22. April 2021 Rede von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Lieferketten vor dem Deutschen Bundestag
Es gilt das gesprochene Wort!
Eine Videoaufzeichnung der Rede finden Sie hier (Externer Link).
Eine druckbare Version der Rede (PDF 69 KB, barrierefrei) finden Sie hier (Externer Link).
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, ob wir vom freien zum fairen Handel in globalen Lieferketten kommen. Sascha Raabe und ich, wir haben die Trümmer von Rana Plaza gesehen. Am Samstag vor acht Jahren – du hast es gesagt – haben 1.138 Frauen ihr Leben unter den Trümmern verloren. Der Skandal war: Die Frauen haben zwei Tage davor darauf hingewiesen, dass sie Risse in den Mauern entdeckt haben, und das Management hat angewiesen: Ihr habt keine Rechte, ihr habt weiterzuarbeiten; für 14 Cent in der Stunde arbeitet ihr hier 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Und sie gingen ins Verderben. Wir gedenken heute der toten Frauen von Rana Plaza.
Ich sage Ihnen, Sie werden ein anderer Mensch und ein anderer Politiker, wenn Sie mit den Überlebenden sprechen. Mein Blick auf Profitmaximierung durch die Globalisierung des Handels in internationalen Lieferketten hat sich geändert. Externalisierung und Auslagerung der Produktion in Entwicklungsländer, das kann nicht unser globales Wirtschaftsmodell sein.
Wir können und dürfen nicht die Augen verschließen vor der Ausbeutung von Kindern, Mensch und Natur. Dabei geht es nicht nur um die Textilfabrik Rana Plaza, sondern es geht weit darüber hinaus. Ich sage hier sehr deutlich: Es geht auch um die Verseuchung des Meeres, der Mangrovenwälder, der Umwelt im Nigerdelta durch Ölmultis und um die Ausbeutung von Kindern auf Kaffee-, Kakao-, Baumwollplantagen oder für unsere Grabsteine in Steinbrüchen. Ich habe Kinder in Indien getroffen, die aus diesem Joch befreit wurden; und ich habe ihnen versprochen: Wir helfen euch, und wir ändern das; wir tun, was notwendig ist.
80 Millionen Kinder arbeiten als Arbeitssklaven für uns, die Reichen auf der Sonnenseite des Planeten, für unsere Produkte. Hubertus Heil und ich haben zusammen mit den Koalitionsfraktionen das deutsche Textilbündnis umgesetzt. Auf der Basis von Freiwilligkeit sind 50 Prozent dabei. Mich freut ganz besonders – das können Sie heute in der Zeitschrift „TextilWirtschaft“ nachlesen –, dass auch die Verbände im Bereich Textilwirtschaft Zeichen setzen, Maßstäbe setzen. Es geht!
Große und kleine Firmen können im Zeitalter der Digitalisierung Lieferketten verfolgen. Eine Pionierin ist Antje von Dewitz. Schauen Sie sich ihren Betrieb an, der beim „Grünen Knopf“ mitmacht. Antje von Dewitz geht 30 Jahre voraus. Ein kleines Unternehmen zeigt, es geht, Gerechtigkeit in den Lieferketten umzusetzen. Kirchen, der Welthungerhilfe, dem DGB, allen, die mitgeholfen haben. Wir haben diesen ersten wichtigen Schritt gemeinsam geschafft, gemeinsam mit vielen Nichtregierungsorganisationen und vielen, die uns unterstützen. Gemeinsam haben wir, sein und mein Team, dieses Projekt auf den Weg gebracht. Wir beide, Hubertus Heil und ich, wir sind Freunde geworden, ja. Auch er hat sich verändert, als er mit den Frauen in Äthiopien gesprochen hat, also die realen Zustände gesehen hat.
Das Lieferkettengesetz kommt. Das war ein langes Ringen; das ist ein guter Kompromiss. Hermann Gröhe und meine Freunde in der Unionsfraktion werden auf die Details eingehen. Wichtig sind die Umsetzung des Verbots von Kinderarbeit und die Stärkung der Menschenrechte, und dies, ohne die Wirtschaft zu überfordern. Dieses Gesetz gilt ab 2023; darauf wird der Arbeitsminister eingehen. Wir haben eine Übergangsfrist; wir haben das Ganze mittelstandsfreundlich gestaltet. Es ist umsetzbar; es gibt eine abgestufte Verantwortung.
Das ist die deutsche Initiative für eine Vorlage für die EU-Kommission. Diese Initiative muss die Basis einer europäischen Regelung werden. Die sozialen und ökologischen Standards müssen weltweit Standard werden. Ich betone: weltweit, nicht nur in der Produktion und in der Industrie, sondern auch bei Dienstleistungen, auch bei Finanzdienstleistungen. Die Welthandelsorganisation (WTO) wird und muss folgen. Ich habe Dr. Ngozi Okonjo-Iweala, die neue Vorsitzende, vor 14 Tagen besucht. Sie steht als Nigerianerin an der Spitze für einen neuen Kurs der WTO, für eine gerechte Globalisierung. Wir stehen an ihrer Seite. Der freie Welthandel muss ein fairer Welthandel werden.
Die UN-Menschenrechtscharta und die SDG-Agenda sind der Weg in eine bessere, gerechtere Globalisierung und Zukunft. Deshalb: Machen wir unsere Politik enkeltauglich und schöpfungstauglich. Heute, am World Earth Day, ist das Lieferkettengesetz unser Beitrag dazu.
Herzlichen Dank.