27. Januar 2020 Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller auf dem Jahresempfang des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft

in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident Macky Sall,

sehr geehrte Frau Ministerin Giffey,

sehr geehrter Herr Minister Altmaier,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder,

Exzellenzen,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,

sehr geehrter Herr Kaeser,

sehr geehrter Herr Ohoven,

sehr geehrte Damen und Herren,

wir tragen den Mittelstand hinaus in die Welt. Ich verstehe mich heute als Außenhandelsminister, als Afrikaminister. Ganz besonders freue ich mich, dass Präsident Macky Sall hier ist und wir diese Konferenz auf diese Weise weiten. Wir leben heute in einem globalen Wettbewerb und in einem globalen Dorf – und alles hängt mit allem zusammen.

Während Sie in Berlin sind, allein an diesem heutigen Tag, ist die Weltbevölkerung um 220.000 Menschen gewachsen. Hochgerechnet auf ein Jahr, wuchs 2019 die Weltbevölkerung um 82 Millionen Menschen. Das ist einmal Deutschland – jedes Jahr zusätzlich, auf diesem Planeten. Zwei Drittel jener 82 Millionen wurden in den 55 afrikanischen Ländern geboren. Diese Dynamik führt dazu, dass sich Afrika bis 2050 auf mindestens 2,4 Milliarden Menschen verdoppelt.

Das verschiebt viele Größenordnungen: Deutschland stellt heute ein Prozent der Weltbevölkerung, Europa acht Prozent. In erlebbarer Zeit werden die Afrikaner mehr als 35 Prozent der Menschheit stellen. Deshalb spreche ich von Afrika als dem Kontinent der Zukunft. Gewaltige Märkte entstehen dort, sie gehören ebenso zur Realität wie Armut, Not und Hunger. Sechs der zehn am stärksten wachsenden Volkswirtschaften finden Sie in Afrika. In zehn Jahren wird in Afrika eine Infrastruktur errichtet, die so umfassend ist wie in Europa in den letzten 100 Jahren. Mit anderen Worten: In zehn Jahren werden so viele Straßen, Brücken, öffentliche Gebäude und Krankenhäuser gebaut wie in ganz Europa seit 1920.

Daran sollten wir partizipieren. Während wir in manchen deutschen Regionen in Funklöchern stecken, haben zwei afrikanische Länder bereits 5-G-Netze im Betrieb.

Und Afrika ist der Kontinent der Ressourcen: Kobalt, Coltan, Kupfer, Lithium. Siemens-Chef Kaeser weißt das am besten: Wenn die Afrikaner morgen auf die Idee kämen, in einen Ressourcen-Streik zu treten, dann stehen bei uns die Computer und die Bänder der Automobilindustrie still. Wir brauchen diese Ressourcen! Und während China in Afrika allgegenwärtig Pflöcke einschlägt, frage ich: Wo bleiben Deutschland und Europa?

Um dies zu ändern, habe ich die Entwicklungszusammenarbeit neu aufgestellt. Wir haben den Marshallplan mit Afrika aufgelegt, und hier knüpfe ich an Macky Sall an: Wir setzen auf wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Reformpartnerländern! Wir konditionieren unsere Zusammenarbeit, und Senegal ist eins dieser Reformpartnerländer.

Wir fordern ein: Kampf gegen Korruption – Senegal steht heute in der Korruptionsbekämpfung besser da als einige osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten. Wir fordern ein: Rechtssicherheit – Vertragstreue ist die Voraussetzung, um Reformpartner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu werden!

Ich möchte Ihnen, den Unternehmerinnen und Unternehmern, nahelegen: Wir haben einen neuen Förderrahmen für Privatinvestitionen aufgelegt. Mit öffentlichen Geldern allein lösen wir die Herausforderungen nicht; mit diesen können wir Leuchttürme finanzieren. Wir brauchen Sie! Wir brauchen Privatinvestitionen! Wir haben „Hermes“ verbessert, einen Entwicklungsinvestitionsfonds aufgelegt und ein Markteinführungsprogramm für Erneuerbare Energien.

