19. Juni 2020 Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller zum globalen Hilfspaket gegen die globale Coronakrise
Es gilt das gesprochene Wort!
Eine Videoaufzeichnung der Rede finden Sie hier (Externer Link).
Eine druckbare Version der Rede (PDF 92 KB) finden Sie hier (Externer Link).
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Es ist wirklich gut: Während in der EU diese Woche über Hilfsprogramme im Rahmen der Coronakrise in Höhe von 2.000 Milliarden Euro für die 27 EU-Staaten diskutiert und parallel dazu über diese befunden wird und nachdem der Bundestag diese Woche über Stützungsprogramme in Höhe von 200 Milliarden Euro diskutiert hat, nehmen wir uns am Ende der Woche noch 30 Minuten Zeit für den Rest der Welt, für die Ärmsten der Armen, für vier Milliarden Arme, für 850 Millionen Hungernde und für 80 Millionen Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps. Denn auch dort ist das Virus angekommen, und es trifft die Ärmsten der Armen sehr, sehr hart.
Ich bedanke mich hier bei den Fraktionen – bei fast allen Fraktionen. Bis auf die AfD bekennen sich alle hier im Haus zur Verantwortung für die Entwicklungs- und Schwellenländer. Meinen herzlichen Dank! Man kann im Einzelnen über die Anträge und über die Schwerpunkte diskutieren: Bis auf die AfD haben wir einen breiten inhaltlichen Konsens, und das ist großartig. Deutschland setzt hier ein enorm wichtiges Zeichen der Solidarität in Richtung der Armen und der Schwachen.
Weil Sie über Kinder gesprochen haben: Denken Sie an den Bumerang. Wir sind froh, dass wir in Deutschland und in Europa bei der Pandemiebekämpfung erfolgreich vorankommen. Aber dieses Virus wird wie ein Bumerang zurückkommen, bekämpfen und besiegen wir es nicht weltweit. In diesen Tagen haben wir die höchsten Neuinfektionszahlen mit über 150.000 Menschen täglich. Ganz hart ist diese Krise jetzt in Lateinamerika – Stichwort: Venezuela – und Regionen Asiens, etwa in Indien, angekommen, aber natürlich gerade auch in Afrika. Wir haben jetzt keine verlässlichen Zahlen, weil die Tests und die Häufigkeit der Tests das in diesen Ländern nicht hergeben. Aber wir wissen, dass die Pandemie dort dramatische Folgen hat, und zwar nicht nur durch das Virus. In Guatemala hängen die weißen Fahnen raus. Diese weißen Fahnen dort bedeuten: Hier wird nicht wegen des Virus gestorben und auch nicht, weil keine Beatmungsgeräte da sind und keine Intensivmedizin möglich ist, sondern wegen Hunger. „Wir verhungern“, sagen uns die Menschen.
Übertragen Sie die Situation in Deutschland auf den Sudan, auf Äthiopien, auf Indien, auf diese Länder: Ein kompletter Lockdown in diesen Ländern hat sämtliche Transportketten und Möglichkeiten der Versorgung auf dem Lande nicht nur eingeschränkt, sondern verhindert. Es geht um Hunger, um eine der dramatischsten Hunger- und Wirtschaftskrisen, die sich in diesen Ländern aufbaut; denn die Reichen der Welt haben ihr Kapital sehr schnell in die sicheren Häfen umgeleitet. Ein Kapitalabfluss in Höhe von 100 Milliarden Euro in den letzten Wochen hat auch zu einer Liquiditätskrise der Staaten geführt. Ich bin dem Internationalen Währungsfonds (IWF), aber auch der Weltbank dankbar, die sofort oder zumindest sehr schnell reagiert haben. Aber wir haben es im Augenblick mit Millionen von Arbeitslosen zu tun, mit eine Milliarde Kindern ohne Möglichkeit des Schulbesuchs – davon die Hälfte ohne tägliches Essen –, mit fehlenden Medikamenten. Wir haben die große Sorge, dass Impfkampagnen nicht fortgeführt werden und es keine Schutzmöglichkeiten mehr gibt, dass Medikamente, die sonst Standard sind, beispielsweise bei der Malariabekämpfung, fehlen. An Malaria sterben nach wie vor jedes Jahr 400.000 Menschen; diese Zahl wird sich möglicherweise verdoppeln.
Thema Hunger. Die UN sagt, dass wir mit einer Verdopplung der Zahl der Hungernden rechnen müssen. Ich sage aber an dieser Stelle: Deutschland hilft. Das ist die Botschaft. Ich bin den hier vertretenen Fraktionen, dem Bundesfinanzminister, der diese Woche das Drei-Milliarden-Coronapaket auf den Weg gebracht hat, und der Kanzlerin unendlich dankbar. Das ist ein starkes Signal.
Wir sind längst konkret in der Umsetzung. Ich habe diese Woche – auch das ist eine Neuigkeit – eine Unterabteilung „One Health“ gegründet: für globale Gesundheit als eine Reaktion für die Zukunft. Wir bringen Experten aus den Bereichen Veterinärme-dizin, Humanmedizin, Bioökonomie, Agrar und ländliche Räume zusammen. Maria Flachsbarth, die Staatssekretärin, wird damit beauftragt, dieses Thema intensiv zu bearbeiten.
Wir leisten Hilfe, wo die Not am größten ist, etwa in Sanitätsstationen. Wir bauen Krankenhäuser auf, beispielsweise fünf Notfallkrankenhäuser im Irak, und tun vieles mehr; ich will das nicht alles aufzählen. Aber heute, parallel zum EU-Gipfel, ist mein Appell an die Welt: Lasst die Ärmsten nicht alleine!
Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die reichste Staatengruppe der Welt, müssen in der Lage sein, ein Nothilfeprogramm in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro zur Stabilisierung der am meisten betroffenen Länder aufzulegen. Wir dürfen in Europa nicht nur an uns selber denken. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU – ich sage das noch mal – haben einen Rettungsschirm von 2.000 Milliarden Euro aufgespannt; das werden wir in den nächsten Monaten auch hier gemeinsam beschließen. Da müssen 50 Milliarden Euro für die Welt als Zeichen der Solidarität möglich sein.
Neben dieser Nothilfe – das sage ich zum Schluss, weil wir ja in den nächsten Monaten auch darüber diskutieren werden –, geht es auch um den mehrjährigen Finanzrahmen. Frau Roth, wir wissen: Das ist der Siebenjahreshaushalt der Europäischen Union. Auch hier muss Europa eine neue Antwort geben. Afrika braucht mehr als das, was jetzt vorgesehen ist. Ein paar zusätzliche Tropfen für die Wüste werden nicht ausreichen, um die großen Herausforderungen zu bewältigen. Afrika ist Europas Partnerkontinent, und hier müssen wir bei der Planung des mehrjährigen Finanzrahmens der Europäischen Union ein deutliches Signal senden. Deutschland hilft – Europa muss diesem Beispiel folgen.
Vielen Dank