7. September 2022 Frauen auf der Flucht brauchen gleichberechtigte Möglichkeiten der Teilhabe

Rede von Entwicklungsministerin Svenja Schulze beim Aktionsnetzwerk Frauen auf der Flucht in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Mitglieder und Partner*innen des Netzwerks,
liebe Gäste,

100 Millionen Menschen gelten aktuell als Vertriebene – Vertriebene innerhalb des eigenen Landes oder über Grenzen hinweg. Das ist eine Zahl, die unsere Vorstellungskraft übersteigt. Ein Abflachen dieser globalen Flüchtlings- und Migrationsbewegungen ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Die Weltbank schätzt, dass die Klimakrise in den kommenden Jahrzehnten mehr als doppelt so viele Menschen dazu zwingen könnte, die Heimat zu verlassen.

Jede und jeder von uns hat Bilder vor Augen von Frauen, Männern und Kindern auf der Flucht – wir kennen sie aus den Medien, aus Berichten von Zeuginnen und Zeugen oder gar aus eigener Erfahrung. Fluchterfahrungen sind oft schmerzlich, gerade für Frauen und Mädchen. Sie werden vergewaltigt, ausgebeutet, verfolgt und diskriminiert. In Bogota habe ich kürzlich Frauen getroffen, die aus Venezuela nach Kolumbien geflüchtet sind. Sie haben mir von ihren wirklich grausamen Erfahrungen berichtet. Es hat mich darin bestärkt, konsequent für Frauenrechte einzutreten.

Als Entwicklungsministerin ist mir die Gleichstellung ein ganz besonderes Anliegen. Deshalb habe ich die feministische Entwicklungspolitik zu einem Schwerpunkt meiner Arbeit gemacht. Das heißt, auch in der Flüchtlingspolitik werde ich Mädchen und Frauen besonders in den Blick nehmen. Und ihnen meine Stimme geben.

Ich stelle dabei drei Aspekte in den Vordergrund.

Erstens, die Wahrung und Stärkung der Menschenrechte. Wenn eine Mutter ihr Kind nicht zur Schule schicken kann, ihr selber der Arztbesuch verwehrt wird und sie keiner Beschäftigung nachgehen darf – dann beraubt man sie ihrer Menschenrechte. Menschenrechte aber gelten universell! Deshalb unterstützt das Bundesentwicklungsministerium Frauen und Mädchen direkt vor Ort in den Aufnahmegemeinden, indem wir etwa Bildung und Gesundheitsdienste finanziell fördern. Wir setzen uns in unseren Partnerländern dafür ein, dass Menschen auf der Flucht die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben im Aufnahmeland erhalten – unabhängig von ihrem rechtlichen Status.

Zweitens, ein gleicher Zugang zu Ressourcen. Frauen auf der Flucht leben besonders häufig unter prekären Bedingungen: Viele haben kein gesichertes Einkommen, keinen Zugang zu einem Bankkonto, sie kennen weder ihre Rechte noch verstehen sie die Sprache ihres Aufnahmelandes.

Daher finanziert mein Ministerium in Partnerschaft mit dem Women’s Peace and Humanitarian Fund der Vereinten Nationen lokale Projekte für Frauen auf der Flucht. Darüber bekommen zum Beispiel Frauen im Jemen Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten und Rechtsberatung. Ihre unternehmerischen Fähigkeiten werden geschult und sie erhalten Unterstützung dabei, diese möglichst gewinnbringend einzusetzen. Damit stärken wir Frauen als gleichberechtigte Akteurinnen.

Beim dritten Aspekt geht es darum, dass Frauen auf der Flucht angemessen repräsentiert werden und Einfluss nehmen können. Frauen mit Fluchtgeschichte wird politische Teilhabe meist verwehrt. Entscheidungen, die sie selbst betreffen, können sie oft nicht mitgestalten. Deshalb müssen wir die Frage beantworten: Welche Strukturen braucht es, damit Entscheidungen nicht nur für Frauen auf der Flucht getroffen werden, sondern auch von Frauen mit Fluchterfahrung? Deshalb unterstützen wir gezielt Organisationen, die von Betroffenen selbst geführt werden. Denn sie kennen die Herausforderungen am besten. Frauen können für sich selbst sprechen. Und sie wollen mitentscheiden.

Ich mache mich stark für eine Entwicklungspolitik, die Frauen auf der Flucht eine Teilhabe auf allen politischen Ebenen ermöglicht – gemeinsam mit dem Aktionsnetzwerk und seinen Verbündeten wie beispielsweise das UN-Flüchtlingshilfswerk und UN Women.

Gestern haben Sie sich mit Mitgliedern des Bundestags darüber ausgetauscht, wie mehr Teilhabe von Frauen politisch unterstützt werden kann. Eine feministische Flüchtlingspolitik ist ein Paradigmenwechsel. Diesen brauchen wir, um gemeinsam die Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen auf der Flucht zu stärken.

Um dies zu erreichen,

  • wird mein Ministerium noch stärker Initiativen fördern, die Betroffene als selbstbestimmte Akteurinnen und Akteure direkt beteiligt. Wir werden Bemühungen unserer Partnerländer für eine gleichberechtigte Teilhabe unterstützen.
  • Beim Globalen Flüchtlingsforum 2023 werde ich mich für eine feministische Flüchtlingspolitik einsetzen. Mein Ministerium wird Menschen und insbesondere Frauen auf der Flucht in strategische Prozesse einbeziehen – beispielsweise wenn es darum geht, Aktionspläne auszuarbeiten oder Fördermittel zu vergeben. Ich möchte andere Länder und Partner aufrufen, es uns gleichzutun.

Verehrte Gäste, lassen Sie uns heute gemeinsam sondieren, wie wir Frauen und Mädchen auf der Flucht noch zielgerichteter unterstützen können. Ich freue mich sehr, dass nicht nur die Mitglieder des Aktionsnetzwerks heute bei uns sind, sondern auch so viele Verbündete, wie zum Beispiel das Netzwerk Global Independent Refugee Women Leaders. Lassen Sie uns diese Chance nutzen und Frauen mit Fluchtgeschichte in all ihrer Diversität Raum geben! Ich danke den Netzwerkmitgliedern, dass sie hierher angereist sind. Ihre Erfahrungen und konkreten Empfehlungen sind wichtig für mich. Denn mit einer feministischen Entwicklungspolitik können wir neue Wege der Teilhabe aufzeigen und gemeinsam beschreiten!

Vielen Dank!