18. März 2019 Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller beim Landfrauentag im Kreis Neu-Ulm

in Illertissen-Au

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Landfrauen,

ohne Sie, die starken Frauen, liefe gar nichts: weder hier bei uns in Deutschland noch in unseren Partnerländern! Sie sind Rückgrat des Landlebens in Deutschland: 500.000 Landfrauen vertreten bundesweit in 22 Landesverbänden und 12.000 Ortsvereinen ihre Interessen in der Landwirtschaft. Sie managen Hof und oft auch die Familie, gehen in die Schulen, damit Kinder lernen, dass die Milch von der Kuh kommt und Erdbeeren bei uns nicht im Winter wachsen.

Und Sie unterstützen als „LandFrauen“ andere Landfrauen in Entwicklungsländern! Denn: Stark sind die Frauen auch anderswo. Aber leider auch: stark benachteiligt! Gerade auf dem Land. In vielen Entwicklungsländern produzieren Frauen 60 bis 80 Prozent der gesamten Nahrung. Aber: Weniger als 20 Prozent der Böden gehören ihnen im Schnitt. Hätten sie gleiche Rechte wie Männer, wären die Erträge bis zu 30 Prozent höher!

Sie haben weniger Zugang zu Ausbildung, weil Mädchen seltener zur Schule geschickt werden. Sie haben oft kein Recht auf Landbesitz, weil meist die Söhne den Besitz erben. Sie bekommen schwerer Kredite, weil sie weniger Sicherheiten haben. Sie haben oft keine Möglichkeit, Saatgut, Düngemittel, moderne Technik oder Beratung einzukaufen, weil sie kaum Mitspracherechte in der Führung des Betriebes haben.

Das muss sich ändern! Denn ohne gleichberechtigte Frauen gibt es keine Zukunft der Welternährung.

Gut, dass Sie, die Bayerischen Landfrauen Ihr Wissen mit Bäuerinnen in Kenia teilen! Im Rahmen der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ arbeiten Sie in Westkenia. Vier Reisen hat es inzwischen schon gegeben. Sie geben praktische Unterstützung: Es gab Seminare zur Kälberaufzucht und Tipps für einen Küchengarten für mehr Vitamine. Zwei solare Milchkühlanlagen wurden zusammen mit der Universität Hohenheim in zwei Milchkooperativen installiert.

Und Sie zeigen, wie man sich Gehör verschafft, wie man etwa einen Landfrauentag auf die Beine stellt – und einen Landfrauenverband gründet. Denn organisierte Bäuerinnen haben einen besseren Zugang zu Bildung, Ausbildung, Wissen, zu Innovationen, Investitionen, Kapital, zu Saatgut, Dünger, Landmaschinen. Und sie können ihre Rechte und Interessen besser durchsetzen! Das wissen Sie, die Landfrauen, am besten. Ihre Pionierinnen waren engagierte Frauen, die schon Ende des 19. Jahrhunderts zusammenkamen.

Darum sind starke Kleinbäuerinnen auch ein Ziel unserer Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“. Drei von vier Hungernden leben auf dem Land. Und Hunger ist vor allem weiblich: 60 Prozent aller Hungernden sind Frauen oder Mädchen. Das globale Ernährungssystem muss gerechter werden – und zugleich produktiver und nachhaltiger! So wie bisher darf es nicht weitergehen.

Ernährung für zehn Milliarden Menschen: Das ist die Überlebensfrage der Menschheit! Die Herausforderungen wachsen ständig: Afrikas Bevölkerung wird sich verdoppeln, auf zweieinhalb Milliarden. Dabei liegen schon heute 15 der 20 am stärksten von Hunger betroffenen Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Der Fleischkonsum steigt in Schwellenländern und damit die Nachfrage nach Futtermitteln.

Die Konkurrenz wird schärfer zwischen Nahrungsmitteln, Futtermitteln, Energielieferanten und Rohstoffen. Erträge leiden unterm Klimawandel – erwartet werden bis zu 30 Prozent Abnahme bei Grundnahrungsmitteln. Zugleich verursacht Landwirtschaft global bis zu 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen. In meiner Jugend standen pro Kopf 4.000 Quadratmeter Boden für Ernährung zur Verfügung; heute sind es nur noch 1.800 Quadratmeter.

Wir brauchen ein neues Leitbild für nachhaltige ländliche Entwicklung, um Ernährung zu sichern – ressourcenschonend, produktiv, innovativ, fair.

1. Eine Agrarwende durch Innovationen

Gebraucht wird mehr Produktivität – aber nicht wie in der Vergangenheit einfach durch mehr Anbauflächen oder mehr Dünger, sondern durch besseren Zugang zu Landrechten, nachhaltige Agrarpraktiken, Krediten, Maschinen und Märkten. Und vor allem durch Innovation und Wissenstransfer, etwa durch Agrarforschung. Ein Beispiel aus Mexiko: Mit unserer Unterstützung werden dort neue Pflanzensorten gezüchtet. Diese brauchen 20 Prozent weniger Wasser, haben mehr Nährstoffe und bringen dreifache Erträge!

