5. Juni 2019 Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller beim Parlamentarischen Abend von World Vision: Gewalt gegen Kinder in bewaffneten Konflikten/Kindersoldaten

in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

jedes fünfte Kind lebt im Krieg. Das heißt: Jedes fünfte Kind wird um seine Kindheit und jedes fünfte Kind um seine Zukunft gebracht!

Mehr als 420 Millionen Kinder leben weltweit in Kriegs- und Konfliktgebieten, Tendenz steigend.

Immer mehr Kinder leiden unter den Folgen: als zivile Opfer wie im syrischen Idlib, als Kindersoldaten wie im Irak oder Uganda, als Flüchtlinge wie in Myanmar, als Waisen wie in Bangladesch, als Verwundete oder dauerhaft Verstümmelte wie in Afghanistan, als Inhaftierte oder Entführte wie in der Zentralafrikanischen Republik, als sexuell Ausgebeutete wie bei Boko Haram.

Immer mehr sterben. Auf einen getöteten erwachsenen Kämpfer kommen mittlerweile fünf getötete Kinder. Allein zwischen 2013 und 2017 starben in den zehn am stärksten betroffenen Staaten 870.000 Kinder unter fünf Jahren an den direkten oder indirekten Kriegsfolgen: an Bomben, an Hunger, an Krankheiten...

2018 war in Syrien das bisher tödlichste Jahr für Kinder. Nach Informationen der Vereinten Nationen wurden im letzten Jahr allein 262 Schulen und Krankenhäuser angegriffen.

Doch was können wir tun, um Kriege und Konflikte zu verhindern?

Deutschland als eines der reichsten Länder Europas trägt eine hohe Verantwortung.

Unsere erste Antwort lautet daher: Nicht bei der Entwicklung sparen!

Denn nur Entwicklung schafft Stabilität. Wir müssen vor Ort investieren, in den Krisenregionen, denn dort erreichen wir mit einem Euro das Hundertfache. Deutschland leistet dort Großartiges – auch durch Partner wie Sie von World Vision.

In Syrien und Irak arbeiten wir bei der Versorgung der Bevölkerung zum Beispiel auch eng mit dem Welternährungsprogramm zusammen. Der Entwicklungsetat darf daher nicht sinken!

„Ich bräuchte nur ein Drittel aller Rüstungsausgaben, dann gäbe es keinen Hunger mehr“, sagte David Beasley, der Leiter des Welternährungsprogramms, neulich hier in Berlin zu mir.

Ich würde noch weitergehen: Gebt uns ein weiteres Drittel und wir rotten Epidemien aus, bauen Schulen und helfen traumatisierten Kindern zurück ins Leben!

Unsere zweite Antwort lautet: Kinderrechte stärken!

Hier hat es durchaus große Fortschritte gegeben: 1989 wurde die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert – von allen Staaten außer den USA. Seit 2002 ist das Fakultativprotokoll in Kraft. Es ächtet die zwangsweise Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren als Soldaten. Bislang sind über 165 Staaten dabei.

Doch Fortschritte stehen zu oft nur auf dem Papier.

In der Realität sind bis zu 300.000 Kinder illegal rekrutiert worden und als Soldaten im Einsatz. Es gibt verstörende Berichte aus Syrien, Jemen. Die Terrormiliz Islamischer Staat hat im Irak nachweislich Neunjährige zum Töten gezwungen.

„Kinder als Soldaten zu benutzen, ist eines der brutalsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagen Sie, Herr Waffenschmidt.

Wir werden unser „Nein“ zu diesem Verbrechen daher immer und überall deutlich artikulieren. Die Resolution 1612 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist dabei ein wichtiges Dokument. In ihm wurden schon 2005 alle nötigen Maßnahmen für den Schutz von Kindern in Konflikten und Kindersoldaten verankert. Im Rahmen seiner aktuellen Sicherheitsrats-Mitgliedschaft wird sich Deutschland daher auch weiterhin für die Durchsetzung der Resolution stark machen.

Unsere dritte Antwort lautet: Kindern zurück ins Leben helfen. Damit sie ihre Traumata verarbeiten können und wir der Gewaltspirale Einhalt gebieten.

Die Hilfe für Kinder in Krisengebieten ist und bleibt daher Schwerpunkt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Von Afghanistan bis Jemen.

Zugang zu Bildung spielt dabei eine Schlüsselrolle: Das BMZ unterstützt zum Beispiel in Kolumbien die Reintegration ehemaliger Kindersoldaten durch berufliche Ausbildung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

Auch medizinische Grundversorgung, Betreuung in Sozialstationen oder Hilfen für die betroffenen Familien sind immens wichtig. Genau wie Trauma-Arbeit: Die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen wie World Vision sind auch hier für uns wichtige Partner: Im Irak, Jordanien, Liberia oder Ruanda werden Schutzsuchende oder ehemalige Kämpfer psychosozial betreut. Sie sollen verarbeiten können, sich stabilisieren.

Schon jetzt danke ich World Vision für das Projekt „Rebound“, das hier später noch vorgestellt wird. Mitinitiator Wolfgang Niedecken von BAP hat hier für sein Engagement zu Recht das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Wir dürfen auch nicht nachlassen, die Ursachen von Krieg und Konflikten zu lindern: Armut, Ungleichheit, Ausgrenzung, Klimawandel, Umweltzerstörung, Ausbeutung ...

Albert Einstein sagte dazu: „Es gibt keine Entdeckungen und Fortschritte, solange noch ein Kind im Krieg leben muss.“

Eine gerechte Welt, in planetaren Grenzen: Das ist die „Welt-Vision“, für die wir gemeinsam arbeiten.