25. März 2019 Global denken, lokal handeln. Globale Gerechtigkeit als Wurzel für den Frieden

Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller bei der Tagung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern in Lindau

Der Text basiert auf einem Vortrag, gehalten am 25. März 2019 in Lindau, und ist gegenüber dem Original gekürzt.
Es gilt das gesprochene Wort!

Die christlichen Kirchen und ihre Hilfswerke sind für mich die größte Friedensbewegung der Welt. Eine Milliarde Katholiken – ich bin Katholik – und 400 Millionen Protestanten gibt es weltweit. Der überwiegende Teil davon lebt in den Entwicklungsländern. Eine weltbewegende Kraft des Friedens sind sie, sind wir.

Die evangelische Kirche in Deutschland ist eine bekennende und eine mutige Kirche. Und genau das brauchen wir heute. Wir brauchen Mut, wie ihn Martin Luther hatte, die Welt zu verändern. Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben, haben sie geschrieben. So heißt es im EKD-Impulspapier. Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben. 4,5 Milliarden Jahre in etwa, nimmt man an, ist der Planet Erde alt. Und wir, die Menschen, wir sind vor etwa sieben Millionen Jahren gekommen und hier in Deutschland vor Viezigtausend Jahren wurde unser Europa, wurde unser Land besiedelt. Besiedelt von den Nachfahren von Lucy aus Afrika, dem ersten aufrecht gehenden Menschen – Besiedlung, Migration aus Afrika. Und da sehen wir, Migration gab es immer schon. Wir alle haben ein Stück Afrika in uns. Aber wenn wir das vergleichen, 24 Stunden, die Erdgeschichte und den Menschen, uns, die Kreatur danebenstellen, dann sind es genau fünf Minuten. Fünf Minuten sind wir, die Menschen auf dem Planeten. Und wir haben es geschafft, den Planeten an eine Weggabelung zu bringen. Eine Weggabelung, nämlich die Frage: Führen wir mit unserem Konsum, mit unserem Wirtschaften, diesen Planeten an den Rand der Apokalypse? Oder kehren wir um und gehen einen neuen Weg?

Besinnen wir uns. Leiten wir einen Paradigmenwechsel unseres Tuns und Denkens ein. Und dazu müssen entscheidende Impulse von Ihnen kommen, von uns, den Gläubigen, den Christen in der Welt. Nachhaltigkeit muss das Prinzip all unseres Tuns sein. Im ökologischen, im ökonomischen, im sozialen und im kulturellen Bereich. Als Christen stehen wir in der Verantwortung. Jeder an seiner Stelle. Ich habe die Predigt von Papst Johannes Paul II. im Olympiastadion vor vielen, vielen Jahren im Ohr. Einen Satz daraus: Jeder trägt Verantwortung als Christ. Und wir stellen uns der Verantwortung. Der Verantwortung vor Gott, kommenden Generationen und der Schöpfung. Die Schöpfung zu bewahren, das ist auch ganz besonders der Auftrag, natürlich von Christen in der Politik.

Übernehmt Verantwortung, ruft uns unser Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Si zu. Übernehmt Verantwortung für euer Tun! Und ich nenne heute acht Handlungsfelder, die ich sehe.

Das erste mit der Überschrift: Verantwortung!

Christen stehen – und diese Synode steht – unter diesem Leitprinzip des Friedens. Christen stehen für Frieden und Versöhnung. Und so gilt es den Irrsinn der Weltrüstungsspirale zu stoppen und für den Frieden zu kämpfen. Wenn wir heute weltweit 1.700 Milliarden in Rüstungs- und Verteidigungssysteme stecken und auf der anderen Seite 170 Milliarden in Entwicklungsprojekte, Friedens- und Versöhnungsprojekte, dann ist das ein grobes Missverhältnis, das es zu ändern gilt.

Zweitens: Jeder Mensch, das ist das Leitprinzip von unserem Tun, hat ein Recht auf Leben in Würde – egal und unabhängig von Hautfarbe, von Herkunft, von Religion oder von Geschlecht.

Und deshalb hat natürlich auch selbstverständlich das Kind im Flüchtlingscamp im Südsudan oder im Nordirak ein Recht auf Leben, auf Zukunft, genauso wie es unsere Kinder haben. Und an der Stelle, danke ich den Kirchen und besonders auch Ihnen, der Evangelischen Kirche, in der ganzen Breite, in ihren Gemeinden, für Ihren großartigen Einsatz bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise draußen aber auch hier in der Welt, für die Integrationsarbeit, die Sie leisten. Wer Arbeit hat, wer die Sprache lernt, und wer sich integriert, muss auch hierbleiben können, meine Damen und Herren.

