13. Mai 2019 Rede von Norbert Barthle bei der Microsoft-Veranstaltung „Digitale Technologien, Künstliche Intelligenz und die Agenda 2030 – Wie wir gemeinsam vorankommen“

in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Ich bin sicher: fast alle hier im Saal haben schon einmal per Sprachbefehl künstliche Intelligenz (KI) genutzt. Vielleicht zuletzt sogar heute Morgen? Möglicherweise haben Sie Ihr Smartphone oder Ihre Alexa gefragt, wie das Wetter heute wird oder wie sie hierher kommen. Und weil die Algorithmen inzwischen ganz gut funktionieren, haben Sie gleich die passende Kleidung für den heutigen Tag heraussuchen können und nehmen jetzt an dieser spannenden Veranstaltung teil.

Jetzt springen wir einmal in Gedanken in ein Dorf im ländlichen Ruanda: Auch dort zückt eine Bäuerin ihr Handy. Sie fragt die gleiche Frage: „Wie wird das Wetter heute?“ Eine lebenswichtige Frage in vielen Regionen Afrikas – denn vom Wetter wird die Ernte abhängen. Was passiert also, wenn unsere Bäuerin ihr Smartphone fragt? Höchstwahrscheinlich passiert: Nichts! Und zwar nicht aufgrund schlechten Mobilfunk-Empfangs – der ist in Afrika oft besser als bei uns. In einigen Regionen ist 5G schon ausgerollt. Aber sie fragt in ihrer Muttersprache „Kinyarwanda“. Für Kinyarwanda und viele der circa 2.000 Sprachen in Afrika fehlt es an Sprachdaten. Und ohne einprogrammierte Sprachdaten stößt die intelligenteste KI-Anwendung an ihre Grenzen.

Meine Damen und Herren,

die Digitalisierung ist der Globalisierungsprozess des 21. Jahrhunderts. Sie eröffnet nie dagewesene Chancen: Ganze Industriebranchen entstehen neu, alle sind weltweit vernetzt, Datenübertragung in Echtzeit revolutioniert unsere Kommunikation. Aber sie birgt auch gewaltige neue Herausforderungen: Die Bäuerin in Ruanda ist da nur ein kleines Beispiel.

Wir müssen ganz neue Antworten finden, uns strategisch aufstellen für die digitalisierte Welt. Und zwar nicht nur bei uns in den hochtechnologisierten Industriestaaten. „Erde an KI“ lautet der Titel dieser Veranstaltung. Aus entwicklungspolitischer Sicht muss das bedeuten: Die Bedürfnisse, die Lebensbedingungen aller Menschen auf dieser Erde müssen einbezogen werden in die digitale Zukunft. Auch die der Menschen in den ärmsten Ländern dieser Erde, vor allem auch und gerade die der Menschen in Afrika – denn dort liegt die digitale Zukunft: 80 Prozent der Menschen dort besitzen ein Handy – das Festnetz-Zeitalter wurde einfach übersprungen. In Nigeria sind heute schon mehr Menschen online als in Italien oder Spanien. Fast alles geht digital und mobil: Bezahlen, Bestellen, Lernen.

Ich weiß: Microsoft und andere große digitale Player arbeiten bereits an Afrika-Strategien. Sie haben zum Beispiel durch die App „Child Growth Monitor“ zur Erkennung von Mangelernährung bei Kindern eine wegweisende Kooperation mit der Welthungerhilfe gestartet. Auch die ressortübergreifende KI-Strategie der Bundesregierung beinhaltet ein Kapitel zur Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern – übrigens als einzige derartige Strategie einer Industrienation.

Die deutsche Entwicklungspolitik schafft konkrete Verbesserungen vor Ort, in 480 Digitalprojekten in 90 Ländern. Zurück zu unserer Bäuerin in Ruanda: Zusammen mit lokalen Partnern bauen wir dort eine Sprachdatenbank in Kinyarwanda auf; über das „Common Voice“-Projekt der Mozilla-Stiftung wird es öffentlich bereitgestellt. Sehr erfolgreich ist auch unsere Initiative·openIMIS. Dank dieser Open-Source-Lösung erhalten rund 1,6 Millionen Menschen in Tansania, Kamerun und Nepal eine bessere finanzielle Absicherung im Krankheitsfall. Gemeinsam mit deutschen Technologieunternehmen und anderen Partnern haben wir eine sensorbasierte Datenplattform für Kleinbauern in Ostafrika aufgebaut. Informationen wie Bodenfeuchtigkeit, Mineralstoffgehalt oder Wetterdaten helfen so dabei, Ernteerträge zu maximieren. Und noch einmal Ruanda: Vor einigen Stunden hat Herr Nooke, Afrikabeauftragte der Bundesregierung, in Kigali unser erstes Digitalzentrum eröffnet: Hier bringen wir künftig deutsche, europäische und afrikanische Digitalwirtschaft zusammen, entwickeln neue Lösungsansätze mit lokalen Start-Ups. Ein Musterprojekt. Acht Zentren sollen es afrikaweit werden.

