21. November Rede von Bundesministerin Svenja Schulze bei der Konferenz „Spirituelles Erbe und geerbte Konflikte – Indigene und ihre Religionsfreiheit“

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Gäste,

woran glauben Sie eigentlich? Glauben Sie an den Weihnachtsmann oder das Christkind? Versuchen Sie, Ihre Kinder in diesem Glauben zu bestärken? Glauben Sie an eine Göttin oder gleich mehrere? Ans Schicksal, den Zufall oder die Kraft des Karma?

Ich setze mich dafür ein, dass jeder und jede seinen Glauben frei und ohne Repressionen leben kann. Und ganz besonders tust Du das, lieber Frank Schwabe, und zwar mit großem Engagement. Als Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit setzt Du dich weltweit dafür ein, dass Menschen in ihrer Freiheit nicht beschränkt werden.

Und so auch für die Rechte indigener Völker. Bei ihnen sind Glaube, Spiritualität und angestammtes Territorium eng miteinander verbunden. So wird etwa in vielen indigenen Weltanschauungen keinen Unterschied gemacht zwischen Menschen und Umwelt: Sie sind nicht voneinander trennbar, sondern Teil eines Ganzen. Daher haben indigene Völker oft einen umfangreichen Wissensschatz, aber auch einen anderen Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen als der Rest der Gesellschaft – etwa auf den Klimawandel und den Umgang mit der Natur.

Und doch hören viel zu große Teile der Politik Indigene noch zu wenig. Ihre Stimmen werden bei Entscheidungen nicht gehört und ihre Belange nicht ausreichend repräsentiert. Ihnen werden die Maßstäbe der Gesamtgesellschaft übergestülpt. Oder schlimmer noch, sie werden ihrer Grundrechte beraubt. Ich denke hier beispielsweise an den Kampf für Landrechte von indigenen Völkern im brasilianischen Regenwald oder die Gewalt gegen politisch aktive Indigene in den Philippinen. Häufig führt die Ausbeutung natürlicher Ressourcen dazu, dass indigene Völker von ihren Territorien vertrieben werden.

Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Auch für ihr Recht auf Religionsfreiheit. Denn für viele indigene Gruppen spielen angestammte Gebiete und natürliche Ressourcen auch für das Ausleben ihres Glaubens eine wichtige Rolle. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen.

In der Stadt Barillas in Guatemala sollte ein Wasserkraftwerk gebaut werden, das den Fluss umleitet. Dadurch wären aber auch Wasserfälle zerstört worden. Wasserfälle, die ein spiritueller und heiliger Ort für das dortige indigene Volk der Q´anjobal sind. Hierher kommen die Ältesten, die spirituellen Führer, um sich mit der kosmischen Energie zu verbinden. In der indigenen Weltansicht ist Wasser keine wirtschaftliche Ware, sondern ein integraler Teil der Natur und ihres spirituellen Erbes. Entsprechend groß war daher auch ihr Widerstand gegen das Projekt.

Wenn Indigene keinen Zugang mehr zu ihren Ahnen haben, sich nicht mehr mit ihrer Mitwelt verbunden fühlen können, dann nehmen Konflikte innerhalb der Gemeinschaften, Krankheiten und Suizide massiv zu. Man könnte daher den Verlust ihrer Territorien, die Zerstörung der Regenwälder und die Verschmutzung der Flüsse durchaus vergleichen mit der Zerstörung von Kirchen, dem Verbot von religiösen Feiertagen, von Beerdigungen und des Tragens von religiösen Symbolen. Das zu verstehen ist wichtig.

Die deutsche Bundesregierung setzt sich für die Rechte Indigener ein. Die deutsche Ratifizierung der ILO-Konvention 169 zum Schutz der Rechte indigener Völker ist ein starkes außen- und entwicklungspolitisches Signal. Denn in dieser Konvention ist das Selbstbestimmungsrecht klar verankert, das auch explizit die spirituelle Ausrichtung umfasst.

Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Im Kern bedeutet es, dass jedes Individuum frei darüber entscheiden kann, eine Religion oder Weltanschauung anzunehmen, zu wechseln oder abzulegen – ohne Angst vor Verfolgung oder Diskriminierung. Dieses Menschenrecht zu wahren und umzusetzen, sowohl in Deutschland als auch in unseren Partnerländern, ist uns als Bundesregierung ein Anliegen.

Deshalb gibt es in Deutschland seit 2018 einen Beauftragten der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Und mit Frank Schwabe haben wir einen Beauftragten, der diese Tätigkeit mit viel Herzblut und Engagement ausübt. Frank, Du rückst die schwierige Situation religiöser und indigener Akteurinnen und Akteure in den Fokus. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen und nochmal sagen: Danke für Deine wichtige Arbeit!

Das zeigt auch die heutige Veranstaltung, zu der ein Publikum mit breiter Expertise gekommen ist. Es geht darum, die Verbindungen zwischen Religions- und Weltanschauungsfreiheit und indigenen Rechten zu erkunden. Und auch, wie wir dazu beitragen können, dass auch indigene Völker ihren Glauben frei, selbstbestimmt und ohne Einschränkungen ausleben können. Ich wünsche Ihnen eine interessante und aufschlussreiche Diskussion und bin gespannt auf Ihre Anregungen!