9. Mai 2023 Das Schlüsseljahr 2023 – Weichenstellungen für die zweite Hälfte der Umsetzung der Agenda 2030
Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Steffi Lemke,
liebe Gäste,
„Die SDGs stecken in großen Schwierigkeiten“, sagt UN-Generalsekretär António Guterres. Mit diesen Worten stellt er seinen aktuellen Bericht zum Stand der 17 Nachhaltigkeitsziele vor und fordert darin einen Rettungsplan für die Menschheit und unseren Planeten. Und in der Tat: Krisen treten aktuell schneller auf, als wir sie lösen können. Uns droht die Zeit davonzulaufen.
Es ist dringend notwendig, mehr Tempo bei der Umsetzung der Agenda 2030 aufzunehmen. Hier einige Beispiele, warum das notwendig ist:
- Die Zahl der Menschen, die hungern, steigt kontinuierlich an – und das auch schon vor Corona und dem russischen Krieg gegen die Ukraine. Laut Prognosen werden im Jahr 2030 über 600 Millionen Menschen von Hunger betroffen sein. 600 Millionen zu viel!
- Die Covid-Pandemie hat nicht nur Millionen Menschenleben gekostet. Sie hat auch dazu geführt, dass sich wieder mehr Menschen mit HIV, Malaria und Tuberkulose anstecken. Zwei Jahrzehnte des Fortschritts bei der Gesundheitsversorgung sind derzeit zum Stillstand gekommen. Darüber hinaus hat die Pandemie die globale Einkommensungleichheit verstärkt.
- Bereits bestehende Ungleichheiten in und zwischen Staaten haben sich noch weiter verschärft. Erstmals seit 25 Jahren haben extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen.
Unsere Welt befindet sich also im Umbruch. Sicher geglaubte Errungenschaften geraten ins Wanken und aus Fortschritten können schnell Rückschritte werden. Es ist Zeit, noch entschlossener zu handeln!
Lassen Sie uns das heutige High-Level-Political-Forum dafür nutzen, der Umsetzung der Agenda 2030 wieder Beine zu machen! Um das zu schaffen, brauchen wir zwei Dinge: Solidarität und Multilateralismus.
Unsere Welt funktioniert nur als Solidargemeinschaft. Die Agenda 2030 verspricht, niemanden zurückzulassen. Als Industrieland, das stark in globale Handelsbeziehungen mit Ländern des Globalen Südens eingebunden ist, haben wir auch eine Verantwortung. Dieser Verantwortung werden wir beispielsweise gerecht, wenn wir Reformprozesse im Sinne der Agenda 2030 in diesen Partnerländern unterstützen, die sie aus eigener Kraft nicht oder noch nicht umsetzen können. Weil die aktuellen Krisen dort zu verringerten finanziellen Spielräumen führen, müssen die Industrieländer Gelder bereitstellen. Dieser Verantwortung wird Deutschland gerecht.
Erstens hat die Bundesregierung den globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken auf den Weg gebracht, um Menschen weltweit gegen Klimarisiken abzusichern. Letzte Woche hat Bundeskanzler Olaf Scholz zwei Milliarden Euro für die Wiederauffüllung des Green Climate Funds zugesagt. Und ich verbinde diese Zusage mit der klaren Erwartung, dass sich auch andere Staaten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einbringen werden, wenn wir im Herbst die Wiederauffüllungskonferenz für den Fonds in Bonn durchführen!
Ein zweites Beispiel ist die Weltbankreform, die ich gemeinsam mit anderen Gouverneurinnen und Gouverneuren der Weltbank vorgeschlagen haben. Ziel der Reform ist es, dass Länder des Globalen Südens einfacher, schneller und zu besseren Konditionen an Kredite herankommen, die auf globale Güter einzahlen. Wenn Länder in Klimaschutz und Nachhaltigkeit investieren, profitiert die ganze Weltgemeinschaft. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wie viele Gelder gemeinsam aus allen verfügbaren Quellen mobilisiert werden können. Sondern auch darum, diese dorthin zu lenken, wo sie am dringendsten benötigt werden und langfristig gesellschaftlichen Nutzen entfalten können. Natürlich müssen dabei die Stimmen aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen berücksichtigt werden – vor allem die der ärmsten und vulnerabelsten Länder!
Um solche tiefgreifenden Reformen durchzusetzen, braucht es unter den Entscheidungsträgerinnen und -trägern den politischen Willen und den Konsens, dass strukturelle Veränderungen eine Frage von Gerechtigkeit sind. Deshalb wird die Weltbankreform ein entscheidender Verhandlungspunkt für die beiden anstehenden Gipfel sein.
