21. Oktober 2019 „Die EU und Afrika“

Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller beim 30. Europäischen Abend von Europa-Union und Deutschem Beamtenbund und Tarifunion (dbb) in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

zum 30. Mal findet der Europäische Abend statt, und das bedeutet 30 Beweise dafür, dass der europäische Gedanke lebt. Zunächst ein Dank an die Europa-Union, den Deutschen Beamtenbund und die Tarifunion.

Demnächst jährt sich auch zum 30. Mal der Tag des Mauerfalls und die friedliche Revolution in Osteuropa: eine Sternstunde der Europäischen Geschichte. Damals bewies Europa, dass Einheitlichkeit und Freiheit stärker sind als Spaltung und Hass.

Europa als Friedensmacht, das war die kraftvolle Botschaft jener Zeit. Heute scheint Europa mit sich selber beschäftigt zu sein. Für manche ist die Frage am wichtigsten, wie sie aus Europa wieder herauskommen. Machen wir Europa wieder zur Friedensmacht!

Wir dürfen dabei aber nicht nur nach innen blicken. In Zeiten der Globalisierung ist Europa nur ein Teil des Ganzen, alles hängt zusammen: in der Produktion – Beispiel Handys mit Rohstoffen aus Afrika, Fertigung in China, und die Konzernzentrale sitzt in den USA – oder beim Thema Migration – Europas Innenpolitik entscheidet mit über Schicksale in Nahost und Afrika.

Unser Handeln hier hat globale Auswirkungen. Das Europäische Haus hat nur Bestand im Zusammenspiel mit seinen Nachbarn. Nur vierzehn Kilometer trennen uns von Afrika: Die kürzeste Distanz liegt an der Straße von Gibraltar. Auch historisch sind Europa und Afrika eng verbunden. In Afrika liegt unser aller Ursprung. Und die Schrecken der Kolonialzeit und die Aufteilung Afrikas wirken bis heute nach. Damals wirkte Europa nicht als Friedensmacht.

Auch aufgrund der Vergangenheit tragen wir Verantwortung für unseren Nachbarn Afrika. Europa und Afrika, das sind der alte und der junge Kontinent. Das Durchschnittsalter in Europa liegt bei 43 Jahren, in Afrika bei unter 18 Jahren. Zwei Drittel der Bevölkerung Afrikas sind jünger als 25, und Mitte des Jahrhunderts werden 2,5 Milliarden Menschen in Afrika leben. Jeder vierte Mensch ist dann Afrikaner, nur noch jeder 20. wird Europäer sein.

In Afrika entscheidet sich die Zukunft, auch unsere eigene! Afrika hat das größte Arbeitskräftepotenzial der Welt, aber jedes Jahr sind 20 Millionen neue Jobs nötig. Ich sehe in Afrika Bau-Boom, digitale Innovation und rasante Entwicklung, sechs der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften sind in Afrika. Aber immer noch sind 60 Prozent der Menschen ohne Strom, 380 Millionen leben unterhalb der Armutsgrenze und 240 Millionen hungern. Afrika steht für biologische Vielfalt, 675 Millionen Hektar Wald und 60.000 Pflanzenarten sind dort zu finden. Aber auch die Auswirkungen des Klimawandels sind nirgends so spürbar wie dort, und der Raubbau an der Natur lässt Wälder und Äcker degradieren.

Wohin Afrika steuert, liegt auch an uns. Die Dimensionen der Herausforderungen zeigen: Europa braucht eine Afrika-Strategie. Ich sehe vier zentrale Elemente:

Erstens braucht Afrika afrikanische Lösungen. Die Zeit, in der wir Europäer zu wissen meinten, was gut für Afrika ist, sind vorbei. Längst nimmt Afrika sein Schicksal selbst in die Hand und geht den afrikanischen Weg. Aus diesem Grund heißt die Agenda 2063 auch „The Africa we want“. Mit dieser Agenda hat Afrika ein starkes Signal gesendet, für Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Menschenrechte, gegen Korruption.

Die neue afrikanische Freihandelszone eröffnet ganz neue Chancen. Von ihr könnten 1,3 Milliarden Menschen profitieren. Europa kann und muss unterstützen.

Die neue Kommissionspräsidentin Von der Leyen hat Afrika bereits als Top-Priorität benannt. Das bedeutet, unser Vorschlag wurde aufgegriffen und es soll eine neue „EU-Afrika-Strategie“ erarbeitet werden.

Mit dem Marshallplan zeigen wir, wie es gehen kann. Unser Ziel dabei ist: „Mehr fordern, anders fördern“. Das bedeutet, wer reformiert, erhält deutlich mehr Mittel im Gegenzug für umgesetzte Reformschritte. Drei Reformpartnerschaften bestehen bereits: mit Côte d'Ivoire, Tunesien und Ghana. Drei weitere werden folgen: mit Senegal, Äthiopien und Marokko.

Wir sind Partner bei der Umsetzung der Agenda 2063: Wir unterstützen bei guter Regierungsführung, zum Beispiel bei der Erhöhung der Steuerquote in Ghana. Außerdem setzen wir auf lokale Wertschöpfung, etwa bei Kakao-Lieferketten in Côte d'Ivoire.

Wir fördern afrikanische Innovation, mit Digital- und Landwirtschaftszentren vor Ort. Entwicklungspolitik kann zwar den Rahmen schaffen, Partner unterstützen, Allianzen bilden. Aber Jobs vor Ort schaffen, in Afrikas Zukunftsmärkte investieren, kann nur die Wirtschaft, mit Unternehmen aus Europa und aus Afrika selbst.

