27. Juni 2019 Natur- und Klimaschutz für gerechte Globalisierung

Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller bei der WWF Night in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute Abend leben wir auf Kosten des WWF, aber auch sonst leben wir auf Kosten anderer: Seit 1980 hat sich der Ressourcenverbrauch verdoppelt. Das sind 30 Prozent mehr als unser Planet regenerieren kann. Würde die ganze Welt die Ressourcen auf dem Level Deutschlands verwenden, wäre der Erdübernutzungstag 2019 bereits am 3. Mai gewesen. Wir externalisieren die Kosten für unseren Lebensstil: Wir lagern Nutzflächen für Vieh aus, nach Brasilien oder Argentinien, wo Soja für unsere Schweinemast angebaut wird.

Zum Glück gibt es Organisationen wie den WWF, die uns auf diese Themen aufmerksam machen. Seit bald 30 Jahren ist der WWF wichtiger Partner für uns bei Waldschutz und Meeresschutz. Sie sind eine kritische Stimme uns gegenüber, aber nah bei den Menschen in unseren Partnerländern – auch an Orten, wo die Arbeit schwierig oder gefährlich ist. Für diesen Einsatz möchte ich Ihnen danken!

Was jetzt passieren muss – ich möchte fünf Vorschläge machen:

Erstens: Wir müssen globale Güter besser schützen. Natur muss einen Preis haben. Das ist auch eine Frage globaler Gerechtigkeit. Aktuell verbrauchen 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen und verursachen zwei Drittel der Umweltverschmutzung. Nur 10 Prozent der Menschheit verursachen fast 50 Prozent der Treibhausgase. Aus dem Bericht des Welt-Biodiversitätsrats im Mai geht hervor, dass das Artensterben neben dem Klimawandel eine der größten globalen Herausforderungen ist. Heute sind eine Million Tier- und Pflanzenarten bedroht, und ein Drittel aller Böden sind heute schon degradiert. Zwei Milliarden Menschen leben in wasserknappen Gebieten.

Zweitens: Wir müssen in Kreisläufen wirtschaften. Wir müssen den Ressourceneinsatz reduzieren – und zwar um den Faktor 10. 350 Millionen Tonnen Plastik werden im Jahr weltweit hergestellt, ein Drittel davon sind Einweg-Verpackungen und nur vier Prozent werden recycelt. Deutschland ist hier trauriger Europameister: 37 Kilogramm Plastikmüll pro Kopf produzieren wir jedes Jahr. Schluss mit der Wegwerfgesellschaft! Wir brauchen eine echte Kreislaufwirtschaft.

Drittens: Wir müssen das Klima besser schützen. Klimaschutz ist Überlebensfrage der Menschheit. Wir brauchen eine globale Energiewende, Verkehrswende, Bauwende! Weltweit sind über 1.000 Kohlekraftwerke geplant – gehen sie ans Netz, ist das Zwei-Grad-Ziel unmöglich. 2050 könnten fast 90 Prozent des weltweiten Energiebedarfs erneuerbar gedeckt werden, schätzt die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien. Dafür braucht es klimaneutrale Treibstoffe: zum Beispiel Wasserstoff und Methanol, mit Sonnenenergie aus Afrika. Afrika kann der Grüne Kontinent werden!

Wir brauchen einen neuen Wachstumsbegriff in Richtung klimaneutrales Wachstum. Der weltweite CO2-Ausstoß hat sich seit 1990 verdoppelt. Deutschland hat seither um 27 Prozent reduziert. Bis 2050 wollen wir klimaneutral sein. Wir müssen ehrgeizig vorangehen und international Vorreiter sein.

Aber allein mit öffentlichen Geldern ist Dekarbonisierung nicht zu erreichen! Jeder muss mitziehen: Unternehmen, Institutionen, Privatpersonen. Deshalb habe ich die „Allianz für Entwicklung und Klima“ ins Leben gerufen. Mehr als 300 Unternehmen, Institutionen und Nichtregierungsorganisationen sind schon dabei. Die Unterstützer kompensieren nicht-vermeidbare CO2-Emissionen mit Investitionen in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern. So mobilisieren wir zusätzliche, freiwillige Mittel für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung.

Viertens müssen wir anders produzieren, anders konsumieren: fair und nachhaltig. Wir brauchen Mindeststandards in globalen Lieferketten auf menschenrechtlicher, sozialer und ökologischer Ebene. Kein Regenwald soll brennen und keine Kinder sollen arbeiten müssen für unsere Produkte! Es muss eine Bewegung vom Freihandel zum Fairhandel in der WTO geben.

Aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten tragen Verantwortung! 60 Sklaven beschäftigt jeder von uns, das hat eine Professorin aus Bayreuth berechnet. Unser „billig“ geht zu Lasten von Mensch und Natur anderswo.

Fünftens, wir brauchen Wahrheit bei den Preisen. Wir brauchen ein globales Verursacherprinzip: Es darf keine Externalisierung von Kosten an Welt-Gemeingütern geben! Naturverbrauch darf nicht gratis sein!

Und wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer – zumindest in Europa. An den Börsen finden täglich Finanztransaktionen im Wert von 10.000 Milliarden US-Dollar statt. Eine Steuer auf Derivate und Aktien würde 60 Milliarden Euro Einnahmen für nachhaltige Entwicklung möglich machen.

Wir wissen, was zu tun ist. Jetzt müssen Taten folgen. Leben und Wirtschaften auf einer christlichen, humanistischen Wertebasis heißt: Alle Menschen haben das Recht auf ein Leben in Würde und auf den Erhalt unserer Schöpfung. Hier kommen heute die jungen Leute zu Wort. Das ist gut, denn hier geht es um Ihre Zukunft!