6. Mai 2025 Rede von Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan zu ihrem Amtsantritt
Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Svenja,
liebe Bärbel,
lieber Johann,
lieber Jochen,
lieber Niels,
liebe Kolleginnen und Kollegen hier vor Ort und alle, die zugeschaltet sind,
wenn die Regierung wechselt, dann ist das eine Zeit großer Ungewissheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das geht in all den politischen Diskussionen immer etwas unter. Diese Ungewissheit galt in den letzten Wochen und Monaten umso mehr für dieses Haus, um dessen Eigenständigkeit gerungen wurde. Dass das harte, harte Verhandeln sich gelohnt hat, ist ein Riesenerfolg. Und das ist an erster Stelle dir, liebe Svenja, zu verdanken! Denn du hast dich mit großer Leidenschaft für den Erhalt des BMZ eingesetzt. Ich habe das beobachtet und sehr bewundert und habe das natürlich auch inhaltlich unterstützt in der Überzeugung, dass wir das BMZ brauchen mit seinen Expertinnen und Experten für vertrauensvolle Partnerschaften weltweit. Denn ohne geht es nicht, wenn Deutschland sicher durch die herausfordernden Zeiten, die auch weiterhin vor uns liegen, steuern will. Nie zuvor stand das BMZ in seiner Existenz so in der Kritik. Und gleichzeitig waren wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit noch nie so wichtig wie heute!
Wir wissen alle: Es weht ein rauer Wind. Die Rückbesinnung entscheidender Partner auf ihre Nationalstaatlichkeit, besonders der Rückzug der USA, treffen die Entwicklungszusammenarbeit mit großer Härte. Und als wäre das nicht genug, gibt es auch in Deutschland zunehmend Stimmen, die die Entwicklungspolitik schlechtreden und infrage stellen.
Und ich sage auch ganz, ganz klar und in aller Deutlichkeit: Wir dürfen uns davon nicht verunsichern lassen. Wir müssen Ruhe bewahren – das kann ich ganz gut, das kann ich Ihnen versichern – und uns fokussieren. Denn: Während der internationale Zusammenhalt leidet, werden die Probleme, die es gemeinsam zu lösen gilt, größer.
Ungleichheiten innerhalb von Gesellschaften und zwischen Staaten nehmen weiter zu. Eine mächtige Anti-Gender-Bewegung versucht, Errungenschaften bei der Gleichstellung der Geschlechter zurückzudrehen. Und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende in unserem europäischen Sicherheitsverständnis. Und natürlich blicken wir auch auf die katastrophale Lage im Nahen Osten.
Immer mehr Menschen sehen sich zur Flucht gezwungen. Entwicklungspolitik ist ein unverzichtbarer Teil deutscher Migrationspolitik. Denn Migration lässt sich eben nicht alleine, national lösen. Entwicklungszusammenarbeit mindert Fluchtursachen. Indem sie von Konflikten und Krisen betroffene Länder stabilisiert. Und gleichzeitig braucht Deutschland als modernes Einwanderungsland Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland. Mit den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit will ich hier Lösungen schaffen, die ein Gewinn für alle sind.
Und darum brauchen wir jetzt, gerade jetzt, Leitplanken für ein starkes, vereintes Europa. Ein Deutschland, das zu seiner Verantwortung steht. Und eine Entwicklungspolitik, die zeigt, was sie kann. Die mit klarem Kompass die entscheidenden Dinge umsetzt.
Welche starken Leitplanken es dafür braucht, hast du gezeigt, liebe Svenja. Mit einer sozialdemokratischen Handschrift. Mit einer Politik, die Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität betont. Die Strukturen verändert.
Eine Politik, die für ein sicheres und würdevolles Leben für alle Menschen kämpft. Unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion.
Eine Politik, die an Machtverhältnissen rüttelt. Denn Gesellschaften sind nur dann stabil und friedlich, wenn alle Menschen gleichberechtigt am politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Eine Politik, die solidarisch ist, weil wir hinsehen müssen, wenn andere leiden. Es war dir immer wichtig, Svenja, diesen, genau diesen Gedanken zu betonen. Du hast auch sehr klar gemacht, dass diese Werteorientierung, der Solidaritätsgedanke, nicht im Widerspruch zu den deutschen Interessen steht. Es braucht Solidarität für stabile Gesellschaften und Frieden. Und das dient letztlich auch uns hier in Deutschland.
An diesen Werten orientieren wir uns und nehmen das vielfältige Portfolio des BMZ unter die Lupe – um in unruhigen weltpolitischen Fahrwassern Kurs zu halten. Große Themen stehen vor der Tür und die Fußstapfen könnten nicht größer sein, liebe Svenja.
