20. Februar 2019 „Für nachhaltige Lieferketten: Getrennte Verantwortlichkeiten – gemeinsame Verantwortung“
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
14 Stunden täglich am Webstuhl, arbeiten bis zur Erschöpfung, für einen Hungerlohn. Auch die Kinder müssen mit anpacken, damit die Familie überlebt. Dennoch herrschen Not und Hunger: Nachzulesen ist das alles bei Gerhart Hauptmann in seinem Drama „Die Weber“ von 1892. Damals, 1844, kam es zum Weberaufstand, wenig später zur Revolution. Arbeitervereine wurden gegründet, nach und nach soziale Sicherungen entwickelt. Hart erkämpft, allen voran von der Sozialdemokratie, lieber Hubertus Heil!
Arbeitsbedingungen wie bei den Webern sind bei uns Vergangenheit. Aber: Für hunderte Millionen Menschen in Entwicklungsländern sind sie noch immer Alltag! Viele unserer täglichen Produkte werden dort unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt: In unseren Handys und Autos steckt Kobalt und Coltan. Zwangsarbeit und Umweltzerstörungen sind in den vielen illegalen Minen im Kongo an der Tagesordnung. Für unsere T-Shirts werden in Textilfabriken oft Hungerlöhne gezahlt (15 Cent pro Stunde, 16 Stunden). In unserer Schokolade oder der Tasse Kaffee steckt noch immer Kinderarbeit. Leider keine Ausnahme: Über 70 Millionen Kinder arbeiten unter ausbeuterischen, gefährlichen Bedingungen.
Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass unser Wohlstand mit der Armut der anderen erkauft ist! Weltweit arbeiten etwa 450 Millionen Menschen in globalen Wertschöpfungsketten. Ihre Rechte dürfen im Kampf um Profite und billige Rohstoffe nicht auf der Strecke bleiben! Menschenwürdige Arbeit weltweit durchsetzen: Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.
Es müssen aber alle ihren Beitrag leisten: Politik, Unternehmen und Konsumenten. Wir brauchen weltweit gültige Sozial- und Umweltstandards. Die internationale Gemeinschaft ist hier schon weit gekommen: Die UN-Kinderrechtskonvention (1989) gebietet ein Recht des Kindes auf Schutz vor Ausbeutung; die ILO Kernarbeitsnormen (1999) definieren auch Standards zum Schutz der Kinder –182 Staaten haben sie ratifiziert.
In der Agenda 2030 (SDG 8) haben sich die UN-Mitgliedstaaten 2015 zur Abschaffung von Kinder- und Zwangsarbeit verpflichtet. Fast alle Produktionsländer haben diesen Standards zugestimmt. Sie müssen sie jetzt umsetzen. Das heißt: Menschenrechte schützen, Gewerkschaften zulassen, Arbeitsbedingungen kontrollieren. Wir unterstützen die Regierungen hierbei nach Kräften, solche Strukturen aufzubauen. Zum Beispiel Mindestlöhne verankern, Inspektoren ausbilden.
Unternehmen müssen sicherstellen, dass in Lieferketten Menschenrechte eingehalten werden. Viele gehen bereits freiwillig voran. Beim Thema „Textil“ engagiert sich die Hälfte der Branche. Das heißt aber auch: Die andere Hälfte zieht nicht mit und engagiert sich nicht für diese Standards. Viele sagen: „Wir können die Bedingungen in unseren Produktionsstätten nicht kontrollieren“. Das lasse ich nicht mehr gelten. Selbst kleine Start-ups schaffen das. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung.
Und spätestens seit 2011 gelten die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie setzen klare Mindest-Anforderungen für alle Unternehmen. Mit dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte setzen wir diese in Deutschland um. Unternehmen müssen zeigen, wie sie ihren Sorgfaltspflichten in der gesamten Lieferkette nachkommen. Das überprüfen wir derzeit.
Wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass der Schutz der Menschenrechte in den Lieferketten gewährleistet werden muss. Wenn wir Ende des Jahres zum Ergebnis kommen, dass die freiwilligen Ansätze nicht ausreichen, werden wir die großen Unternehmen gesetzlich in die Pflicht nehmen. Am besten auf europäischer Ebene – wenn erforderlich, aber auch national. So haben wir es im Koalitionsvertrag festgelegt.
Deshalb werden der Arbeitsminister und ich die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans jetzt genau beobachten. Denn letztlich müssen die gleichen Spielregeln für alle Unternehmen gelten! Viele Unternehmen rufen ja bereits nach einem verbindlichen Rechtsrahmen. Einige Länder haben so einen Rahmen schon (Frankreich, Großbritannien, USA) oder bereiten Regelungen vor (Niederlande, Kanada).
Deshalb wollen wir das Thema auch nach Europa bringen. Sie, lieber Hubertus Heil, haben angekündigt: Nachhaltige Lieferketten sollen Schwerpunkt der deutschen EU-Präsidentschaft 2020 werden. Dazu haben Sie meine volle Unterstützung. Mit der EU-Verordnung für Konfliktmineralien haben wir ja gezeigt, dass es geht.
Freiwillige Ansätze bleiben auch künftig wichtig. Wir brauchen beides: Mindeststandards für alle und freiwillige Vorreiter-Initiativen, die darüber hinausgehen. Denn freiwillige Bündnisse von Wirtschaft, Handel, Gewerkschaft, NGOs zeigen bereits jetzt: Es geht, Verbesserungen sind möglich! Beispiel Forum Nachhaltiger Kakao: 2011 waren wir bei drei Prozent zertifiziertem Kakao. Heute bei 55 Prozent. Ziel müssen 100 Prozent sein!! Beispiel Bündnis für nachhaltige Textilien: Im letzten Jahr wurden so 160 giftige Chemikalien aus dem Produktionsprozess verbannt. Jetzt setzt sich das Bündnis für existenzsichernde Löhne ein.
Durch fairen Einkauf kann jeder von uns sofort helfen, Kinder und Arbeiter in Produktionsländern zu schützen! Deswegen wünsche ich mir, dass noch mehr Kunden fragen: „Wurden meine Lebensmittel, wurde meine Kleidung fair produziert?“ Wer zum Beispiel faire Bananen für 1,20 statt für 89 Cent das Kilo kauft, verhindert Kinderarbeit. Wer fairen Kaffee kauft, der sorgt dafür, dass 2,50 Euro beim Bauern ankommen. Bei herkömmlichen Kaffee sind es gerade 50 Cent. Zu Ostern werden wieder 100 Millionen Schoko-Osterhasen verkauft. Bei einem herkömmlichen Hasen kommen lediglich wenige Cent vor Ort an. Wer künftig ein T-Shirt kauft, der kann bald auf den Grünen Knopf achten. Kinderarbeit und Dumpinglöhnen ist so ein Riegel vorgeschoben. Auch bei Sportartikeln kann man zu fairen Produkten greifen.
Lieber Hubertus Heil, Du als Mitglied des VfB Peine weißt bestimmt: Viele Fußbälle werden noch von Kindern genäht. Kinderarbeit verschwindet, wenn Eltern existenzsichernde Löhne bekommen. Wir müssen vor allem bei diesen größten Missständen – wie ausbeuterischer Kinderarbeit – schnell Fortschritte machen. Dazu müssen wir jetzt anpacken: den Nationalen Aktionsplan umsetzen, die freiwilligen Initiativen und fairen Einkauf voranbringen. Und wenn erforderlich, auch gesetzliche Regelungen erlassen.
Globalisierung so gestalten, dass alle profitieren: Das ist unser Ziel, dafür handeln wir gemeinsam! „Gemeinsame Verantwortung“, das ist auch das Motto des heutigen Zukunftsforums. Wir sind gespannt auf Ihre Rede, lieber Hubertus Heil!