3. April 2019 Entwicklungspolitik und Klimaschutz gehen nur zusammen

Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller bei der 11. Zukunftskonferenz des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

schon im 19. Jahrhundert ging es hier in der „Factory Berlin“ um Innovation und Kooperation. Was heute möglich ist, haben eben die nachhaltigen Start-ups aus der Lebensmittelbranche gezeigt. Ernährung und Nachhaltigkeit zusammenbringen – damit übernehmen Sie Verantwortung. Denn Ernährung für acht und bald zehn Milliarden Menschen, ohne unsere Erde zu zerstören, das ist eine Menschheits-Herausforderung!

Das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung ist am Puls der Zeit: Sie bilden „Nachhaltigkeitsmanager“ aus und bieten einen Standard für unternehmerische Nachhaltigkeit. Er ist TÜV-zertifiziert und praktisch anwendbar. Viele Unternehmen nutzen ihn schon.

Und Sie gehen selbst voran. Mit Ihrer Initiative zu Klimaneutralität „ZNU goes Zero“ wollen Sie und Ihre Partner sich bis 2022 klimaneutral stellen. Viele Unternehmen aus der Lebensmittelbranche sind dabei. Damit ist die Universität Witten/Herdecke Vorbild. Sie bilden die Fachkräfte der Zukunft aus. 80.000 Menschen arbeiten in den Unternehmen Ihres Netzwerks – das sind wichtige Multiplikatoren.

Nachhaltige Unternehmensführung muss Standard werden. Nur so kann unsere Wirtschaft vom Teil des Problems zum Teil der Lösung werden. Bisher sind die meisten Unternehmen vor allem auf Gewinnmaximierung für Aktionäre aus. Der Schutz der globalen öffentlichen Güter wie Umwelt und Soziales spielt kaum eine Rolle.

Allein die 90 größten Weltkonzerne haben seit Beginn der industriellen Revolution fast zwei Drittel aller Treibhausgase produziert. Viele Unternehmen lagern die Produktion aus – und die Verantwortung gleich mit: Natur und Arbeitskräfte werden anderswo ausgebeutet, ohne dafür zu zahlen. Diese Externalisierung muss aufhören. Dafür braucht es den politischen Rahmen und Vorreiter, die zeigen: es geht auch anders.

Klimaschutz ist eine Überlebensfrage der Menschheit. Das hier ist schon Realität: Dürren, Stürme, Überflutungen – wie vor zwei Wochen in Mosambik mit über 600 Toten. Ressourcen wie Böden oder Wasser sind übernutzt: 92 Milliarden Tonnen Ressourcen holen wir jedes Jahr aus dem Boden, aber zwei Milliarden Menschen haben zu wenig Wasser.

Was uns droht, wenn wir nicht gegensteuern: bis zu 30 Prozent weniger Ernteerträge, 100 Millionen mehr Menschen in Armut bis 2030; 140 Millionen Menschen, die in Afrika, Lateinamerika, Asien bis 2050 ihre Heimat verlieren könnten.

Wir tragen Verantwortung. Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verantworten fast 50 Prozent der CO2-Emissionen. Aber weggespülte Küsten, Tropenstürme, Dürren treffen vor allem Entwicklungsländer, die sich am wenigsten wappnen können.

Klima und Entwicklung sind nicht zu trennen. Zwei Faktoren werden den Erfolg des Klimaschutzes bestimmen:

1. Was passiert in Entwicklungs- und Schwellenländern?

Gelingt es, dass Entwicklungsländer sich von Anfang an klimafreundlich entwickeln?

Dafür müssen wir heute die Weichen stellen: In den nächsten zehn Jahren werden 90 Billionen US-Dollar in Infrastruktur investiert – für Energiegewinnung, Verkehr, Bauen. Jetzt können wir diese Investitionen noch nachhaltig gestalten. Jetzt ist die Chance, Städte und Landwirtschaft klimafreundlich zu entwickeln, damit Entwicklungsländer nicht von fossilen Energieträgern abhängig werden.

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit tut das. Wir treiben klimafreundliche Entwicklung voran:

Wir fördern die globale Energiewende, in einer Solarpartnerschaft mit Indien, wo wir eine Milliarde Euro investieren. Oder in Marokko, wo unter anderem mit deutscher Unterstützung das modernste Solarkraftwerk der Welt entsteht. Nach Fertigstellung wird es grünen Strom für 1,3 Millionen Menschen liefern.

Wir unterstützen Null-Emissions-Strategien, zum Beispiel in Mexiko mit energieeffizientem Bauen oder in Brasilien beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. 18 Millionen Menschen pro Jahr können dort bald umsteigen. Und unsere Waldschutzprogramme in Kolumbien, Brasilien und Ecuador haben so viel CO2 eingespart, wie 60 Prozent aller PKW in Deutschland ausstoßen.

