4. Februar 2019 „Klimaschutz – eine Überlebensfrage für die Erde“

Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller an der Hochschule Kempten

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

zuletzt war ich im November hier und habe mit Ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen über Innovationen in Afrika gesprochen. Um Innovationen wird es auch heute gehen. Denn neue Ideen braucht es, um Klimawandel zu bremsen und Entwicklung weltweit klimafest zu machen!

Kempten ist Vorreiter: für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Sie haben zwei Klimaschulen hier vor Ort, das Hildegardis-Gymnasium und die Carl-von-Linde Oberschule. An der Hochschule forschen Sie zu Recycling, Umweltschutz, nachhaltigem Tourismus. Das ist gut, denn hier geht es um Ihre Zukunft!

Klimawandel stoppen! „Freitage für die Zukunft“: Dafür sind in den letzten Wochen weltweit junge Leute auf die Straße gegangen – inspiriert von Greta Thunberg, einer 16-jährigen Schwedin.

Auch hier in Kempten waren es mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler. „Wir haben keinen Planeten B“ stand auf ihren Plakaten. – Den bräuchten wir, wenn wir so weitermachen wie bisher.

Klimaschutz ist Überlebensfrage der Menschheit! Das hier ist schon Realität: Die Treibhausgase sind auf Rekordhoch, der CO2-Ausstoß ist in den letzten 30 Jahren um 60 Prozent gestiegen. Die Erdatmosphäre heizt sich auf: 16 der 17 heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen lagen im 21. Jahrhundert.

Die Artenvielfalt schwindet – über die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten sind schon ausgestorben und viele natürliche Ressourcen sind übernutzt.

Was uns droht, wenn wir nicht gegensteuern: 100 Millionen mehr Menschen könnten in den nächsten zehn Jahren in Armut geraten, 100 Millionen Menschen in Küstengebieten sind durch steigenden Meeresspiegel gefährdet und 140 Millionen Menschen könnten in Afrika, Lateinamerika, Asien bis 2050 ihre Heimat verlieren. Es wird noch mehr Wetterkatastrophen geben. Allein die weltweiten wirtschaftlichen Schäden betrugen 2017 bereits 320 Milliarden US-Dollar.

Wir müssen endlich handeln – global, national und jede und jeder Einzelne. Wir müssen das Klimaabkommen von Paris umsetzen. Sonst ist das 2-Grad-Ziel nicht zu erreichen. Nur 17 von 184 Ländern sind auf Kurs.

Auch Deutschland liegt hinter den Vorgaben, voraussichtlich um acht Prozentpunkte. Eine Tonne CO2verursacht Umweltschäden von 180 Euro, hat das Umweltbundesamt errechnet. Das bedeutet, Deutschland verursacht in einem Jahr Klimakosten von 164 Milliarden Euro.

In Deutschland hat die „Kohle-Kommission“ wochen-, monatelang gerungen: Wie gelingt der Ausstieg aus dem klimaschädlichsten aller Energieträger? Die Vorschläge der Kommission sind ein Signal, dass sozial gerechter Ausstieg möglich ist. Das geplante Klimaschutzgesetz wird jetzt die Grundlage legen für Klimaziele bei Energie, Verkehr, Bauen. Aber wir müssen noch ehrgeiziger werden! Das müssen wir beim UN-Klimagipfel im September 2019 zeigen.

Und entscheiden wird sich die Klimafrage in Entwicklungs- und Schwellenländern. Eine Milliarde Menschen dort hat noch keinen Strom, und geschätzt neun von zehn geplanten Kohlekraftwerken werden in Entwicklungsländern gebaut. Die Weltbevölkerung wächst, Afrikas Bevölkerung wird sich bis 2050 verdoppeln. Wir brauchen 50 Prozent mehr Nahrung, und eine wachsende Mittelschicht fordert Konsum und Mobilität. Wenn China, Indien oder Afrika ihren Energiebedarf auf Basis von Kohle und Erdöl stillen – 1.400 Kohlekraftwerke sind weltweit geplant – macht das auch keine noch so dicke Wärmedämmung in Deutschland mehr wett.