Die evangelische Kirche ist ein großartiger Partner, in Tausenden von Projekten, draußen in der Welt, wo niemand in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit hinkommt, ich erinnere mich an meinen Besuch in der Zentralafrikanischen Republik, wo ich einen Pfarrer besucht habe, um dessen Kirche herum 20.000 Menschen gelagert haben, versorgt wurden. Die Kirchen sind da, wo keine Staatlichkeit mehr herrscht. Sie sind nah bei den Menschen. Ich sage das auch in Richtung der jungen Generation, wenn viele heute überlegen, auszutreten aus den Kirchen, weil ihnen die Kirchensteuer zu viel ist. Dann muss ich sagen, unseren Kirchenoberen: „Ihr müsst viel mehr euren Mitgliedern auch das nennen, was draußen geleistet wird. In der Entwicklungszusammenarbeit, Tausende von großartigen Menschen, insbesondere auch viele junge, die da sind, wo die Staatlichkeit zu Ende ist, wo die Menschen ganz nah und vor Ort Hilfe brauchen.“ Und dafür meinen ganz herzlichen Dank.

Drittens: Wir, Sie kämpfen für Gerechtigkeit. Und dahinter steckt das Gebot: „Du sollst nicht stehlen!“. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Und das kann nicht die Zukunft sein. Wenn zehn Prozent der Weltbevölkerung neunzig Prozent des Vermögens besitzen, und wenn zwanzig Prozent der Weltbevölkerung, nämlich wir in den Industrieländern achtzig Prozent der Ressourcen verbrauchen für unseren Konsum, für unser Wirtschaften, für unser Leben – wenn alle so leben wollten wie wir, dann bräuchten wir zwei bis drei Erden. Die haben wir nicht. Die Ressourcen des Planeten sind begrenzt. Und deshalb kann die Wachstumsphilosophie nicht heißen: immer mehr, immer weiter, immer schneller. Nein, wir müssen neu teilen lernen. Und wir müssen Globalisierung gerecht gestalten. Und das heißt ganz konkret: Der Markt braucht Regeln. Ohne Regeln herrscht Ausbeutung von Mensch und Natur.

Wir brauchen faire Lieferketten. Nehmen wir zum Beispiel die Bananenplantagen Mexikos. Das Leben dort ist hart und beschwerlich, bei 40 Grad Hitze Bananen zu ernten. Und sie bekommen für das Kilo Bananen zehn Cent. Ich konnte es fast nicht glauben. Wir zahlen bei uns beim Discounter 89 Cent. Und wenn Sie Fair-Trade-Bananen einkaufen, wie Lidl und andere sie anbieten, 1,29 Euro. Es kann nicht sein, dass auf dem Rücken der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Familien in den Bananenplantagen hier der Preisdruck ausgeübt wird. Kein Kilo Bananen unter ein Euro, das muss die Maßgabe für den deutschen Handel sein.

Wenn wir in Deutschland unseren Schokoladen-Konsum auf fair umstellen würden, also im Blick auf den Kakao, würde das die unglaubliche Summe von 400 Millionen Euro ausmachen. Das wäre der zusätzliche Transfer in die Familien in den Anbauländern und in dortige Strukturen. Und das muss der Weg sein. Nicht Ausbeutung von Mensch und Natur, vor allem in Afrika oder in Südamerika, sondern Fairness auch für die Menschen dort.

Und dann komme ich zum vierten Punkt, der da heißt: Du darfst nicht töten. Das ist das wichtigste Gebot, das wir leben müssen. Jeden Tag verhungern weltweit 7.000 Kinder. Und ich sage Ihnen: Hunger ist Mord, weil wir zuschauen. Weil wir die Technik, die Möglichkeiten, das Wissen haben, das zu ändern. Wer zuschaut, macht sich schuldig! Wir können eine neue grüne Revolution in den Entwicklungsländern auslösen, indem wir auf die Potenziale, auf endemische Sorten, Samen und Strukturen setzen. Wir haben allein im deutschen Entwicklungshilfeministerium 15 Innovationszentren umgesetzt. Wir wollen nicht mehr reden, wir wollen zeigen, dass es möglich ist. Wir müssen unser Wissen den Menschen in den Entwicklungsländern zur Verfügung stellen und dann können wir umsteuern. Wir können zehn Milliarden Menschen satt machen. Dazu ist es auch notwendig, in der europäischen und in der Welt-Agrar-Politik umzusteuern. Hier müssen neue und andere Leitplanken gesetzt werden.

Wir müssen, fünftens, die Schöpfung bewahren. Und da gibt es zwei große Herausforderungen. Die erste: Wie bewältigen wir ein exponentielles Bevölkerungswachstum? Die Menschen werden mehr, der Belastungsdruck wächst, die Ressourcen werden knapper. Es wird eng.

Schaffen wir das nicht, die Ernährungsfrage zu lösen, auf das Bevölkerungswachstum eine Antwort zu haben, dann wird es zu Kriegen, zu Auseinandersetzungen, zu Flucht und Vertreibung, zu Mord kommen. Dazu brauchen wir eine neue – wie Papst Franziskus sagt – universale Solidarität. Wir müssen ein neues Denken verinnerlichen. Wir leben auf einem Planeten, und alles hängt mit allem zusammen. Wir werden nicht Mauern so hoch bauen können, dass die Menschen, die draußen sind, nicht zu uns kommen und sich das holen, was ihnen zusteht, wenn wir nicht umkehren und einen Paradigmenwechsel einleiten.

