8. September 2020 Grüner Knopf: Faire Lieferketten sind längst möglich

Gastbeitrag von Entwicklungsminister Gerd Müller und Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmensverantwortung bei Tchibo, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Freiwilligkeit allein führt nicht zum Ziel. Märkte brauchen klare Regeln und Mindeststandards.

Keine Industrienation ist so intensiv mit anderen Ländern und Zulieferern vernetzt wie Deutschland. Die Lieferketten deutscher Unternehmen reichen in alle Welt: Die Kaffeebohnen kommen aus Brasilien oder Äthiopien, das Coltan für unsere Handys oder Elektroroller aus dem Kongo, und 90 Prozent unserer Kleidung werden in Südostasien genäht. Ein T-Shirt legt von der Stoffproduktion über das Färben und Nähen Dutzende Stationen und bis zu 18.000 Kilometer zurück, bis es in deutschen Geschäften liegt.

Durch die Corona-Krise wurden viele Lieferketten unterbrochen. Die Menschen im Textilsektor sind besonders hart getroffen. Corona zeigt so schonungslos die Schwachstellen der Globalisierung auf. Eine globale Einkaufspolitik, die über Jahrzehnte mehr auf den Preis anstatt auf langfristige Partnerschaften und Umwelt- und Sozialverantwortung setzt, hat in vielen Produktionsländern zu unhaltbaren Zuständen geführt. Grundlegende Menschenrechte werden immer noch nicht flächendeckend in den Lieferketten eingehalten.

Alle wünschen sich in der Corona-Krise so bald wie möglich Normalität. Entscheidend ist aber, dass wir zu einer neuen Normalität der Globalisierung kommen. Wir müssen die richtigen Konsequenzen aus der Krise ziehen und umdenken, in Politik, Wirtschaft und Konsum. „Immer billiger“ ist der falsche Weg aus der Krise! Wir brauchen in den Produktionsländern Löhne, von denen die Menschen leben können. Wir brauchen soziale Sicherungssysteme, um die Menschen auch in schwierigen Zeiten zu unterstützen. Und wir brauchen Mindeststandards bei Arbeitsschutz und Hygiene, um den Betrieb auch in Gesundheitskrisen aufrechtzuerhalten. Das ist auch in unserem Interesse, nicht nur in Pandemie-Zeiten.

Dass eine neue Normalität der Globalisierung möglich ist, zeigt der Grüne Knopf: Seit genau einem Jahr gibt es jetzt das staatliche Textilsiegel. Unternehmen, die 46 anspruchsvolle Sozial- und Umweltstandards nachweislich einhalten, können ihn bekommen. Mehr als 50 Vorreiter machen schon mit, von anerkannten Nachhaltigkeits-Pionieren über Sportlabel und Familienbetriebe bis hin zu großen Einzelhändlern. Auch Tchibo ist von Anfang an dabei.

Produkte mit dem Grünen Knopf gibt es für jeden Geschmack und Geldbeutel. Eine repräsentative Studie zeigt: Nach nur einem Jahr hat sich der Grüne Knopf am Markt etabliert und genießt hohes Vertrauen. Rund ein Drittel der Deutschen kennt ihn schon. Und nahezu alle befürworten ein staatliches Siegel zur Überprüfung sozialer und ökologischer Standards. Die Menschen wissen auch, wofür der Grüne Knopf steht, etwa das Verbot von Kinderarbeit und gefährlichen Chemikalien oder Zahlung von Mindestlöhnen.

Dieses Vertrauen spiegelt sich an der Ladentheke wider. Im ersten Halbjahr 2020 wurden 50 Millionen Textilien mit dem Grünen Knopf verkauft. Wir wollen aber noch weit mehr Kunden überzeugen, denn jede und jeder Deutsche kauft im Schnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr. Wer nachhaltig einkauft, zeigt, dass sie oder er im Wortsinn Verantwortung trägt!

Die Vorreiter-Unternehmen erfüllen schon hohe Sozial- und Umweltstandards in ihren Lieferketten. Tchibo hat etwa seit 14 Jahren ein Sorgfaltspflichtensystem aufgebaut, das Fabriken auditiert, den Einsatz von zertifizierten Rohstoffen aufbaut und Menschenrechts- als auch Umweltprogramme in Fabriken umsetzt. Aber Unternehmen aller Branchen sind in der Pflicht, grundlegende Menschenrechtsstandards wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit in ihren Lieferketten endlich sicherzustellen.

Die Realität sieht anders aus. Eine repräsentative Umfrage der Bundesregierung unter großen Unternehmen zur Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards hat ergeben, dass weniger als 17 Prozent die Vorgaben erfüllen. Das zeigt: Freiwilligkeit allein führt nicht zum Ziel. Märkte brauchen klare Regeln und Mindeststandards. Wettbewerbsvorteile zu Lasten von Menschenrechten darf es nicht geben. Deswegen fordern fast 90 renommierte Unternehmen ein Sorgfaltspflichtengesetz. Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung jetzt einen Schritt weiter geht und eine gesetzliche Regelung erarbeitet. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande sind uns hier übrigens voraus.

Es geht nicht darum, überall in der Welt deutsche Sozialstandards umzusetzen oder die hohen Standards des Grünen Knopfs für alle verpflichtend zu machen. Aber so wie Unternehmen Produktqualität und Lieferzeiten lückenlos nachverfolgen können, sollten sie künftig auch die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Produktionsschritten sicherstellen.

Diese Sorgfaltspflichten sind klar definierbar: Unternehmen müssen Risiken – wie Kinderarbeit – in ihren Lieferketten analysieren und in ihrem Einflussbereich Vorsorge und Verbesserungsmaßnahmen treffen. Sie müssen ein Beschwerdemanagement einrichten und transparent berichten. Das ist im digitalen Zeitalter machbar. Auch Start-ups sind dazu in der Lage.

Wir sehen aber auch: Wegen der Corona-Krise sind viele Unternehmen in einer schwierigen Situation. Auch deswegen sollte ein Gesetz mit Augenmaß erarbeitet werden, etwa mit Übergangslösungen, Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Mit dem Grünen Knopf als best practice und einem Lieferkettengesetz schaffen wir gemeinsam stabilere Lieferbeziehungen und verlässliche Produktionsbedingungen. Menschenrechtsstandards und zukunftssichere Arbeitsplätze, das passt zusammen.

Gerd Müller (CSU) ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Nanda Bergstein ist Direktorin Unternehmensverantwortung bei Tchibo.