22. Juni 2022 Entwicklungspolitik in Zeiten multipler Krisen

Rede von Bundesministerin Svenja Schulze beim Jahresempfang der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Gönner,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
sehr geehrte Damen und Herren,

ein gutes halbes Jahr bin ich nun Entwicklungsministerin. Und mir war von Anfang an klar, dass der deutschen Entwicklungspolitik große Aufgaben bevorstehen. Die Covid-19-Pandemie hat in den letzten zwei Jahren gerade in ärmeren Ländern zu einer Polypandemie geführt, mit gesundheitlichen, aber auch mit wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Die Umsetzung unserer Weltzukunftsverträge, der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens, wurde somit immer schwieriger.

Ich habe mir daher zu Beginn meiner Amtszeit vier Schwerpunkte für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit gesetzt:

Erstens: Die strukturellen Ursachen von Hunger, von Armut und von Ungleichheit anzugehen.

Zweitens: für die globale Herausforderung des Klimawandels im Rahmen einer Just Transition sozial gerechte Antworten zu geben.

Drittens: künftige Pandemien zu vermeiden und im Fall der Fälle mit funktionierenden Gesundheitssystemen besser vorbereitet zu sein.

Und viertens: eine feministische Entwicklungspolitik umzusetzen, um strukturelle Ungleichheiten und Diskriminierungen zu beseitigen.

Heute bin mir sicher: Diese Themen sind und bleiben wichtig – gerade und erst recht vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und dessen Folgen für Millionen Menschen weltweit. Putins Krieg ist für die Ukrainerinnen und Ukrainer eine Tragödie, ein Unglück ungeheuren Ausmaßes. Um die Menschen so gut es geht zu unterstützen, haben wir im Entwicklungsministerium Ende Februar schnell und zielgerichtet mit einem Sofortprogramm reagiert. Dies war auch deshalb möglich, weil wir uns auf die seit 1993 bestehende Zusammenarbeit mit der Ukraine stützen konnten. Das Sofortprogramm umfasst rund 185 Millionen Euro und wird insbesondere mit der GIZ und der KfW über lokale Partner umgesetzt – vorrangig über Partnerkommunen und den ukrainischen Katastrophenschutz. Und dies zeigt eine Stärke der Entwicklungszusammenarbeit: die Vernetzung vor Ort.

Und diese Vernetzung werden wir auch beim Wiederaufbau der Ukraine brauchen. Ich werde Anfang Juli nach Lugano fahren, um auf Einladung der Ukraine und der Schweiz über den Wiederaufbau- und Entwicklungsplan der Ukraine sowie die Beiträge der internationalen Partner zu beraten. Es wird einer weltweiten Koordinierung bedürfen, um den Wiederaufbau und die Entwicklung der Ukraine nach dem Krieg voranzubringen.

Auswirkungen des Kriegs sind auch weit über die Grenzen der Ukraine hinaus zu spüren. Unterbrochene Lieferketten, steigende Energie- und Nahrungspreise treffen Millionen von Menschen weltweit – und gerade die Ärmsten ganz besonders hart.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung am 27. Februar von einer Zeitenwende gesprochen und deutlich gemacht: In Zeiten multipler, einander verstärkender Krisen gilt es nicht nur „akut Feuer zu löschen“. Es ist von zentraler Bedeutung, auch die strukturellen Ursachen von Konflikten und Krisen anzugehen. Nur so kann vermieden werden, dass ständig neue Brandherde entstehen und um sich greifen. Die deutsche Entwicklungspolitik muss dazu beitragen können, die menschliche Sicherheit nachhaltig zu verbessern – und zwar umfassend. Es geht dabei also nicht nur um physische Sicherheit, sondern auch um Aspekte wie Ernährung, Gesundheit, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Geschlechtergleichstellung.

Und dies bringt mich zurück zu meinen vier Schwerpunkten: So gewinnt gerade das Thema Ernährungssicherheit durch den Krieg in der Kornkammer der Welt an zusätzlicher Dringlichkeit. Es ist zu befürchten, dass die Welt vor der größten Hungerkrise seit Jahrzehnten steht. Im Mai habe ich daher das Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen – gemeinsam mit den G7-Entwicklungsministerinnen und -ministern und der Weltbank. Und die Afrikanische Union waren die ersten, die dabei waren. Wir verfolgen damit drei Ziele: Das Bündnis soll

  • bestehende Strukturen zur Bekämpfung von Hunger zusammenbringen und besser koordinieren,
  • zusätzliche Unterstützung mobilisieren und
  • das weltweite Wissen so zusammenbringen, dass es auch in Handeln umgesetzt werden kann.

Die weltweite Ernährungssicherheit zu verbessern, ist dabei nicht nur ein humanitäres Gebot, sondern auch zentral für weitere Krisenprävention. Denn wie eine aktuelle Studie kürzlich die Lage zusammenfasste: „Wenn wir die Menschen nicht ernähren, dann nähren wir den Konflikt.“

Es gilt jedoch, Armut und Hunger nicht nur akut zu lindern. Wir müssen deren Bekämpfung auch strukturell angehen. Hierfür müssen wir die Volkswirtschaften unserer Partnerländer dabei unterstützen, resilient also widerstandsfähig, nachhaltig und klimafreundlich zu werden.

