7. September 2022 Debatte über den Haushalt 2023: Rede von Entwicklungsministerin Schulze im Deutschen Bundestag

Entwicklungsministerin Svenja Schulze während ihrer Rede in der Debatte über den Haushalt 2023 im Deutschen Bundestag am 7. September 2022

Es gilt das gesprochene Wort!
Eine druckbare Version der Rede (PDF 73 KB, barrierefrei) finden Sie hier (Externer Link).


Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben es heute schon mehrfach betont, ich will es aber noch mal sagen: Wir leben in wirklich schwierigen Zeiten, in Zeiten, in denen sich mehrere Krisen überlappen und gegenseitig verstärken, die, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Klimawandel und die fortwährende Coronapandemie und ihre Folgen, der Welt wirklich große Probleme bereiten.

Es sind Zeiten, in denen immer klarer wird: Das, was anderswo in der Welt geschieht, betrifft auch uns hier in Deutschland, unsere Sicherheit, unsere Zukunft, unsere Lebensqualität.

Die Menschen in Deutschland erleben, dass Dinge des alltäglichen Lebens rar und teuer werden. Sie sehen die vielen Frauen und Kinder, die aus der Ukraine flüchten mussten, die hier ankommen und Schutz suchen. Sie spüren die Hitze, die durch den Klimawandel immer neue Rekorde erreicht, und sie bangen, welche Folgen der Gasmangel hat, welche Folgen vergiftete Flüsse haben können. Mehr denn je erleben die Menschen in Deutschland unmittelbar in ihrem Alltag, wie viele Einschränkungen, wie viel Leid, wie viel Unsicherheit und Gefahren mit solchen Krisen einhergehen und wie viel sie uns abverlangen, wie viel sie belasten, wie viel sie kosten – als Gesellschaft, aber eben auch ganz konkret jeden und jede Einzelne von uns. Und jeder – jedenfalls jede Sozialdemokratin, jeder Sozialdemokrat – erlebt, was das für die Menschen bedeutet und wie hart das ist.

Es ist verführerisch, sich in so einer schwierigen Zeit auf die eigenen Probleme und das direkte Umfeld zu konzentrieren. Aber genau das wäre jetzt absolut fatal; denn die Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, lassen sich nicht durch ein Kopf-in-den-Sand-Stecken lösen, und sie lassen sich auch nicht rein militärisch lösen. Die Zeitenwende erfordert mehr denn je strategischen Weitblick, globale Solidarität und enge Zusammenarbeit von Deutschland mit internationalen Partnern; denn nur gemeinsam mit ihnen kann die Bundesregierung globale Krisen entschärfen und ihre komplexen Ursachen angehen – und alles dafür tun, dass nicht ständig neue Krisen entstehen.

Es ist sehr wichtig, zu verstehen: Auch Deutschland und Europa profitieren davon, wenn sich die Sicherheitslage und der Lebensstandard in Entwicklungsländern verbessern. Entwicklungspolitik ist daher auch ein unabdingbarer Teil einer umfassenden, einer vorausschauenden und wirksamen Sicherheitsstrategie für Deutschland.

Dafür braucht Deutschland eine starke Entwicklungspolitik. Armut, Hunger und fehlende Chancen sind ein idealer Nährboden für Unzufriedenheit, für Konflikte und für Kriege. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit setzt daher an der Wurzel an, nämlich bei der globalen Ungerechtigkeit. Gerade jetzt gilt es, den Schwächsten zu helfen. Gerade jetzt gilt es, niemanden zurückzulassen. Es ist nicht egal, wie es den Menschen anderswo geht.

