3. April 2019 Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller bei der Tchibo Dialog-Veranstaltung zum Thema „Fairer Handel“

in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Tchibo ist Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit! Bereits seit 2006 ist Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie integriert. Ihr Unternehmen wurde seitdem mehrfach ausgezeichnet – 2016 als nachhaltigstes Großunternehmen Deutschlands! Zum Beispiel hat Tchibo die Initiative „WE“ gestartet: Sie steht für Arbeitnehmerrechte, existenzsichernde Löhne sowie Gewerkschaftsfreiheit. „WE“ gibt es schon in 363 Fabriken in elf Ländern. 75 Prozent der Non-Food-Produkte kommen dorther.

Tchibo ist auch prominentes Mitglied im Textilbündnis, das Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammenführt: Tchibo ist schon früh im Jahr 2015 beigetreten. Und hilft auch ganz konkret: In China und Bangladesch zum Beispiel, indem Sie Trainer für besseres Chemikalienmanagement ausbilden.

Tchibo zielt auf ein 100 Prozent nachhaltiges Geschäft. Davon konnte ich mich in einer Tchibo-Rösterei in Hamburg überzeugen.

Für Ihr Engagement danke ich Ihnen sehr! Ich habe mir sagen lassen: 40 Prozent des in Deutschland angebotenen nachhaltigen Filterkaffees stammen von Tchibo. Wir im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gehen übrigens auch mit gutem Beispiel voran und schenken nur fair gehandelten Kaffee aus.

I. Leider haben noch nicht alle die Bedeutung von Fairness und Nachhaltigkeit verstanden

Denn noch immer werden hunderte Millionen Menschen in Entwicklungsländern für unsere Produkte ausgebeutet.

Neulich habe ich mir eine Bananenplantage in Mexiko angeschaut: Den Bauern bleiben nur zwei Dollar Gewinn pro 18-Kilo-Kiste. Um Existenzen zu sichern, müsste es das Dreifache sein.

Auch unsere T-Shirts werden oft unter schlechten Bedingungen hergestellt: 16-Stunden-Arbeitstage; Löhne, die nicht zum Leben reichen. In unserer Schokolade oder dem Kaffee steckt ausbeuterische Kinderarbeit. Global arbeiten über 150 Millionen Kinder, anstatt zur Schule zu gehen. Fast die Hälfte davon bei besonders gefährlichen Tätigkeiten in Minen, Steinbrüchen.

Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass unser Wohlstand mit der Armut der anderen erkauft ist. Menschenwürdige Arbeit weltweit durchsetzen: Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts!

II. Hier müssen alle ihren Beitrag leisten: Politik, Unternehmen und Konsumenten

1. Die Grundlage sind weltweit gültige Sozial- und Umweltstandards. Die internationale Gemeinschaft ist hier schon weit gekommen: Die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 und die ILO-Kernarbeitsnormen von 1999 gebieten ein Recht von Kindern auf Schutz vor Ausbeutung.

2. Fast alle Produktionsländer haben diesen Standards zugestimmt. Jetzt müssen sie umgesetzt werden: das heißt vor allem Menschenrechte schützen, Gewerkschaften zulassen, Arbeitsbedingungen kontrollieren. Wir unterstützen unsere Partnerländer dabei, die nötigen Strukturen aufzubauen – zum Beispiel Inspektoren für den Arbeitsschutz auszubilden.

3. Unsere Unternehmen müssen sicherstellen, dass in den Lieferketten Menschenrechte eingehalten werden: Viele gehen bereits freiwillig voran, wie Tchibo.

Freiwillige Ansätze bleiben auch künftig wichtig. So wie im Forum Nachhaltiger Kakao: 2011 waren wir bei drei Prozent zertifiziertem Kakao, heute sind wir bei 62 Prozent. Aber Ziel müssen 100 Prozent sein! Und wie im Bündnis für nachhaltige Textilien, das im letzten Jahr 160 giftige Chemikalien aus dem Produktionsprozess verbannt hat.

Zu „Textil“ engagiert sich die Hälfte der Branche. Das heißt aber auch: Die andere Hälfte zieht nicht mit und engagiert sich nicht für diese Standards. Viele sagen: „Wir können die Bedingungen in unseren Produktionsstätten nicht kontrollieren.“ Das lasse ich nicht mehr gelten. Selbst kleine Start-ups schaffen das. Im Zeitalter der Digitalisierung gibt es technische Möglichkeiten, zum Beispiel Blockchain.

Seit 2016 stellt der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte fünf klare Mindestanforderungen: (1) Bekenntnis zur Achtung der Menschenrechte, (2) Risikoanalyse über eventuelle Rechtsverletzungen und (3) wenn ja, Mechanismen zur Abhilfe, (4) Berichterstattung und (5) schließlich Beschwerdemöglichkeiten für Geschädigte.

Jetzt prüfen wir, ob Unternehmen ihrer Pflicht nachkommen. Ab Herbst werten wir aus.

4. Wenn nicht genügend Unternehmen freiwillig ihre Sorgfaltspflichten erfüllen, kommt ein Gesetz. Am besten auf europäischer Ebene – wenn erforderlich aber auch national. So haben wir es im Koalitionsvertrag festgelegt. Denn letztlich müssen für alle Unternehmen gleiche Spielregeln gelten.

5. Und ich werbe für fair gehandelte Produkte! Bald werden 150 Millionen Schoko-Osterhasen verkauft: Jeder möchte damit Kinder glücklich machen. Aber am Anfang der Kette sind die Kinder unglücklich! Denn bei einem herkömmlichen Hasen kommen nur wenige Cent vor Ort an.

Wer künftig ein T-Shirt kauft, soll mit dem „Grünen Knopf“ sofort erkennen können, ob Kleidung nachhaltig hergestellt wurde. Denn er verbietet zum Beispiel Kinder- und Zwangsarbeit. Ich wünsche mir, dass noch mehr fragen: Wie wurden meine Lebensmittel, wie wurde meine Kleidung produziert?

Schließlich entscheiden wir alle mit jedem Einkauf mit, ob Kinder aufs Feld oder zur Schule gehen, ob Familien von ihren Löhnen leben können und unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Denn Kinderarbeit verschwindet, wenn Eltern existenzsichernde Löhne bekommen.

III. Wir brauchen schnelle Fortschritte bei dem größten Missstand: ausbeuterische Kinderarbeit

Mit der International Labour Organization (ILO) arbeiten wir deshalb noch enger zusammen! Gemeinsam wollen wir (1) Kinderarbeit abschaffen und (2) Beschäftigung fördern – unter anderem in Kooperation mit dem Privatsektor und durch Stärkung der Arbeitsmarktinstitutionen. Zudem wollen wir (3) bessere Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten durchzusetzen: unter anderem durch Förderung von Arbeitsschutz, existenzsichernden Löhnen und Tarifverhandlungen.

Wir müssen jetzt anpacken: den Nationalen Aktionsplan umsetzen, die freiwilligen Initiativen und fairen Einkauf voranbringen. Und wenn erforderlich auch gesetzliche Regelungen erlassen.

Globalisierung so gestalten, dass alle profitieren: Dafür handeln wir gemeinsam!