nicht am gesellschaftlichen Leben oder dem Schulunterricht teilnehmen.

All das schränkt die Gesundheit und individuellen Rechte von Frauen und Mädchen ein. Und es hindert sie daran, gleichberechtigt am Arbeitsmarkt teilzunehmen und das gesellschaftliche Leben mitzugestalten.

Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu stärken, ist daher zentraler Bestandteil meiner feministischen Entwicklungspolitik. Dabei geht es mir darum, strukturelle Benachteiligungen zu bekämpfen. Und es geht mir darum, das Potenzial von Frauen zur Entfaltung zu bringen. Sie sind als Trägerinnen von Gesundheitswissen und als Fachkräfte im Gesundheitssektor entscheidend. Sie brauchen Rechte, Ressourcen und Repräsentanz.

Feministische Entwicklungspolitik funktioniert nur, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen: unsere Partnerländer, die Zivilgesellschaft vor Ort, und auch die Männer und die traditionellen oder religiösen Führenden.

Gesundheit für alle Menschen – unabhängig von Wohnort, Finanzen und Geschlecht – können wir mit der deutschen Entwicklungspolitik nicht allein erreichen. Wir müssen zusammenarbeiten – mit den verschiedenen Akteuren in unseren Partnerländern und darüber hinaus. Denn Krankheiten halten sich nicht an Landesgrenzen. Es braucht eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, damit die Weltgemeinschaft zukünftig in der Lage ist, sofort und effektiv auf unerwartete Gesundheitskrisen zu reagieren.

Prävention ist eine Überlebensfrage. Das Risiko von erneuten Infektionsausbrüchen und Pandemien ist derzeit enorm. Sie wissen es alle: Die Frage ist nicht, ob die nächste Pandemie kommt, sondern wann – und wie wir damit umgehen.

Die Weltbevölkerung wächst und wird mobiler, die Kontakte zwischen Mensch, Tier und Umwelt nehmen zu. Gleichzeitig geraten Ökosysteme unter Druck. Mein Ministerium treibt deshalb den „One Health“-Ansatz in allen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit voran, um ganzheitliche Lösungen für alle zu finden. Und das kann nur mit Ihnen, mit der Zivilgesellschaft, gelingen. Sie tragen mit Ihrer Arbeit, Ihrer Expertise und Ihrem Engagement wesentlich dazu bei, dass Gesundheit gerechter wird.

Und deshalb interessieren mich Ihre Gedanken, Erfahrungen und Anregungen: Was sind für Sie die aktuellen Prioritäten? Wo möchten Sie, dass sich das Entwicklungsministerium noch stärker engagiert? Was sollte Deutschland aus Ihrer Sicht in die internationalen Absprachen und Gremien mitnehmen? Woran sollten wir intensiver arbeiten, damit wir die Nachhaltigkeitsziele erreichen können?

Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass „Gesund bleiben“ für alle Menschen weltweit eine Selbstverständlichkeit wird.