Dein Verdienst und dein Einsatz verdienen größten Respekt und Anerkennung. Denn du hast dich erfolgreich für strukturelle Veränderungen eingesetzt, und ich habe es im Kabinett mitverfolgt: Mit der Weltbank-Reform, die dafür gesorgt hat, dass die Bank heute in den „livable planet“ investiert, dass Klimaschutz Teil ihres Geschäftsmodells geworden ist.
Mit deiner feministischen Entwicklungspolitik, die längst wirkt. Denn Entwicklungsgelder fließen heute zu einem ganz beachtlichen Anteil in Projekte, die auf Geschlechtergerechtigkeit einzahlen. Und dir ist es mit diplomatischem Geschick auch gelungen, Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate für die Klimafinanzierung zu gewinnen. Um nur einige Beispiele deines nachhaltigen Wirkens zu nennen.
Dein Haus, dein Team – die ganze Mannschaft des BMZ in Bonn, in Berlin und weltweit – haben Großes geleistet. Die Erfolge werden bleiben, sind uns ein Vermächtnis und vor allem auch ein Auftrag! Darauf setzen wir auf.
In den kommenden Wochen werde ich ganz viel zuhören, um gemeinsam mit Ihnen allen erfolgreich in die neue Amtszeit zu starten. Es ist mir wirklich eine große Ehre und Freude! Besonders freue ich mich, weil hier – und das sieht man heute auch – sehr viele hoch motivierte Menschen, Expertinnen und Experten, in einer konstruktiven Atmosphäre miteinander arbeiten. Ich kann Ihnen erzählen, dass ich ganz, ganz viele Glückwünsche bekommen habe. Nicht nur zu dem Amt, sondern zu den tollen Kolleginnen und Kollegen im Haus, mit denen ich in Zukunft zusammenarbeiten darf. Und diese tolle Atmosphäre liegt sicher auch an der Hausleitung, die wir heute verabschieden. An dem wertschätzenden Führungsstil, liebe Svenja, für den bist du auch bekannt. Und ich danke dir sehr, dass du ein menschlich und politisch hervorragend geführtes Haus hinterlässt. Und ich danke dir, liebe Svenja, und dir, lieber Jochen, für diese großartige Übergabe.
Und Sie fragen sich nun alle: Wer ist denn die Neue, die jetzt hier vorne steht?
Und ich erzähle Ihnen natürlich gerne ein paar Worte zu meiner Person und zu meinem Bezug zu diesem Haus: Mein Name ist Reem Alabali-Radovan. Ich bin 35 Jahre alt, verheiratet und Mutter einer zweijährigen Tochter. Ich bin in Moskau geboren. Meine Eltern stammen aus dem Irak, und wir sind gemeinsam 1996 nach Deutschland gekommen und haben Asyl beantragt.
Ich bin aufgewachsen in Mecklenburg-Vorpommern. Zuerst in einer Erstaufnahmeeinrichtung, dann in einer Gemeinschaftsunterkunft, und dann sind wir nach ungefähr anderthalb Jahren des Asylprozesses in Schwerin gelandet, wo meine Eltern, meine Familie bis heute lebt. Und ich vertrete als Bundestagsabgeordnete auch den Wahlkreis Schwerin und Westmecklenburg.
Ich bin also in Schwerin aufgewachsen, habe dort Abitur gemacht, bin 2008 nach Berlin gekommen und habe hier an der Freien Universität Politikwissenschaft studiert mit dem Fokus auf internationale Beziehungen. Ich habe meine Bachelor-Arbeit geschrieben zu Syrien und der Responsibility to Protect – 2012. Sehr spannend jetzt im Rückblick, muss ich mir noch mal anschauen.
Ich habe angefangen zu arbeiten in meinem ersten richtigen Job neben Studentenjobs im Nah- und Mittelost-Verein – der ist sicher Einigen hier bekannt – und am Deutschen Orient-Institut als Länderreferentin auch für den Irak unter anderem. Und dann bin ich gewechselt. Mein Traum war es eigentlich immer, im Bereich der internationalen Beziehungen zu arbeiten, wie gesagt, das war mein Fokus. Aber als es 2014 schon begann, dass viele Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen sind, habe ich mir gedacht: Ich kann auch hier unterstützen. Hier vor Ort und nicht unbedingt nur in der Region. Und bin dann gewechselt zurück nach Mecklenburg-Vorpommern. Und ich hätte es nie gedacht, in die Erstaufnahmeeinrichtung, in die ich selbst als Kind gekommen bin mit sechs Jahren in Nostorf-Horst, und habe dort beim Landesamt für Innere Verwaltung gearbeitet, und war zu der Zeit – 2015, 16, 17 – zu der Zeit, in der Deutschland sehr, sehr viele Menschen aus Syrien und Afghanistan aufgenommen hat, vor Ort und habe die Menschen mit aufgenommen und in ihren ersten Tagen und Wochen in Deutschland unterstützt. Und dann ist es weitergegangen: Ich bin gewechselt ins Sozialministerium in den Bereich der Integration und bin dann auch Integrationsbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern geworden. 2021 habe ich dann kandidiert für den Deutschen Bundestag, erfolgreich, und bin seitdem auch Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich war in der vergangenen Legislaturperiode auch Staatsministerin für Migration, Integration und Flüchtlinge und Antirassismusbeauftragte.