Ein wichtiger erster Schritt dahin ist der SDG-Stimulus-Plan der Vereinten Nationen. Er soll Ländern des Globalen Südens mehr fiskalischen Spielraum geben, indem er Schulden umstrukturiert und mehr Entwicklungskredite bereitstellt. Nach einer Schätzung von UNDP könnten die betroffenen Länder dadurch bis 2030 bis zu 120 Milliarden US-Dollar an Zinsen einsparen. Stellen Sie sich mal vor, wie viel sich damit umsetzen ließe! Zum Beispiel im Bereich der sozialen Sicherung.
Denn um die großen globalen Ungleichheiten zwischen Süd und Nord, zwischen arm und reich, zwischen den Geschlechtern oder zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen abzubauen, braucht es mehr soziale Sicherung. Die aktuellen multiplen Krisen haben gezeigt, dass die Erfolge bei den SDGs fragil sind und schnell ausbleiben können. Soziale Sicherung schafft Resilienz gegenüber Krisen. Sie zu unterstützen, ist daher ein starkes Zeichen der internationalen Solidarität.
Diese Solidarität allein wird aber nicht reichen. Imme Scholz wird gleich erläutern, dass nur multilaterale Ansätze die Agenda 2030 noch auf die Zielgerade bringen können. Das zeigt der Weltnachhaltigkeitsbericht. Denn je vernetzter und integrierter die Ansätze sind, Hunger, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen, desto höher ist ihre Wirkung. Dafür muss die multilaterale Zusammenarbeit gestärkt werden.
Das tun wir als Bundesregierung einerseits, indem wir Partnerschaften aufbauen und vertiefen, die auf Respekt und Vertrauen beruhen. Die neue Afrikastrategie meines Ministeriums zeigt, wie solche Partnerschaften gelingen können: Wir schaffen neue Formate der Zusammenarbeit zwischen europäischen und afrikanischen Partnerländern, schmieden strategische Allianzen und setzen uns für mehr Mitsprache afrikanischer Staaten in globalen Foren ein. Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Afrikanische Union bei der G20 an den Tisch zu holen, ist zum Beispiel ein wichtiges Signal des Respekts. Und auch die Ergebnisse der G20 würden besser und fairer, wenn die 55 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union mit einem eigenen Sitz repräsentiert wären. Genau das ist es, was wir in der zweiten Halbzeit der Agenda 2030 brauchen, um die Ziele zu erreichen. Das ist gelebte multilaterale Partnerschaft.
Trotz der aktuell schwierigen geopolitischen Rahmenbedingungen hat Deutschland auch in anderen Bereichen einige beachtenswerte Erfolge auf multilateraler Ebene erzielen können, die direkt auf die SDGs einzahlen. Ich denke da neben der bereits genannten Weltbankreform vor allem an das Meeresschutzabkommen, das unter deiner Federführung, liebe Steffi Lemke, im Frühjahr in New York erfolgreich ausgehandelt wurde. Auch hier führt Multilateralismus zum Schutz globaler Güter. Ich kann daher mit Gewissheit und Zuversicht sagen: Die von vielen heraufbeschworene Krise des Multilateralismus ist nicht eingetreten – die internationale Politik ist handlungsfähig.
Neben diesen zwischenstaatlichen Ansätzen braucht es auch mehr Initiativen auf der lokalen Ebene und von der Zivilgesellschaft.
Zwei Drittel der SDG-Unterziele können nur durch lokales Engagement erreicht werden. Deshalb ist es wichtig, dass deutsche Städte ihre Beiträge zur Agenda 2030 leisten und hier vorstellen.
Partnerschaftliche Ansätze verfolgen wir natürlich auch mit Ihnen, als Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft und ich bin mir sicher, dass im Verlauf der heutigen Veranstaltung hierzu noch viele Ideen diskutiert werden.
Meine Damen und Herren, die heutige Konferenz ist eine wichtige Etappe, um unsere Positionen für das High Level Political Forum im Juli und für den SDG-Gipfel im September anzureichern. Was heute hier besprochen wird, berücksichtigen wir in den jetzt anlaufenden Verhandlungen der gemeinsamen politischen Erklärung des SDG-Gipfels sowie in den weiteren Gesprächsrunden mit unseren Partnerländern. Lassen Sie uns heute diskutieren, wie wir international mehr Solidarität und Vernetzung erreichen.
Denn: eine echte Transformation braucht uns alle.