9. Dezember 2020 Rede von Entwicklungsminister Gerd Müller zum Haushaltsgesetz 2021 vor dem Deutschen Bundestag in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!
Eine Videoaufzeichnung der Rede finden Sie hier (Externer Link).
Eine druckbare Version der Rede (PDF 92 KB, barrierefrei) finden Sie hier (Externer Link).

Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Gute Nachrichten in schwierigen Zeiten: Mit diesem Haushalt erreichen wir, wie schon gesagt, erstmals das 0,7-Prozent-Ziel. Deutschland erfüllt mit vier Milliarden Euro, Frau Hajduk, die internationalen Klimafinanzzusagen. Mit dem Drei-Milliarden-Euro-Corona-Hilfsprogramm sind wir in Europa das einzige Land, das dieses internationale Zeichen der Solidarität setzt. Hierfür möchte ich mich besonders bei meinem Haus, bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und bei vielen, die draußen tätig sind, bedanken. Ich hatte heute eine Schalte mit unseren Referentinnen und Referenten in 85 Ländern in der Welt, die erfolgreich dort draußen arbeiten.

Der Friedensnobelpreis geht an das Welternährungsprogramm. Mit einer Milliarde Euro unterstützt Deutschland – nicht nur das BMZ – das Welternährungsprogramm.

Wir Entwicklungspolitiker sind eine starke Gemeinschaft – Carsten Körber, vielen herzlichen Dank –, es sind Politiker, Menschen mit Herz. Ich glaube, das kann man sagen. Sascha Raabe, Anja Hajduk, Michael Leutert, Sonja Steffen und Gabi Weber – sie hören alle auf. Ich bedaure das sehr, aber ich freue mich über eure Solidarität, dass ihr alle mit mir den Platz räumt. Das hätte es nicht gebraucht. Ich bedanke mich bei euch ganz besonders. Die Entwicklungspolitik hat ein ganz starkes soziales Profil, ein sozialdemokratisches Profil und ein christlich-soziales Profil. Das verbindet uns sehr, auch in Zukunft.

Ein großer Durchbruch im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft ist der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen über ein neues EU-Afrika-Abkommen. Darüber wird hier im Plenum noch diskutiert werden.

Es gibt ein anderes, ebenso wegweisendes politisches Signal: eine 27:0-Entscheidung der europäischen Sozial- und Arbeitsminister für ein europäisches Lieferkettengesetz. Ich danke Hubertus Heil, dass er dies auf den Weg gebracht hat. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen hier. Ein Lieferkettengesetz jetzt ist absolut notwendig. Ich bleibe optimistisch, weil wir in dieser Woche noch entscheidende Gespräche führen werden. Aber klar ist: Wir brauchen noch vor Weihnachten eine Entscheidung. Wir können das nicht länger hinauszögern. Seit sechs Monaten liegt der Entwurf auf dem Tisch. Wir brauchen jetzt eine Entscheidung. Ich sage Ihnen klar: Wenn wir nicht entscheiden, dann setzt Brüssel Standards. Wir sollten vorausgehen und diese Standards selber setzen.

Noch nie war internationale Zusammenarbeit so wichtig wie heute, denn die Corona-pandemie besiegen wir nur weltweit oder gar nicht. Diese Pandemie ist zwischenzeitlich eine Polypandemie geworden, eine Vielfachkrise. Das Virus trifft die Ärmsten der Armen am härtesten. Es sind die Entwicklungspolitiker, die darauf aufmerksam machen. Deutschlands Bevölkerung stellt 1,5 Prozent der Weltbevölkerung dar, Europas Bevölkerung fünf oder sechs Prozent. Zwei Drittel der Menschen weltweit leben in den ärmsten Ländern, in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die ganz massiv und hart getroffen sind: Krankheit und Not, Elend und Tod durch das Virus und den Lockdown, zum Beispiel in Asien. Ich habe heute Berichte aus Venezuela gelesen: Dort gibt es fünf Millionen Flüchtlinge. Denken Sie an den Libanon. Oder denken Sie an Kutupalong, wo ich im Februar war. Dort sind 800.000 Flüchtlinge angesiedelt auf einem Elefantengebiet, 500.000 Kinder in Armut, Not und Kälte. Da können Sie sagen: „Lasst die doch draußen! Wer sieht die denn in Europa und in Deutschland?“ Wir sehen sie, wir sehen das Leid, und deshalb helfen wir vor Ort.