Afrika braucht Ernährung – das ist die Überlebensfrage – und Afrika braucht Energie. In Afrika, den Entwicklungs- und Schwellenländern entscheidet sich das Weltklima. Wir müssen die Debatte außerhalb der deutschen Käseglocke führen. Wenn jeder afrikanische und jeder indische Haushalt eine Steckdose erhält, bedeutet das Stand heute: 1.000 neue Kohlekraftwerke. 980 werden weltweit derzeit geplant und gebaut. Wir können in Deutschland ein paar Kohlekraftwerke vom Netz nehmen – aber wenn weltweit 1.000 neue gebaut werden, ist auch das 2-Grad-Ziel weltweit in Gefahr.

Deshalb müssen wir dort investieren in Technologie- und Innovationstransfer und unser Wissen dorthin bringen.

Wir können und wir müssen den schwarzen Kontinent zum grünen Kontinent der erneuerbaren Energien machen. Die Sonne Afrika nutzen – das ist der Schlüssel. In Marokko steht das größte Solarkraftwerk der Welt und produziert Solarstrom für zwei Cent pro Kilowattstunde. Ich möchte handeln, statt nur reden. Ich habe mit der marokkanischen Regierung die Umsetzung eines Methanol-Abkommens vereinbart. Wir werden dort in die Methanol-Produktion einsteigen: Wasserstoff und Methanol aus Wüstenstrom für Afrika und Europa. Das kann auch unser CO2-Problem in Europa lösen und die Automobilproduktion in Deutschland erhalten. Wohlstand in Afrika schaffen durch Technologie aus Deutschland: Das ist eine großartige Win-Win-Situation.

Stichwort Klimaschutz: Warten Sie bei der Umsetzung des Klimaschutzgesetzes nicht auf die Regierungen. So wichtig dieser Rahmen ist, doch bereits heute können Sie unserer „Allianz für Klima und Entwicklung“ beitreten: Stellen Sie sich klimaneutral, reduzieren Sie bis zum Grenzkostennutzen und kompensieren Sie den Rest durch unsere Projekte in Entwicklungsländern. Erneuerbare Energien, Aufforstung, Humusbildung, CO2-Speicher – wir erzielen mit solchen Kompensationsleistungen eine vielfach höhere Wirkung als mit nationalen Instrumenten. Allianz Klima und Entwicklung: 500 Unternehmen machen bereits mit. Kommen wir gemeinsam vom Reden zum Handeln.

Und zum fairen Handel. Stichwort Lieferkettengesetz: Ein mögliches Gesetz berücksichtigt die Interessen des deutschen Mittelstandes. Ich lade Sie ein, mitzugestalten. Mir geht es nicht um den Elektriker, ob sein Kupferkabel fair gehandelt ist. Mir geht's um 150 Millionen Bäuerinnen und Bauern auf den Kaffeeplantagen, die in Armut leben, weil wir für das Kilo Rohbohnen nur 50 Cent bezahlen: Sie kaufen in Berlin das Kilo Kaffee für acht bis zehn Euro, aber den Bauern bleiben 50 Cent pro Kilo Rohbohnen. 75 Milllionen Frauen arbeiten weltweit in Textilfabriken, die 15 Cent pro Stunde verdienen. Wir akzeptieren Ausbeutung in den armen Ländern, obwohl wir in Deutschland den Maßstab einer sozialen Marktwirtschaft gesetzt haben. Wir brauchen anständige Löhne und ökologische Grundstandards weltweit – das meine ich mit fairen Lieferketten.

Ebenso die Finanztransaktionssteuer: Am heutigen Tag sind wieder unfassbare 3.000 Milliarden US-Dollar zwischen Shanghai und San Francisco allein im Computerhandel umgesetzt worden. Wir diskutieren über Steuern beziehungsweise Steuerentlastung für den Mittelstand – aber Apple, Facebook und Amazon müssen sich beteiligen an der Wertschöpfung!