8. März 2019 „Conditions for partnership: Contribution from a global institutional perspective“

Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth bei der Konferenz „Religions and the Sustainable Development Goals (SDGs) – Listening to the cry of the earth and of the poor“ in Rom

Es gilt das gesprochene Wort!

Ihre Exzellenzen,
Sehr geehrte Damen und Herren,

„Den Schrei der Armen hören, ebenso wie den Schrei der Erde“ – so mahnt uns Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Sí. So mahnt uns – auf weltliche Art – auch die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung.

In der globalisierten Welt ist dieser Schrei nicht mehr zu überhören. Die Welt ist vernetzt wie nie – über Waren, Dienstleistungen, Information, Menschen. Spätestens die Flüchtlingsströme haben klargemacht: Unsere Schicksale sind global miteinander verbunden. Unsere Zukunft hängt von der Zukunft der Menschen in anderen Teilen der Welt ab – und umgekehrt. Die „Sorge um das gemeinsame Haus“ – wie Papst Franziskus es formuliert hat – ist in unser aller Interesse.

Ich freue mich sehr, als Vertreterin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung heute hier zu sprechen. Diese Konferenz thematisiert gleich drei Anliegen, die uns auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sehr am Herzen liegen, nämlich: die weltweite Beseitigung von Armut und der Ausbeutung unseres Planeten Erde, eine gerechte Globalisierung, wie sie die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung vorgibt und schließlich der Beitrag, den die Religionen für eine gerechtere Welt leisten können.

Die Herausforderungen sind groß: 821 Millionen Menschen hungern, jedes zehnte Kind auf der Welt muss arbeiten. Jeder Mensch in den Industrieländern verbraucht drei bis viermal so viele Ressourcen wie ein Mensch in Afrika oder Asien. Aber die Auswirkungen des Klimawandels – Tropenstürme, steigender Meeresspiegel – sind zuerst in den armen Ländern zu spüren.

Wir hier in Europa, in den reicheren Ländern, leben auf Kosten der Menschen in anderen Teilen der Welt und auf Kosten unseres Planeten. Würden alle Menschen so leben wie wir, dann bräuchten wir heute schon die Ressourcen von zwei oder dreiPlaneten. Wir haben aber nur den einen.

Wir müssen Globalisierung gerecht gestalten. Das heißt vor allem: Chancen gerecht zu verteilen – auf Nahrung, auf Ressourcen, auf Wissen, auf gleichberechtigte Teilhabe. Wir haben mit der Agenda 2030 und ihren 17 SDGs einen Weltzukunftsvertrag, der den Weg zu einer gerechten Globalisierung weist.

Nachhaltigkeit muss zum Prinzip unseres Handelns werden – in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft.
Dazu ruft uns die Agenda 2030 auf. Um diese Transformation zu einer nachhaltigen Welt zu erreichen, brauchen wir „Werte-Träger“, die das Denken und Handeln der Menschen positiv beeinflussen können. („Influencer“ würden junge Menschen heute vielleicht sagen.)

Da denke ich vor allem an die Religionen und Glaubensgemeinschaften. Die Bewahrung der Schöpfung und die Hinwendung zu den Ausgestoßenen, zu den Armen, das sind Werte, die sich in allen großen Weltreligionen finden. Religion ist zugleich Quelle für eine Ethik des „Genug“ und für ein Verständnis von Entwicklung, das nicht nur ökonomischen oder technischen Fortschritt meint.

Deutschland ist weltanschaulich neutral, aber nicht wertneutral. Wir betreiben keine „christliche Politik“. Aber eine Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes und in christlicher Verantwortung. Ziel unserer Arbeit ist nachhaltige Entwicklung auf der Basis gemeinsamer Werte: Verantwortung, Nachhaltigkeit, Solidarität, Bescheidenheit und Frieden. Dafür wollen wir Religionen und Religionsführer weltweit als Partner gewinnen.

In vielen Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten, spielen Religion und Religionsvertreter eine herausragende Rolle. Vier von fünf Menschen in unseren Partnerländern geben an, dass ihnen Religion in ihrem Leben wichtig sei. In Nigeria zum Beispiel gehen 90 Prozent der Bevölkerung jeden Sonntag in den Gottesdienst oder am Freitag in die Moschee. – In Deutschland sind das nur rund sechs Prozent.

In Entwicklungsländern sind die Kirchen oft die einzigen, die auch dann noch vor Ort sind, wenn eine staatliche Zusammenarbeit nicht möglich ist, zum Beispiel in Krisensituation oder instabilen Ländern. Vielerorts sind sie auch diejenigen, die den Boden bereiten für Deeskalation, für Dialog und Friedensprozesse. Als staatliche Akteure wollen wir darauf aufbauen: auf die langjährige Erfahrung, auf das Vertrauen der Menschen, die bewährten Netzwerke.