Und das leitet über zu meinem zweiten Schwerpunkt, der „Just Transition“. Weltweit nehmen Extremwetterereignisse zu. Biodiversität geht verloren und damit auch unsere Lebensgrundlage. Die klimaneutrale Transformation ist also unumgänglich und dringend erforderlich. Ein wichtiger Teil davon ist die globale Energiewende. Eine nachhaltige Versorgung mit erneuerbaren Energien ist aber nicht nur mit Blick auf die Klimaneutralität, sondern auch auf die weltweite Energiesicherheit von zentraler Bedeutung. Das BMZ wird daher den Ausbau erneuerbarer Energien weltweit noch schneller und entschiedener vorantreiben. Dafür werde ich vielversprechende Ansätze wie die Just Energy Transition Partnership um weitere Klima- und Entwicklungspartnerschaften erweitern.

Die Transformation wird jedoch nur gelingen, wenn sie auch sozial gerecht gestaltet wird. Dazu gehört, dass den Menschen zugleich Einkommen und wirtschaftliche Perspektive gesichert werden. Nur so kann dieser dringende Umbau schnell umgesetzt werden, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden.

Und wie fragil der gesellschaftliche Zusammenhalt ist, erleben wir auch durch die Folgen der Covid-19-Pandemie. Deswegen habe ich mir als dritten Schwerpunkt vorgenommen, die Pandemie und ihre Folgen zu bekämpfen sowie künftigen Pandemien vorzubeugen. Akut bedeutet das, die Covid-19-Impfkampagnen weltweit zum Erfolg zu bringen. Dazu gehört, logistische Probleme zu lösen, Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen, aber auch die ärmsten Länder beim Einkauf von Impfstoffen und beim Aufbau eigener Impfstoffproduktionen umfassend zu unterstützen.

Der Aufbau von Infrastruktur ist mir dabei besonders wichtig. So werden globale Gesundheitssysteme gestärkt und künftige Pandemien hoffentlich verhindert.

Meine erste Reise außerhalb Europas hat mich daher nach Ruanda geführt. Dort habe ich gemeinsam mit dem ruandischen Gesundheitsminister, der ruandischen Bildungsstaatsministerin und dem Verantwortlichen für Internationale Partnerschaften bei BioNTech den Startschuss für die Qualifizierung von Arbeitskräften für die geplante Impfstoffproduktion in Ruanda gegeben. Wenn es uns gelingt, den afrikanischen Kontinent mit hochwertigen Impfstoffen made in Africa zu versorgen, dann ist das eine gute Versicherung auch gegen künftige Pandemien und andere Krankheiten.

Alle drei Schwerpunkte haben etwas gemein: Zur Umsetzung braucht es starke Frauen! Und deswegen will ich mit einer feministischen Entwicklungspolitik strukturelle Ungleichheiten und Diskriminierung angehen und Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit gezielt stärken. Dazu gehört, dass wir auch gegenüber wertekonservativen Partnern Frauenrechte ansprechen; dass wir die Erfahrungen, Bedarfe, Beiträge und Potenziale von Frauen und Mädchen sichtbar machen; und dass wir ein verstärktes Augenmerk auf mehrfach diskriminierte Gruppen legen. Denn gerade in Zeiten multipler Krisen gilt es, alle Menschen an Veränderungsprozessen teilhaben zu lassen und sie für nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren.

Angesichts der vielen, sich überlappenden und gegenseitig verstärkenden Krisen, braucht es eine starke Entwicklungspolitik. Und dafür war es wichtig, dass der Deutsche Bundestag mit Unterstützung der Zivilgesellschaft in den Haushaltsberatungen für 2022 die drohenden Kürzungen abgewendet hat. Damit Deutschland auch in Zukunft einen angemessenen Beitrag zur Agenda 2030 leisten kann, brauchen wir auch für die nächsten Jahre ein angemessenes Budget. So kann die Entwicklungspolitik nachhaltige, strukturelle Veränderungen schaffen und künftige Krisen verhindern helfen.

Es beeindruckt mich, wie sehr Sie das Bundesentwicklungsministerium dabei unterstützen, diese Politik tagtäglich in die Praxis umzusetzen. Natürlich müssen wir unsere gemeinsame Arbeit immer wieder an die sich wandelnden Rahmenbedingungen und Herausforderungen anpassen. Mir ist bewusst, dass dies allen Beteiligten einen hohen Einsatz und manchmal zusätzlich eine gute Portion Mut abverlangt – zumal in vielen unserer Partnerländer die Arbeitsbedingungen oft schwierig, teils sogar gefährlich und auch persönlich belastend sein können.

Daher ist es mir wichtig, weiterhin mit Ihnen im engen Austausch zu bleiben. Ihr Erfahrungsschatz, Ihre Netzwerke und Einschätzungen sind zentral für eine wirksame Entwicklungspolitik, die Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Frieden fördert.

Vielen Dank!