6. April 2022 Rede von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze vor dem Deutschen Bundestag in Berlin

Anlässlich des 30. Jahrestages des Kriegsbeginns in Bosnien-Herzegowina

Es gilt das gesprochene Wort!
Eine druckbare Version der Rede (PDF 77 KB, barrierefrei) finden Sie hier (Externer Link).
Eine Videoaufzeichnung der Rede finden Sie hier (Externer Link).

Frau Präsidentin,
liebe Kollegen und Kolleginnen,

der Krieg des russischen Präsidenten Putin gegen die Ukraine ist der erste Angriffskrieg in Europa gegen ein anderes Land seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist aber nicht der erste Krieg auf europäischem Boden seit 1945. Bereits 1991 hatten bittere Kriege im zerfallenden Jugoslawien begonnen, erst in Slowenien, dann in Kroatien.

Heute vor 30 Jahren begann dann ein Krieg im „Herzen des multi-ethnischen Balkans“ – der erbarmungslose Krieg in Bosnien-Herzegowina. Und es ist gut, dass wir heute hier im Bundestag daran erinnern. Der Krieg hat fast vier Jahre gewütet, in dem mehr als 100.000 Menschen ihr Leben verloren, über 20.000 Frauen systematische Massenvergewaltigungen erleiden mussten und über zwei Millionen Menschen vertrieben wurden. Die Massaker von Srebrenica, das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden Jahre später vom Internationalen Gerichtshof als Völkermord bewertet. Ende 1995 konnte mit dem Dayton-Abkommen dieser grausame Krieg beendet und eine fragile Balance in einem komplizierten Staatsgebilde geschaffen werden.

Heute, 30 Jahre später, blicken wir wieder auf bedrohliche Entwicklungen in Bosnien-Herzegowina. Im Dezember 2021 hat das Regionalparlament der Republik Srpska alle seit 1995 vollzogenen Kompetenzübertragungen auf den Gesamtstaat rückgängig gemacht und innerhalb von sechs Monaten eigene Institutionen geschaffen. Dies betrifft alle Bereiche – wie etwa die Streitkräfte, das Justizwesen oder die Steuerverwaltung.

Diese Abtrennungsbestrebungen der Republik Srpska beobachte ich mit großer Sorge. Sie gefährden nicht nur die Stabilität in Bosnien-Herzegowina. Gerade in der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine drohen hier Kettenreaktionen auf dem Westbalkan und darüber hinaus.

Was bedeutet das nun für unsere Entwicklungszusammenarbeit? Es bedeutet, jetzt und entschlossen Konsequenzen zu ziehen. Mir sind dabei drei Punkte wichtig:

Im Schulterschluss mit der EU-Kommission müssen Konsequenzen aus dem nationalistischen Abspaltungskurs gezogen werden. Dafür setzt sich mein Ministerium ein. Wir setzen die Vorbereitung von vier Infrastrukturmaßnahmen in Höhe von 105 Millionen Euro in der Republik Srpska aus, bis alle Sezessionsbestrebungen zurückgenommen werden.

Bosnien-Herzegowina muss weiter unterstützt werden, um widerstandsfähiger gegen Einflussnahme von außen zu werden. Das Land hat trotz der offenen Wunden aus der Vergangenheit gemeinsam mit internationalen Partnern erste Grundlagen für einen funktionierenden Staat gelegt und es hat die Lebensverhältnisse der Menschen deutlich verbessert.

Die Entwicklungszusammenarbeit setzt hier an und wir werden Bosnien-Herzegowina auch künftig fördern. Dabei haben wir bereits beachtliche Fortschritte gemacht. Die Bundesregierung hat seit 1999 833 Millionen Euro bereitgestellt. Damit ist ganz konkret vor Ort geholfen worden. Damit wurden die Strom- und Wasserversorgung wieder aufgebaut, Wasserkraftwerke wieder betriebsfähig gemacht, Schulen gebaut, Familien bei der Rückkehr unterstützt, ein Steuer- und ein Katastersystem aufgebaut. Über Jugendprojekte wurde Trauma- und Versöhnungsarbeit angeboten, um die Wunden, die der Krieg geschlagen hat, zumindest für diese Generation abzumildern.

Deutschland kooperiert in der Entwicklungszusammenarbeit mit Bosnien-Herzegowina auch zu globalen Herausforderungen wie der sozial-gerechten Energiewende. Wir fördern kleine und mittlere Unternehmen mit Investitionen in Beschäftigungsmöglichkeiten und in energieeffiziente Technologien. Mit deutscher Unterstützung wurde 2018 der erste Windpark des Landes in der Nähe der Stadt Mostar finanziert, weitere Windparks sind in Planung. Wie wichtig eine unabhängige Energieversorgung ist, sehen wir gerade jetzt! Und genauso wie die Regierung in Deutschland sich darum kümmert, Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas herauszukommen, brauchen wir auch für Länder wie Bosnien-Herzegowina zum Beispiel einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien.

Mein dritter Punkt: Wir unterstützen als Bundesregierung die EU-Annäherungsprozesse auf dem Balkan und in der östlichen Nachbarschaft. Dies sind wir nicht zuletzt den Opfern des Krieges und den Menschen in der Region schuldig, die sich nach Frieden, die sich nach Sicherheit und Wohlstand sehnen. Die Europäische Union steht für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte. Diese Werte werden durch das geschlossene Handeln der EU geschützt und verteidigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Russland hat in den vergangenen 30 Jahren aus unterschiedlichsten Gründen separatistische Tendenzen in Partnerländern wie Bosnien-Herzegowina, Moldau und Georgien unterstützt. Dessen sollten wir uns bewusst sein und allen Tendenzen einer politischen und wirtschaftlichen Destabilisierung in Europa konsequent entgegentreten.

Herzlichen Dank.