22. November 2019 Verantwortung von Unternehmen in Wertschöpfungsketten am Beispiel Textil
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit 30 Jahren haben Kinder auf der ganzen Welt offizielle Rechte – durch die UN-Kinderrechtskonvention. Dieser Konvention sind mehr Staaten beigetreten als jeder anderen UN-Konvention.
Viele Kinder können besseres Leben führen als Generationen vor ihnen: Die Kindersterblichkeit der Unter-Fünfjährigen sank um 60 Prozent; 92 Prozent aller Kinder weltweit gehen zur Schule (allerdings stagniert diese Zahl seit über zehn Jahren).
Und doch liegt vieles noch im Argen: Zum Beispiel müssen 152 Millionen Kinder weltweit arbeiten, die Hälfte von ihnen unter ausbeuterischen oder gefährlichen Bedingungen.
Auch wir in Deutschland haben einen Anteil daran – über unseren Lebens- und Konsumstil „made in billig“: Die Kleidung, die wir tragen, der Kaffee, den wir trinken, die Pflastersteine, auf denen wir laufen.
„Du sollst nicht stehlen“ heißt das 7. Gebot. Aber unser Konsum geht voll auf Kosten von Mensch und Natur, vor allem dort, wo es ohnehin schlechter um sie bestellt ist als hier. Wir beteiligen uns an Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskraft – jeder beschäftigt umgerechnet 60 Sklaven. In unseren Handys, Computern, Autos steckt Kobalt aus dem Kongo – eine Million Kinder arbeiten in afrikanischen Minen. Wenn im Supermarkt Bananen für 89 Cent das Kilo liegen, weiß ich, dass Plantagen-„Sklaven“ den wahren Preis unter schlimmen Bedingungen bezahlen.
Walter Benjamin hat Recht bekommen, als er in seinem berühmten Fragment „Kapitalismus als Religion“ schrieb: „Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, das heißt, der Kapitalismus dient essenziell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.“
Nein, Konsum darf nicht unsere Religion bleiben.
Wir sind verantwortungsethisch in der Pflicht zu handeln – und Globalisierung gerecht zu gestalten! Denn am Anfang jeder einzelnen Lieferkette steht ein Mensch, der von seiner Arbeit leben muss.
Sich für Not leidende und benachteiligte Kinder einzusetzen, ist Christenpflicht. Wir tun das unter anderem mit unserem Engagement gegen Kinderarbeit. Faire Lieferketten sind der zentrale Hebel. Politik kann nur den Rahmen setzen – immerhin! – mit Regeln, Standards, Anreizen. Mein Ziel ist: Nachhaltigkeit muss Wettbewerbs-Vorteil werden, auch in WTO und Handelsabkommen. Zum Beispiel sollte nur zertifiziertes Palmöl oder Soja für die europäischen Märkte zugelassen werden.
Aber auch Unternehmen müssen ihrer Verantwortung gerecht werden: Faire Lieferketten müssen Standard sein! Ich bin überzeugt: Wir brauchen freiwilliges Engagement und Regeln, Gesetze.
Wir brauchen freiwillige Initiativen. 2014 starben in Bangladesch mehr als 1.100 Menschen, als die Textilfabrik Rana Plaza einstürzte. In Pakistan verbrannten 250 Menschen, weil Brandschutz und Notausgänge fehlten.
Solche Katastrophen dürfen nie wieder passieren!
Wirtschaft und Menschenrechte sind selbstverständlich eine Einheit! Darum setzt Deutschland den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte um: Zurzeit fragen wir ab, was deutsche Unternehmen von sich aus tun. Die Auswertung läuft. Wenn das Prinzip der Selbstverpflichtung nicht ausreicht, werden wir gesetzlich tätig. Und viele Unternehmen rufen bereits selbst nach einem verbindlichen Rechtsrahmen.
Wir haben das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet, mit den Vorreitern in der Branche und der Zivilgesellschaft. Heute hat das Bündnis 120 Mitglieder. Die Mitgliedsunternehmen machen knapp 50 Prozent des deutschen Textilmarktes aus. Das Bündnis bringt konkrete Verbesserungen: unter anderem werden 160 giftige Chemikalien aus der Produktion verbannt, die Bündnismitglieder wollen den Anteil nachhaltiger Baumwolle bis 2025 auf 70 Prozent verdoppeln.
Mit dem Grünen Knopf setzen wir neue Maßstäbe – und machen Vorzeige-Engagement für Kunden sichtbar: Der Grüne Knopf ist ein staatliches Siegel für ökologisch und sozial nachhaltig produzierte Textilien. Das bedeutet: weniger giftige Abwässer und schädliche Chemie, weniger CO2-Emissionen, Mindestlöhne, mehr Arbeitsschutz und keine Kinderarbeit in den Zulieferfabriken. Dabei werden Produkt und Unternehmen geprüft.
Auch die Kirchen können sich so einsetzen für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit! In Deutschland geben die Kirchen 60 Milliarden Euro pro Jahr aus – das sechsfache meines Haushalts. Das ist ein gewaltiger Hebel für faire Produktion: 180.000 Betten in kirchlichen Krankenhäusern, 675 Tonnen Bettwäsche täglich – erst mit dem Grünen Knopf ist das wirklich „saubere Wäsche“. Die Diakonie will jetzt auf Grünen Knopf umsteigen. Ich wiederhole meinen Appell: Höchste Zeit, dass wir Katholiken mitziehen!
Denn wir alle tragen Verantwortung. Nur so können und müssen wir zu einer gerechten, nachhaltigen Welt beitragen. Die Kirchen sind dabei wichtige Partner für uns. Deshalb habe ich die Mittel des BMZ für die Zusammenarbeit mit den Kirchen deutlich erhöht. Mit Misereor und den katholischen Hilfswerken arbeiten wir seit fast 60 Jahren eng zusammen, auch beim Thema nachhaltige Lieferketten.
Die katholische Kirche ist die größte Entwicklungsbewegung der Welt! Sie tragen die Idee des Zusammenhalts in „Einer Welt“ in alle Winkel des Planeten. Für Ihren Einsatz danke ich herzlich!