Und die zweite Herausforderung ist der Klimaschutz. Der Klimaschutz ist eine Überlebensfrage der Menschheit. Wir in Deutschland tragen mit zehn Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr und Kopf zur Klimaveränderung bei. Die Menschen in Mosambik liegen bei 0,5, in Bangladesch ebenso. Wir sind die Hauptverursacher. Wir müssen deshalb natürlich in Deutschland minimieren und ehrgeizige Klimaschutzziele umsetzen, aber wir müssen mehr tun. Ich habe eine Initiative „Entwicklung und Klima“ auf den Weg gebracht, freiwillig! Und ich freue mich, dass wir zwischenzeitlich, nach sechs Monaten, 200 deutsche Firmen haben, die sagen: Wir minimieren so weit wie möglich – auch das Entwicklungsministerium und viele Behörden machen mit – aber was am Ende an Potenzial des Ausstoßes, den wir verursachen, übrigbleibt, das kompensieren wir: in Waldschutz, in Regenwaldschutz, in Rekultivierung arider Böden in den Entwicklungsländern. Auch die evangelische Kirche, jede Kirchengemeinde könnte sagen, wir machen mit bei der Allianz für Entwicklung und Klima und stellen uns klimaneutral und dann werden aus den 200 noch in diesem Jahr 1.000 Mitglieder. Das Zwei-Grad-Ziel ist zu erreichen.

Jetzt ich bin beim sechsten Punkt, ein Kernpunkt der christlichen Soziallehre: Der Starke hilft dem Schwachen. In der Familie, wenn es drei oder vier Kinder sind, in der Altenpflege, in der Gemeindearbeit. Das ist das, was unsere Gemeinde im Kern doch ausmacht. Und deshalb brauchen wir in der internationalen Zusammenarbeit eine neue Partnerschaft mit Afrika und den Entwicklungsländern. Ein eigenes Thema, keine Sorge. Wir brauchen Partnerschaft und nicht Ausbeutung, politische Teilhabe und nicht Bevormundung. Und dafür Dank an die Kirchen als ein ganz starker Partner in der Afrikapolitik. Ein Thema, das eine neue Aufgabe, eine Herausforderung für die europäische Union ist. Und all diese Themen können wir nur mit Europa, einem starken Europa beantworten. Wir sind als einzelne Nationalstaaten hier zu schwach. Das sind Herausforderungen für eine neue europäische Union.

Und siebtens: Zukunft braucht Werte. Unser Sein hat doch einen tieferen Sinn als den Materialismus. Grade die Kirchen müssen diesen Sinn wieder neu definieren und dazu brauchen wir als erstes Frieden mit uns. Wer nicht Frieden mit sich selber gemacht hat, in seiner Familie, in seinem Umfeld, der wird auch nicht Frieden geben können. Wir brauchen Frieden mit uns und wir brauchen den Frieden mit dem Planeten Erde. Der Mensch kann nicht gegen die Mutter Erde leben. Wir können nur mit Mutter Erde leben.

Meine Damen und Herren, vier Milliarden Jahre gibt es den Planeten. Es gab ein Leben auf dem Planeten vor dem Menschen und es wird, wenn wir nicht umkehren, auch ein Leben nach dem Menschen geben. Ein Gleichgewicht wird sich einpendeln, möglicherweise dann ohne uns. Aber soweit sollte es nicht kommen, wenn wir Frieden mit dem Planeten machen und das nehmen, was nachhaltig möglich ist. Wir leben in einer Welt und die Weltgemeinschaft hat dies erkannt. Ich sage das insbesondere in Richtung der jungen Generation. Das sind nicht nur Reden.

Wir haben den Paris-Vertrag 2015, ein Weltklimaabkommen. Wir haben den New Yorker START-Vertrag, 17 Nachhaltigkeitsziele, einen Weltzukunftsvertrag. Wir haben kein Erkenntnisproblem in der Welt, was passieren muss. Wir haben ein Handlungsproblem in der internationalen Politik. Zukunft braucht Werte.

Achtens: Religion hat die Kraft für Frieden und Gerechtigkeit. Und deshalb sind die Kirchen unser ganz besonderer Partner in der Welt. Lass niemand zurück! Dies ist der Apell der Agenda 2030, aber das ist doch auch der Imperativ der Kirchen in ihrem Leben. Lass niemand zurück, unabhängig von Herkunft, Religion oder davon, wo er lebt. 90 Prozent der Menschen glauben an einen Gott, an ihren Gott. Sie sind religiös und daraus können sie erfahren, welche unglaubliche Kraft und Möglichkeit in der Religion liegt. Keine politische Macht hat diese Wirkung.

Mit der Kraft der Kirchen und der Tugend der Solidarität und Barmherzigkeit können Sie, können wir, die Schöpfung bewahren und die Welt zu einem besseren Ort machen.