Die Herausforderungen nehmen massiv zu. Sie alle hier wissen, wie schwer es ist, das mit einem schrumpfenden Haushalt zusammenzubringen. Deshalb hat die Bundesregierung im Einzelplan 60 eine Krisenvorsorge vorgesehen, um Krisen wirksam vorzubeugen und die Folgen des russischen Angriffskrieges abfedern zu können. Und ich sage Ihnen: Wir brauchen diese Vorsorge für die Entwicklungspolitik auch. Ich setze hier auf Ihre Unterstützung.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer stellen sich der russischen Invasion entgegen, und sie verteidigen ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Die Bundesregierung wird ihnen, wie Olaf Scholz noch mal unterstrichen hat, so lange, wie es nötig ist, zur Seite stehen. Dazu unterstützt mein Ministerium weiterhin unsere ukrainischen Partner. Es geht auch jetzt schon darum, geflüchteten Menschen ein Dach über dem Kopf, Heizung, Wasser und Strom zu geben. Es geht darum, Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen oder Familien bei der Traumabewältigung zu begleiten. Natürlich gehört auch schon der Wiederaufbau der Ukraine dazu, und das wird – ich glaube, das ist uns allen bewusst – eine immense Aufgabe sein.

Akute Not gibt es an vielen Orten der Welt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat unter anderem zu verheerenden Preissteigerungen und globalen Lieferengpässen bei Nahrungsmitteln geführt. Hunger ist wirklich grausam. Ihn wie Putin als Waffe gegen unschuldige Menschen einzusetzen, ist entsetzlich und ein Verbrechen.

Es ist daher gut, dass im neuen Entlastungspaket auch eine Milliarde Euro zur Bewältigung der internationalen Ernährungskrise noch in diesem Jahr vorgesehen ist. Denn diese Entwicklung ist dramatisch, und sie ist nur ein Vorbote dessen, was uns 2023 erwartet. Um eine weltweite Hungerkrise abzuwenden, hat Deutschland das Bündnis für globale Ernährungssicherheit mit gegründet. Das Bündnis wird zusätzliche Mittel für den Kampf gegen den Hunger mobilisieren und die internationalen Anstrengungen in diesem Bereich bündeln. Gleichzeitig hat das Bündnis auch langfristige Ziele: Die Nahrungsmittelproduktion soll klimaangepasst, nachhaltiger und widerstandsfähiger werden.

Um Menschen vor Hunger und Armut zu schützen, braucht es weltweit mehr soziale Sicherungsthemen. Es braucht auch die Frauen in der Gesellschaft; denn geschlechtergerechte Gesellschaften sind nicht nur gerechter, sie sind auch widerstandsfähiger.

Davon konnte ich mich erst vor Kurzem in Kolumbien überzeugen. Besonders ein Gespräch mit Menschen, die vom Verschwindenlassen ihrer Angehörigen betroffen sind, war wirklich beeindruckend; es ging mir sehr nahe.

Dabei ist sehr deutlich geworden: Durch unsere Zusammenarbeit können wir aus Opfern von Gewalt Gestalterinnen und Gestalter der Versöhnung machen. Nur so kann nachhaltige Entwicklung wirklich gelingen: wenn alle Menschen gleiche Chancen, Unterstützung in Notlagen und ein gutes Leben haben können. Die deutsche Entwicklungspolitik trägt maßgeblich dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unseren Partnerländern und ihre Resilienz zu stärken.

Die Welt schaut auf Deutschland, und sie schaut genau hin, wie wir alle uns in dieser Zeitenwende verhalten und positionieren. Es ist wichtig, dass wir die Ukraine unterstützen und auch die vielen Menschen in den schwelenden Krisen abseits des Scheinwerferlichtes, wie zum Beispiel in dem wieder aufflammenden Krieg in Äthiopien. Auch sie brauchen unsere Hilfe. Wir wollen die Zusammenarbeit in Europa verstärken und gleichzeitig auch die Partnerländer außer[1]halb Europas im Blick behalten.

Mehr denn je muss Deutschland jetzt zeigen: Die Solidarität der Tat gilt auch für den Globalen Süden. Wir stehen zu unserer globalen Verantwortung, zu unserem Versprechen und zu den Zielen der Agenda 2030. Deutschland steht an der Seite unserer Partnerländer – auch in diesen schwierigen Zeiten. Das ist auch unser unmittelbares Interesse; denn es geht darum, die strukturellen Veränderungen, die jetzt erforderlich sind, ein[1]zuleiten und umzusetzen, um die menschliche Sicherheit nachhaltig und weltweit zu verbessern. Deutschland braucht eine starke Entwicklungspolitik, und ich hoffe da auf Ihre weitere Unterstützung.

Vielen Dank.