Wir stoßen neue Initiativen an: für klimagerechte Landwirtschaft, für nachhaltige Mobilität – zum Beispiel eine Initiative für Carsharing in Ruanda. Wir teilen Wissen – etwa in der sogenannten NDC-Partnerschaft zur Umsetzung des Paris Abkommens für Klimaschutz – und wir nutzen Innovationen wie Klimarisikoversicherungen.

Aber öffentliche Gelder allein werden das Klimaproblem nicht lösen. Deshalb ist der zweite entscheidende Faktor:

2. Woher kommen die Investitionen für solche Entwicklungssprünge?

Wie können wir das Potenzial der Privatwirtschaft als Motor für Innovation, für technologischen Fortschritt, für Effizienzsteigerung nutzen und gleichzeitig Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards fördern?

Zum Glück erkennen immer mehr Investoren: Klimaschutz rentiert sich. Ökologisch und sozial nachhaltige Unternehmen sind langfristig erfolgreicher. In den letzten Jahren wurden sechs Billionen US-Dollar aus der Kohlefinanzierung abgezogen. Diesen Trend nutzen wir.

Deshalb haben wir die Allianz für Entwicklung und Klima gegründet. Die Idee hinter dem Bündnis: Viele Unternehmen, Institutionen, Vereine wollen mehr für den Klimaschutz tun und gleichzeitig Entwicklung fördern. Wir bündeln ihr Engagement. Ähnlich wie Sie das am Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung mit Ihrer Initiative tun. Das Ziel unserer Allianz: klimaneutral werden. Das Prinzip: vermeiden, mindern, kompensieren.

Emissionen, die nicht vermeidbar sind, gleichen die Allianz-Partner aus: in qualitätsgeprüften Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern. So mobilisieren wir zusätzliche, nicht-staatliche Beiträge für Klimaschutz und Entwicklung.

Das Potenzial ist groß. CO2-Kompensation ist in Deutschland bisher ein Nischenmarkt. Im Jahr 2018 hat Deutschland etwa 900 Millionen Tonnen CO2 emittiert – aus Produktion, Stromverbrauch oder Flugreisen. Nur zwei Millionen Tonnen davon wurden durch freiwillige Kompensation ausgeglichen. Da ist also viel Luft nach oben.

Fast 250 Unterstützer hat unsere Allianz schon. Mit dabei sind unter anderem Unternehmen wie Bosch, SAP, Munich Re, Deutsche Bank, Commerzbank. Darunter sind auch Partner Ihres Zentrums: RitterSport und Josera. Außerdem unterstützen das Bündnis Institutionen wie die Landesverwaltung Hessen und das Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen, Nichtregierungsorganisationen und Kompensationsanbieter.

Auch das BMZ stellt sich seiner Verantwortung. Nächstes Jahr wollen wir erstes klimaneutrales Ministerium sein. Seit 2018 ermitteln wir unsere eigenen Emissionen, erst an unseren Standorten in Bonn und Berlin, dann in unseren Projekten außerhalb von Deutschland. Wir entwickeln Maßnahmen zur Einsparung und kompensieren die übrigen Emissionen.

Deutschland übernimmt Verantwortung. Die Bundesregierung hat im Jahr 2017 6,7 Milliarden Euro für internationalen Klimaschutz bereitgestellt: Damit sind wir Spitzenreiter in der EU. Mehr als 80 Prozent davon setzen wir aus dem Haushalt des Entwicklungsministeriums um.

Denn wir müssen endlich ernst machen – global, national und jede und jeder Einzelne. Wir müssen das Abkommen von Paris umsetzen. In Kattowitz haben wir Regeln festgelegt, nach denen jedes Land seinen Klima-Beitrag in Haushalts-, Energie-, Agrarpolitik übersetzt.

Aber wir müssen ehrgeiziger werden. Nur sieben Länder sind zurzeit auf Kurs für das Zwei-Grad-Ziel. Alle sind Entwicklungsländer. Auch Deutschland liegt hinter den Vorgaben. Der Kohle-Kompromiss war hart erstritten. Jetzt ringen wir um ein Klimaschutzgesetz. Unser Zögern kann uns noch richtig Geld kosten. Finanzminister Scholz plant 300 Millionen Euro für Strafzahlungen in den neuen Haushalt ein, bis 2030 könnten 60 Milliarden Euro fällig werden.

Klimaschutz braucht neuen Schwung. Deshalb ist der UN-Klimagipfel im September in New York wichtig. Von dort muss ein Signal aller Staaten für gemeinsames entschlossenes Handeln für unser Klima ausgehen. Denn die Zeit drängt. Die Weltbevölkerung wächst, Afrika wird sich bis 2050 verdoppeln, wir müssen mehr Nahrung mit weniger Ressourcen produzieren, und eine Milliarde Menschen lebt noch ohne Strom.

Global denken, global handeln – das ist unsere Aufgabe. Klimaschutz ist eine Frage globaler Verantwortung: von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Das Zentrum für nachhaltige Unternehmensführung und seine Partnerunternehmen gehen mit guten Ideen voran. Dafür meinen herzlichen Dank!