Aber ich verrate Ihnen hier jetzt auch ein kleines Geheimnis: Vor zehn Jahren habe ich mich beim BMZ beworben, wie Sie sehen, nicht erfolgreich, aber ich habe nicht lockergelassen. Und jetzt stehe ich hier. Über die Einstellungspolitik müssen wir noch mal reden.
Ich habe auch angefangen, das ist nicht so glorreich, im Master nachhaltige Entwicklungspolitik an der TU Kaiserslautern zu studieren. Das kennen auch bestimmt Einige. Auch das war nicht ganz so erfolgreich, aber Sie sehen, dass mein Herz an diesen Themen hängt.
Und ich bin sehr froh, dass ich diese Aufgabe jetzt übernehmen darf und begegne ihr auch mit großer, großer Demut und Respekt. Und ich habe auch einen anderen Blick auf diesen Bereich aus meiner Familiengeschichte. Denn ich weiß ganz genau, wie es ist, aus einer Region zu kommen, die geprägt ist von politischer Instabilität, von Krisen, von Kriegen, von Perspektivlosigkeit, aus einer Region, die gleichzeitig am stärksten von der Klimakrise betroffen ist. Und ich weiß, wie unglaublich wichtig die Arbeit ist, die Sie hier leisten, die Sie auch in den letzten Jahrzehnten geleistet haben, genau für diese Regionen. Und ich verspreche Ihnen, dass ich auch mit all meiner Kraft diesen Aufgaben in Zukunft begegnen werde.
Natürliche werde ich dieses Haus nicht alleine leiten, sondern gemeinsam mit meinen Staatssekretärinnen und Staatssekretären. Ich freue mich wirklich sehr, dass Bärbel Kofler mit Ihrem Erfahrungsschatz dem BMZ erhalten bleibt. Ganz besonders in diesen Zeiten des Umbruchs. Für das, was vor uns liegt, ist deine anpackende Art und deine Expertise entscheidend: zum Beispiel in der Entwicklungsfinanzierung, in Verhandlungen mit Partnerregierungen, bei Handel und Lieferketten oder bei den Menschenrechten.
Neu hinzu kommt, und auch darüber freue ich mich sehr, mit Johann Saathoff ein weiterer erfahrener Kollege: Auch er ist 2021 Parlamentarischer Staatssekretär geworden, zunächst im Bundesinnenministerium und seit 2024 auch im Bundesjustizministerium. Er hat also Erfahrung, wenn es darum geht, viele Aufgaben auf einmal zu meistern. In seiner Vita steht Einiges, das auch direkt an das Portfolio des BMZ anknüpft. Als Bundestagsabgeordneter hat er zum Beispiel Energie- und Wirtschaftspolitik gemacht und war als Mitglied des Landwirtschaftsausschusses besonders für Fischereipolitik zuständig. Er war auch Russlandbeauftragter der Bundesregierung und hat die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland sowie Ländern Zentralasiens koordiniert. Dass er im BMI unter anderem für Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung zuständig war, wäre vermutlich für jede Behörde ein Gewinn. Herzlich willkommen auch an Johann Saathoff!
Und ganz besonders freue ich mich, dass ich Niels Annen als Staatssekretär für das Haus gewinnen konnte. Ich muss ihn nicht vorstellen, Sie kennen ihn alle gut genug. Seine Expertise und Erfahrung sind Ihnen bekannt und weit geschätzt. Und ich freue mich wirklich sehr, Niels, auf das, was vor uns liegt.
Sie sehen: Mit unseren vielfältigen Erfahrungen und Perspektiven können wir einander starke Sparrings-Partner*innen sein. Damit sind wir als Team gut aufgestellt.
Liebe Svenja, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland steht vor historischen Herausforderungen. Die Politik der kommenden Jahre wird entscheiden, ob wir auch in Zukunft in einem freien, sicheren und gerechten Deutschland leben, mit starken Partnern in der Welt.
Die Bundesregierung weiß um die Stärke unseres Landes und die Verantwortung. Wir werden unsere Politik daran ausrichten. Und haben ein starkes BMZ hier aufgestellt. Mit Mut, mit Zuversicht, mit vereinten Kräften werden wir die Herausforderungen gemeinsam meistern. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Mit all Ihrer Unterstützung.
Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Ganz herzlichen Dank für diesen sehr, sehr warmen Empfang, das bedeutet mir wirklich viel. Herzlichen Dank. Ich freue mich auf die Aufgabe.