Ich könnte vieles aufzählen: 800 Millionen Kinder können derzeit nicht zur Schule gehen. Sie bekommen kein Schulessen. Fehlende Medikamente gegen Aids, Tuberkulose oder Malaria führen dazu, dass durch den Lockdown zwei Millionen Menschen zusätzlich sterben, zusätzlich zum Virus.

Notwendig ist ein globales Krisenmanagement. UN-Generalsekretär Guterres wird nächste Woche hier sprechen. Ich möchte an der Stelle der UN, dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, Unicef und vielen anderen danken, die sofort und entschieden gehandelt haben. Aber die bisherige weltweite Krisenreaktion bleibt weit hinter den notwendigen Maßnahmen zurück. Bei der humanitären Hilfe fehlen dieses Jahr fünf Milliarden Euro. Wir lassen verhungern – 15 000 Kinder verhungern täglich, weil wir zuschauen. Wir, die Weltgemeinschaft, wissen es, und wir helfen nicht. Das ist ein Skandal größten Ausmaßes.

Für den Zugang zu Impfstoffen und für die Vorbereitung einer Impfkampagne fehlen in diesem Jahr 4,5 Milliarden Euro weltweit. 2021 und 2022 sind 35 Milliarden Euro notwendig. Der US-Verteidigungshaushalt wurde in diesem Jahr um 55 Milliarden erhöht. Nur so viel zu der Frage, ob man sich das leisten kann. Ja, die Weltgemeinschaft muss sich das leisten, um ein bis zwei Milliarden Menschen, auch in den Entwicklungsländern, zu impfen. Wir sind uns mit Bundespräsident Steinmeier einig: Wir müssen weltweit einen fairen und bezahlbaren Zugang zu Impfstoffen, auch für die Entwicklungsländer, sicherstellen. Dieses politische Signal muss eindeutig sein, von uns und von der Europäischen Union.

Wir tragen bereits dazu bei. Deutschland finanziert mit insgesamt 685 Millionen Euro den Aufbau von Covax und der Impfallianz Gavi. Aber hier tun sich noch gewaltige Lücken auf. Alle Industriestaaten – die Golfstaaten, Amerika – müssen sich beteiligen. Aber auch Amazon, Apple, Google und Facebook müssen sich in einen privaten Fonds zur Finanzierung der Impfkampagnen in den Entwicklungsländern einbringen; denn das sind die großen Krisengewinner, die Milliardengewinne in der Coronakrise machen.

Deutschland hat mit dem Corona-Sofortprogramm schnell und kompetent reagiert dank Ihrer Unterstützung, der Haushaltspolitiker hier im Haus. Wir sind hier vorausgegangen, nun müssen andere folgen. Ich halte es für fatal, dass die Europäische Union – und ich sage das immer wieder; denn wenige durchschauen den europäischen Haushalt – in dieser schwierigen Zeit für die nächsten sieben Jahre den Entwicklungsetat und die Mittel für Afrika absenkt. Absenkt! Das ist ein fatal falsches Signal.

Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, die G20 und unser Finanzminister haben schnell reagiert. Wir brauchen ein Schuldenmoratorium. Staatsbankrotte und der Zusammenbruch öffentlicher Ordnung müssen verhindert werden. Wir werden in vielen Fällen in den nächsten Monaten nicht um einen Schuldenerlass herumkommen. Ich möchte zum Schluss allen Fraktionen herzlich danken, besonders den Berichterstattern, dem Finanzminister und der Kanzlerin. Wir erreichen 2021 das 0,7-Prozent-Ziel. Wir setzen viele internationale Maßnahmen um. Ich möchte Ihnen sagen: Dieser Erfolg ist Ihr Erfolg, der Erfolg einer starken Gemeinschaft der Haushälter – fraktionsübergreifend –, der Entwicklungspolitiker hier im Haus, vieler Kolleginnen und Kollegen mit Herz, die die Not und das Elend draußen in der Welt und hier in Europa nicht kaltlassen. Dafür herzlichen Dank.