Das deutsche Entwicklungsministerium will seine Kooperation mit religiösen Akteuren erweitern. Schon seit über 50 Jahren arbeiten wir eng mit den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland zusammen. Jetzt wollen wir weitere Partner gewinnen. Was unsere Zusammenarbeit leitet: Sie beruht auf Werten, die möglichst allenWeltreligionen gemeinsam sind, und sie berücksichtigt gleichzeitig ihre Verschiedenheiten. Eine wertebasierte Entwicklungspolitik, wie wir sie verfolgen, nimmt den einzelnen Menschen ernst. Entsprechend muss sie auch seinen Blick auf die Welt ernst nehmen. Dieser Blick wird für die meisten Menschen auf der Welt ganz entscheidend von Religion geprägt.

Wir arbeiten dort zusammen, wo wir gemeinsam mehr erreichen können – oder Schlimmeres verhindern. Aber als Bundesregierung ziehen wir auch klare Grenzen, beispielsweise dort, wo religiöse Akteure zu Diskriminierung und Gewalt aufrufen.

Bestimmte grundlegende Werte – etwa die Menschenrechte – sind für uns nicht verhandelbar. Dabei müssen wir auch mit denen reden, die als Kritiker sogenannter „westlicher Werte“ gelten. Denn wir handeln nach der Maxime: Nicht der Dialog ist die Gefahr, sondern die Verweigerung des Dialogs.

In Ägypten zum Beispiel unterstützen wir ein Forum für interkulturellen Dialog. Es bringt christliche und muslimische Geistliche sowie zum Beispiel Medien- und Kunstschaffende zusammen. Das Forum bietet einen geschützten Raum, in dem auch politisch brisante Zukunftsthemen diskutiert werden können. Zum Beispiel die Entwicklung von Staat, Religion und Demokratie in Ägypten, Gender- oder soziale Gerechtigkeit.

Wir haben die Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften in der „International Partnership on Religion and Sustainable Development“, kurz PaRD, international etabliert. PaRD ist ein Netzwerk aus über 100 staatlichen, zivilgesellschaftlichen und religiösen Organisationen. Ihr Ziel: Das Engagement und Know-how und verschiedener Glaubensgemeinschaften für die Agenda 2030 zu mobilisieren.

Die Partnerschaft profitiert von der Vielfältigkeit ihrer Mitglieder und den Kapazitäten und der Strahlkraft der beteiligten religiösen Akteure. Unter anderem setzen wir uns für die Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Kindern und für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte ein. Vor 25 Jahren auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo erstmals als Menschenrecht anerkannt, sind die Herausforderungen gerade in Entwicklungsländern noch groß.

Nicht nur am heutigen Internationalen Frauentag spielen Religionen eine entscheidende Rolle, wenn es um die Rechte von Frauen und ihre Stellung in der Gesellschaft geht. Immer noch werden Frauen diskriminiert, ihnen wird der Zugang zu gleichwertiger Bildung und selbstbestimmter Lebensplanung verwehrt. Als Begründung dafür müssen häufig Argumente aus vermeintlich religiösem Kontext herhalten.

Ohne die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen können in der Entwicklungszusammenarbeit aber kaum zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden: Ich erinnere an die Bedeutung von Frauen für die Erziehung und Bildung der Kinder, die Gesundheit und Ernährung der ganzen Familie, ihre Bedeutung als Arbeiterinnen und Unternehmerinnen in der Landwirtschaft, die nachgewiesenen positiven Aspekte auf den Verlauf und die Nachhaltigkeit von Friedensverhandlungen, wenn Frauen beteiligt werden.

Die Herausforderungen des rasanten Weltbevölkerungswachstums sind nur dann zu bewältigen, wenn Frauen als selbstbewusste Akteurinnen einbezogen werden. In Entwicklungsländern werden immer noch jedes Jahr mindestens 21 Millionen Mädchen im Teenageralter ungewollt schwanger. Das bedeutet für sie häufig auch, dass sie von nun an keine Chance auf Bildung oder Ausbildung haben. Zugleich ist die Müttersterblichkeit aufgrund unzureichender medizinischer Begleitung von Schwangerschaft und Geburt inakzeptabel hoch.

Verbrechen gegen die selbstbestimmte Sexualität und körperliche Unversehrtheit von Mädchen und Frauen will ich zumindest benennen. Es geht um ein Leben in Würde von Millionen von Mädchen und Frauen.

Der Einfluss der Religionen und ihrer Führer ist in diesem Zusammenhang nicht hoch genug einzuschätzen. Deshalb möchte ich Sie als Parlamentarische Staatssekretärin aus Deutschland, aber insbesondere auch als gläubige Katholikin und Vorsitzende eines großen katholischen Frauenverbands in Deutschland, um Ihre Unterstützung bitten.

Konferenzen wie diese hier bieten eine wichtige Plattform, um miteinander ins Gespräch zu kommen und die Anstrengungen für eine friedlichere und gerechtere Welt zu bündeln – mit allen von Ihnen: Mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, Vereinten Nationen, Regierungen, religiösen Führern und Religionsgemeinschaften.

Lassen Sie uns daher ganz im Sinne von Franz von Assisi denken und handeln: „Tue zuerst das Notwendige, dann das Mögliche – und plötzlich schaffst du das Unmögliche!“