19. Juni 2019 Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller beim ersten Nationalen High-Level Political Forum (HLPF)

in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit Montag tagt in Bonn die Klimakonferenz der Vereinten Nationen: Es geht um wasserdichte Regeln für Markt- und Handelsmechanismen und um den Schutz der Ärmsten und Verwundbarsten – damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden können. Kurz: um die Überlebensfrage der Menschheit.

Wir wissen, es müsste noch weit mehr geschehen: Nur sieben Länder sind auf Kurs für das Zwei-Grad-Ziel, nur zwei auf Kurs für 1,5 Grad. „Wir machen zu wenig von dem Vereinbarten, das jetzt schon nicht ausreichen wird“, so UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Das Gleiche gilt für die meisten anderen Sustainable Development Goals (SDGs).

Wir wollen extreme Armut auslöschen (SDG1). Aber: Bei gleichem Tempo werden 2030 noch über 400 Millionen Menschen extrem arm sein.

Wir können und wollen den Hunger in der Welt beenden (SDG2). Aber: der Klimawandel lässt Erträge sinken. Die Zahl der Hungernden steigt wieder, auf inzwischen 821 Millionen, auch durch Kriege und Krisen.

Wir können und wollen ein gesundes Leben für alle (SDG3). Aber: Epidemien melden sich zurück und neue kommen hinzu, zum Beispiel Diabetes. Der Klimawandel schafft neue Gefahren wie zum Beispiel Dengue in Europa.

Wir wollen Umwelt und Biodiversität erhalten (SDGs 14 und 15). Aber: Jährlich sterben 30.000 Arten aus und zwei Milliarden Menschen leben in wasserknappen Gebieten.

Wir wollen bezahlbare und saubere Energie (SDG7): Aber: noch sind eine Milliarden Menschen ohne Strom. Weltweit sind 1.200 Kohlekraftwerke geplant – gehen sie ans Netz, ist die Erreichung des zwei Grad-Ziel unmöglich.

Die Agenda 2030 muss endlich Kompass werden - für alle Länder, alle Politikfelder, in allen Sektoren! Was ist zu tun? Ich nenne zehn Punkte:

1. In Deutschland voran gehen! Deutschland ist Exzellenzregion. Wir brauchen ehrgeizigere Ziele. Wir brauchen Klimaneutrales Wachstum und Klimaneutralität: in Deutschland bis 2050. Finnland will es schon bis 2035 schaffen! Wir müssen die Energiewende weiterführen: nachhaltig, aber sozial verträglich. Und wir brauchen Lösungen für emissionsarmes Fahren: alltagstauglich und bezahlbar.

Aber wir dürfen die Diskussion nicht auf Deutschland verengen!

2. Denn entscheiden wird sich die Zukunft in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Dort wächst die Bevölkerung am schnellsten. In Afrika wird sich die Bevölkerung verdoppeln. Dort ist der größte Energiebedarf: bis 2040 plus 80 Prozent. Dort wird am meisten gebaut werde. In Afrika wird in den nächsten zehn Jahren so viel gebaut wie in Europa in 100 Jahren. Dort leiden die Menschen schon heute am meisten unter dem Klimawandel.

Wir brauchen eine globale Energiewende, Bauwende, Verkehrswende, Plastikwende und Agrarwende.

3. Energiewende globalisieren: 2050 könnten fast 90 Prozent des weltweiten Energiebedarfs erneuerbar gedeckt werden. Wir fördern das mit unserer Entwicklungszusammenarbeit. Zum Beispiel haben wir eine Solarpartnerschaft mit Indien, und wir wollen Afrika zum Grünen Kontinent machen. Unter anderem arbeiten wir an dezentraler Energieversorgung im Projekt „Grüne Bürgerenergie für Afrika“. Wir brauchen außerdem klimaneutrale Treibstoffe. Methanol aus Sonnenenergie aus Afrika könnte eine Wirtschaftschance für den Kontinent sein.

4. Landwirtschaft muss klimasicher werden. Denn Landwirtschaft treibt den Klimawandel an: 25 Prozent der Treibhausgase werden direkt oder indirekt durch die Landwirtschaft verursacht, zum Beispiel durch Rodung von Regenwald und Düngerproduktion. Wir müssen Erträge sichern und vervielfachen, aber nicht mit mehr Flächen, Wasser und Dünger. Der Dünger von heute heißt Innovation!