Deswegen holen wir die Wirtschaft stärker ins Boot, gemeinsam mit den. Das Interesse ist da. Viele Unternehmen sagen: „In Afrika, da muss man einfach sein“. In der Realität ist aber noch viel zu tun. Nur ein Prozent der deutschen Auslandsinvestitionen gehen nach Afrika, nur zwei Prozent des Außenhandels. Auf Europäischer Ebene können wir auch noch deutlich mehr tun! China ist vielerorts präsenter, aber nicht nur beliebt. Europa muss Afrika zeigen: Wir gehen einen nachhaltigen und echt partnerschaftlichen Weg.

Die neue Entwicklungspolitik für Afrika sorgt für mehr Investitionspotenzial: Mit dem Entwicklungsinvestitionsfonds haben wir einen wichtigen Impuls gesetzt. Es gibt drei Komponenten:

1. „AfricaConnect“: Dieser Fonds schließt die Förderlücke für kleinere Investitionen. Denn bei unter vier Millionen Euro finanziert Ihnen keine Geschäftsbank in Afrika ein Business. Mit dem Fonds „AfricaConect“ wird dies nun möglich.

2. „AfricaGrow“: Dieser Fonds wurde geschaffen für kleine und mittelständische Unternehmen aus Afrika. Diese Unternehmen sind die Job-Motoren Afrikas, jedoch fehlte ihnen bisher der Zugang zu Finanzierung. Mit „AfricaGrow“ können sie wachsen, durch die Bereitstellung von Beteiligungskapital.

3. Die letzte Komponente ist die Beratung. Dafür haben wir das „Wirtschaftsnetzwerk Afrika“ gegründet. Für mehr Übersicht auf den neuen Märkten sorgen der Ausbau von Auslandshandelskammern sowie die „German Desks“ der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft.

Wir setzen Afrikas „Jugenddividende“ in Wert. In der Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ bilden wir mit deutschen Unternehmen vor Ort aus. 25.000 neue Ausbildungsplätze entstehen in den nächsten drei Jahren alleine in Ghana. In Tunesien schaffen wir 7.500 Arbeitsplätze im Automobilbereich. Denn Wertschöpfung und Arbeitsplätze müssen künftig vor Ort in Afrika entstehen.

Wir müssen unser Engagement jetzt auf die europäische Ebene heben: Wir brauchen eine europäische Investitionsoffensive für Afrika. Das Investitionsförderprogramm der Europäischen Union, der „External Investment Plan“, sieht vor, 44 Milliarden Euro zu mobilisieren. Das muss schneller umgesetzt werden! Zudem brauchen wir moderne und entwicklungsorientierte Investitionsabkommen der EU mit den afrikanischen Staaten. Für all das ist die neue Europäische-Kommission gefragt.

Afrikas Entwicklung beginnt auf Europas Märkten. Viele sagen mir: „Der Handel zwischen Afrika und der EU ist doch bereits fair“. Das mag auf dem Papier stimmen. Aber de facto gibt es immer noch viele Ausnahmen, zum Beispiel saisonale Quoten für Tomaten und Oliven aus Nordafrika. Viele Importe scheitern an den hohen Hürden der EU-Standards und -Vorschriften.

Gleiche Chancen gibt es nur bei gleicher Ausgangssituation: Deswegen müssen wir unsere afrikanischen Partner bei der Erreichung dieser Standards unterstützen. Und wir müssen noch weitergehen. Es kann nicht sein, dass die EU für ihre Agrarpolitik das Zehnfache ihrer Unterstützung für Afrika ausgibt! Wir müssen umdenken, auch wenn es Geld kostet.

Der neue EU-Handelskommissar will Afrika zum Schwerpunkt machen: Richtig so! Afrikas Entwicklung muss nachhaltig sein. Afrikas Entwicklung muss klimafest gestaltet sein, denn schon heute sind die Auswirkungen des Klimawandels in Afrika deutlich spürbar, sei es am Horn von Afrika oder in Mosambik.

Die Zukunft des Kontinents darf nicht auf Kohle und fossilen Brennstoffen gründen. In den nächsten zehn Jahren wird auf dem Kontinent mehr gebaut werden als in Europa in den vergangenen 100 Jahren. Wir unterstützen unsere afrikanischen Partner dabei, dass das auf nachhaltige Art und Weise passiert. Wir entwickeln moderne Verkehrs- und Städtebaukonzepte.

Europa und Deutschland sind Afrikas Technologie-, Energie- und Klimapartner. Afrika muss der grüne Superkontinent werden. Die Technologie dazu ist da - noch sind 90 Prozent des Potenzials an erneuerbaren Energien in Afrika nicht ausgeschöpft. Europa muss viel stärker in Innovationen denken, beispielsweise Methanol-Kraftstoffe. Dann profitieren beide Seiten von Afrikas nachhaltiger Entwicklung.

Im nächsten Jahr hat Deutschland ab Juli für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft inne. Diese Gelegenheit werden wir nutzen, um eine moderne EU-Afrika Partnerschaft auszubauen, als Folgeabkommen zum Cotonou-Vertrag. Wir werden uns starkmachen für mehr Mittel für Afrika und für eine europäische Investitionsoffensive.

Wir brauchen einen europäischen Zukunftsvertrag mit Afrika!