Wegweisend dafür sind unsere 15 Grünen Innovationszentren in Afrika und Indien. Sie konnten die Produktivität im Schnitt um über ein Drittel steigern. Das muss jetzt in die Fläche! In den Grünen Innovationszentren gehen wir individuell auf Unterstützungsbedarf ein: In Äthiopien zum Beispiel auf Mechanisierung, besseres Saatgut und nachhaltigen Pflanzenschutz; in Kenia auf Kühlketten; in Burkina Faso auf neue Organisationsformen wie Genossenschaften. Überall organisieren wir Fort- und Ausbildungen: zu Buchhaltung, Geschäftsplänen; zu den neusten Agrarinnovationen. In Mali etwa konnten wir durch neue Bewässerungsmethoden den Reisertrag um 50 Prozent steigern. Außerdem ermöglichen wir Agrarinvestitionen: durch Zugang der kleinbäuerlichen Betriebe zu Finanzdienstleistungen oder durch Unterstützung von Landrechtsexperten für faire und sichere Landrechte.

Diese Innovationszentren entwickeln wir jetzt weiter. Wir fördern die Weiterverarbeitung vor Ort und bauen Innovationscluster auf – für Mechanisierung, Digitalisierung und mehr Jobs.

2. Investitionen in gute Jobs auf dem Land

Alle zehn Tage wächst Afrika um eine Million Menschen. Mehr als die Hälfte wird auf dem Land geboren. Schon heute sind im Schnitt 60 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos. Bei Frauen oft noch mehr. In der Not zieht es viele in die Städte. Dabei würde über die Hälfte der jungen Afrikaner gern auf dem Land bleiben wollen – aber nicht wie ihre Eltern als ärmliche Selbstversorgungslandwirte. Sie wollen nicht im 19. Jahrhundert stecken bleiben. Sie wollen mit guter Ausbildung und modernen Landmaschinen eine eigene Existenz aufbauen.

Ein moderner Agrarsektor schafft zwei bis vier Mal mehr Jobs als andere Branchen; gibt Millionen Afrikanern in ländlichen Gebieten Beschäftigung und Einkommen – und verhindert so die Flucht in die Städte. Die Ernährungswirtschaft in Afrika könnte ihren Umsatz verdreifachen. Ich nenne ein Beispiel: Die Krones East Africa Ltd. mit Hauptsitz in Neutraubling liefert Getränke-Abfüllanlagen und bildet vor Ort Mechatroniker aus. Der kenianische Safthersteller Kevian schafft die Maschinen an, finanziert mit Hilfe der DEG. Das Ergebnis: Lieferverträge für 80.000 Bauern – und toller Mango-Saft!

Millionen könnten ein besseres Auskommen haben, wenn es mehr lokale Verarbeitung gäbe. Solange Kaffee, Kakao, Baumwolle nur als Rohprodukte exportiert werden, heißt das: Die Kleinen machen die Arbeit, die Großen den Profit. Darum arbeiten wir an besseren Investitionsbedingungen, unterstützen Gewerbeansiedlungen und schaffen die Grundlage für Ausbildungspartnerschaften.

3. Entwicklung fängt bei der Ernährung an

Und Mangelernährung wird oft unterschätzt. Etwa zwei Milliarden Menschen ernähren sich zu einseitig: zu viele Kohlenhydrate, wie Reis und Mais, zu wenige Mineralstoffe und Vitamine. Die Folgen: Achtjährige, die wie Fünfjährige aussehen; Menschen, die an heilbaren Krankheiten, wie Durchfall, sterben, weil sie geschwächt sind. Auch hier sind die Frauen entscheidend: Sie entscheiden mit, ob die Familie gesund isst.

Auch hier sind die Landfrauen aktiv, in unserem Grünen Innovationszentrum in Ghana: Dort bekommen zum Beispiel Reisbäuerinnen Trainings zur Herstellung von „Parboiled Reis“ – denn diese Methode erhält 80 Prozent Mineralstoffe und Vitamine aus den Silberhäutchen.

4. Nachhaltige Lieferketten

Denn Hunger gibt es auch, weil nicht alle einen fairen Anteil bekommen. Jemand anderes bezahlt den Preis für die 99-Cent-Bananen im Supermarkt. Oft sind es Kinder, zum Beispiel in Ecuador. Und oft reicht der Lohn kaum zum Leben. Ich möchte in Europa keine Banane kaufen und auch keinen Kaffee trinken, für den Kinder ausgebeutet wurden!

Dazu können auch Handelsabkommen beitragen. Das seit 2000 existierende Globalabkommen der EU mit Mexiko wird derzeit neu verhandelt. Hier müssen wir ein Zeichen setzen: für freie Märkte, aber mit fairen Standards. Deutsche Unternehmen sollten Vorreiter werden, bei der Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards und bei besserer Rückverfolgbarkeit, damit die Nachhaltigkeit für jedes Produktes garantiert ist.

Landwirtschaft und Ernährung müssen endlich Priorität bekommen. Landwirtschaft ist Job- und Wirtschaftsmotor! Wir unterstützen die „Ernte von unten“, bei den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Aber dafür braucht es auch politischen Willen von oben: ein Umdenken in den Partnerländern; Priorität für Investitionen in die Landwirtschaft, gesicherte Landrechte und bessere Finanzierungsbedingungen. Und viel mehr Teilhabe der Frauen!

Aber wir brauchen auch ein Umdenken bei uns in Europa: für nachhaltigere Landwirtschaft und Konsum, für fairere Agrarlieferketten – auch dafür werden wir die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 nutzen.

Für all das brauche ich Ihre Unterstützung. Und ich danke Ihnen für alles, was Sie, die Landfrauen, schon heute leisten!