Wir müssen unser Know-how teilen und Agrarforschung besser nutzen. In Mexiko haben sie neue Mais- und Weizensorten gezüchtet, die trocken-resistent sind und mehr Ertrag geben.

Wir setzen auf Agrar-Ökologie für bessere Böden, weniger Wasser und Dünger, für mehr Vielfalt durch Fruchtfolgen. Das alles unterstützen wir mit Innovationszentren.

5. Wir müssen Natur und Ökosysteme schützen. Die Menschheit verbraucht mehr Ressourcen als sie regenerieren kann. Der Erdüberlastungstag für Deutschland war dieses Jahr schon am 3. Mai. Der Bericht der Biodiversitätskommission hat gezeigt, dass eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Ein Plastikstrudel im Pazifik ist viermal so groß wie Deutschland.

Wir setzen uns ein für Wald- und Meeresschutz. Bislang wurden 60 Millionen Hektar Tropenwald unter Schutz gestellt – eine Fläche fast zweimal so groß wie Deutschland. 6,7 Milliarden Euro hat die Bundesregierung 2017 für den internationalen Klimaschutz bereitgestellt.

6. Den Ärmsten helfen, sich abzusichern: Zehn Prozent verursachen 50 Prozent der Emissionen. Für die Ärmsten sind die Folgen existenziell. 320 Milliarden US-Dollar Schäden haben Naturkatastrophen im Jahr 2017 angerichtet - in Entwicklungsländern sind 95 Prozent solcher Schäden nicht versichert. Unser Ansatz: Klimarisikoversicherungen für Entwicklungsländer. Im Schadensfall werden so aus Hilfsbedürftigen Anspruchsberechtigte!

7. Wirtschaften im Kreislauf statt Wegwerfkonsum: Jährlich entstehen global zwei Milliarden Tonnen Müll. Bis 2050 könnten es 70 Prozent mehr sein. Allein in Afrika könnte sich die Müllmenge verdreifachen, in Südasien verdoppeln. Beispiel Plastik: Allein mit der Produktion bis 2050 wären schon zehn Prozent des CO2-Budgets verbraucht. Von 400 Millionen Tonnen Plastik im Jahr werden nur vier Prozent recycelt. Die weltgrößte Elektroschrotthalde befindet sich in Ghana. Entwicklungsländer dürfen nicht Kippe für Wohlstandsmüll sein! Plastikmüllexporte aus der Europäischen Union (EU) müssen aufhören. Um Kreislaufwirtschaft und Recycling voranzubringen, haben wir die PREVENT Waste Alliance gegründet. Bereits 42 Organisationen sind dabei. Ich setze mich außerdem für entwaldungsfreie Lieferketten und nur zertifizierte Produkte nach Europa ein. Kein brennender Regenwald für unsere Produkte!

8. Wir brauchen neue Allianzen für nachhaltige Entwicklung, mit Unternehmen als Teil der Lösung. Deshalb habe ich die „Allianz für Entwicklung und Klima“ ins Leben gerufen. 300 Unternehmen, Institutionen und Nichtregierungsorganisationen sind schon dabei.

Mit unserer Nationally Determined Contributions-Partnerschaft (NDCs) mit dem Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz (BMU) helfen wir Partnerländern, Klimamaßnahmen in Haushalts-, Wirtschafts-, Agrar- oder Energiepolitik umzusetzen. 50 Entwicklungsländer profitieren schon. So unterstützen wir Entwicklungsländer dabei, gleich einen grünen Wachstumspfad einzuschlagen und aus unseren Fehlern zu lernen.

9. Europa muss Vorreiter für Nachhaltigkeit werden. Aber die EU hat noch immer keine übergreifende Strategie zur Umsetzung der SDGs nach innen und außen.

10. Die Agenda 2030 und SDGs bekannt machen! Gerade mal die Hälfte der Deutschen hat von den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung gehört, keine zehn Prozent wissen, was genau drin steht.

Erstmals seit der Verabschiedung der Agenda 2030 vor vier Jahren treffen sich im Herbst in New York die Staatsspitzen zum SDG-Gipfel.

Der Weckruf, der von davon ausgeht, muss laut sein und die Welt wachrütteln.