Wir sind uns bewusst: Den Auftrag der Agenda 2030 und der Sustainable Development Goals können wir nur mit Hilfe digitaler Lösungen umsetzen. Dabei muss aber klar sein: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie muss mehr sein als nur „big Business“. Die Menschen vor Ort müssen davon profitieren! Die digitale Wirtschaft muss zu mehr Jobs, mehr Wohlstand, mehr Gesundheit führen – nicht zu weniger. Und der digitale Fortschritt muss mehr Freiheiten bringen, mehr Bildungschancen, mehr Rechte für alle – nicht weniger.

Frau McKinley, Sie schreiben auf Ihrer Webseite, die Mission von Microsoft sei es, „jede Person […] auf dem Planeten zu befähigen, mehr zu erreichen“. Genau darum geht es! Alle mitzunehmen, alle zu befähigen, mehr aus dem Leben zu machen. Und deswegen bin ich heute bei Ihnen: Denn Entwicklungspolitik und Digitalwirtschaft müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, wir müssen uns viel intensiver austauschen!

Ich sehe zwei Ebenen:

Da geht es zum einen um das Thema Verantwortung. Beispiel diskriminierende Algorithmen: Es kann nicht sein, dass jemand – bei sonst völlig gleichen Bedingungen – keine Chance auf einen Kredit hat, nur weil er „Muhammad“ heißt und nicht „John“.

Beispiel Datenschutz: Man kann ja darüber streiten, ob wir es in Europa mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nicht vielleicht etwas an Gründlichkeit übertrieben haben. Aber in vielen afrikanischen Ländern gibt es überhaupt keinen Datenschutzrahmen. Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass sich dort kein „Datenschutz-Wildwest“ entwickelt. Deswegen entwickeln wir beispielsweise in Ghana und Uganda ethische Politikrahmen für die Anwendung künstlicher Intelligenz, gemeinsam mit dem UN-Innovationslabor „Global Pulse“ und afrikanischen Partnern. Wir schaffen Standards und Regeln, bringen die Akteure zusammen.

Beispiel gerechte Teilhabe: Die Menschen in Entwicklungsländern bei digitalen Technologien zu unterstützen ist wichtig. Aber es dürfen keine Abhängigkeiten entstehen.

Sie alle kennen vermutlich das Facebook-Beispiel von vor einigen Jahren: Kostenloser Internetzugang – aber eingeschränkt. Das Unternehmen versuchte, die Menschen auf eigene Anwendungen zu lenken. So kann es und darf es nicht laufen! Das ist auf Dauer auch nicht im Interesse der Unternehmen. Denn Fortschritt gibt es nur durch Befriedigung von Bedürfnissen vor Ort, durch Entfaltungsmöglichkeiten, durch Erfindergeist. Deswegen müssen wir verstärkt auf Teilhabe bei digitalen Technologien und KI setzen – auch über Open-Source-Ansätze.

Wie gesagt: Die Herausforderungen sind riesig. Kein Akteur kann das allein stemmen. Das bringt mich zu unserem zweiten gemeinsamen Ansatz:

Wir brauchen mehr Partnerschaften! Politik kann Rahmen setzen für Entwicklung und Nutzung von künstlicher Intelligenz. Aber für die Umsetzung benötigen wir die Innovationskraft und das digitale Wissen von Unternehmen wie Microsoft. Sie wissen, da deutlich mehr als wir.

Wir wollen daher gemeinsam mit Ihnen vorangehen. Ob bei der Strategischen Partnerschaft „Digitales Afrika“, unserer Tech-Entrepreneurship-Initiative „Make-IT“ oder unseren „entwicklungspolitischen Partnerschaften mit der Wirtschaft“. Oder bei der globalen Verbreitung von digitalem Know-how – über unsere geplante „technologieneutrale Offensive für Künstliche Intelligenz in Entwicklungsländern“.

Lassen Sie uns ins Gespräch kommen, gemeinsam neue Ideen entwickeln. Denn nur gemeinsam kann die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung gelingen!