Aber steht es uns zu, zu sagen: „Verzichtet auf Entwicklung?“

Die Industrieländer haben 200 Jahre lang ihren Wohlstand mit fossilen Ressourcen befeuert. Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verantworten 50 Prozent der CO2-Emissionen. Unser Pro-Kopf-Ausstoß in Deutschland ist zehnmal höher als in Bangladesch und sogar mehr als 100 Mal höher als in Malawi. Die Reichen verursachen den Klimawandel, aber die Armen tragen die Folgen: weggespülte Küsten, Tropenstürme, Dürren treffen vor allem Menschen in Entwicklungsländern, die sich am wenigsten wappnen können. Das zeigt: Klimaschutz und Entwicklung sind untrennbar verbunden.

Das enthebt uns in den Industrieländern nicht der Verantwortung. – Im Gegenteil! Papst Franziskus hat diese Verantwortung in seiner Enzyklika Laudato Sí so formuliert: „Die Atmosphäre ist Gemeinschaftseigentum der Menschheit.“

Wir stehen in der doppelten Verantwortung:

  • Erstens: Wir hier im Hochtechnologie-Land Deutschland müssen zeigen, dass kohlenstoffarmes Leben möglich ist, ohne dass ein gutes Leben für alle auf dem Spiel steht!
  • Wir müssen zweitens unsere Partner dabei unterstützen, sich klimaverträglich zu entwickeln und ihr Leben und Wirtschaften an die Folgen des Klimawandels anzupassen.

Es gibt zurzeit in vielen Ländern die Chance dafür – die müssen wir nutzen! Jetzt ist die Gelegenheit, Städte, Landwirtschaft und Energie klimafreundlich auszurichten. Wir können Jahrhundertsprünge möglich machen, Afrika könnte der Grüne Kontinent werden!

Wir fördern das mit unserer Entwicklungszusammenarbeit. Wir treiben klimafreundliche Entwicklung voran:

1. Wir fördern die globale Energiewende: Zum Beispiel in einer Solarpartnerschaft mit Indien, wo wir mit einer Milliarde Euro grünen Strom fördern. Und in der marokkanischen Wüste investiert Deutschland 800 Millionen Euro in den Ausbau des modernsten Solarkraftwerks der Welt. Nach Fertigstellung werden 1,3 Millionen Menschen mit sauberem Strom versorgt. Vor vier Wochen habe ich in Sambia ein Solarkraftwerk eingeweiht, das mit deutschen Mitteln gefördert und in Kooperation mit bayerischen Unternehmen gebaut wurde.

2. Wir bremsen Entwaldung: Elf Prozent der globalen Emissionen gehen auf Entwaldung zurück. Unser Engagement hat geholfen, 60 Millionen Hektar Tropenwald zu schützen – fast doppelt so viel wie die Landesfläche Deutschlands.

3. Wir stoßen neue Initiativen an für klimagerechte Landwirtschaft, für nachhaltige Mobilität in den Millionenstädten Asiens und Afrikas – zum Beispiel 'Moving Rwanda' in Kigali. Die Investition lohnt sich: Nachhaltige Stadtentwicklung könnte so viel CO2 einsparen, wie die EU ausstößt!

4. Mit der NDC-Partnerschaft unterstützen wir Entwicklungs- und Schwellenländer dabei, ihre Klimabeiträge in Haushalts-, Wirtschafts-, Agrar-, Energiepolitik umzusetzen. Mehr als 100 Mitglieder teilen ihr Know-how und unterstützen sich gegenseitig im globalen Klimaschutz: Länder, internationale Organisationen, Zivilgesellschaft. Da weht ein neuer Geist der Zusammenarbeit! Rund 40 Entwicklungsländer profitieren schon.

Die Zeit drängt - in vielen unserer Partnerländer findet Klimawandel bereits statt. In Somalia hat mir ein Bauer gesagt: Ihr sorgt euch, weil es drei Monate lang nicht regnet. Bei uns hat es seit drei Jahren keinen einzigen Tropfen gegeben.

Mit den Folgen dürfen wir die Entwicklungsländer nicht allein lassen: sinkende Grundwasserspiegel, ausbleibende Regenzeiten. Schon heute haben zwei Milliarden Menschen nicht ausreichend Wasser. Ernteerträge werden zurückgehen, um bis zu 30 Prozent!

Hier können klimaresistente Landwirtschaft, Bodenschutz, besseres Wasser-Management helfen. Dazu vermitteln wir Wissen und innovative Methoden in unseren Grünen Zentren. Wir fördern Weiterverarbeitung und eine Diversifizierung der Landwirtschaft.

5. Und wir helfen, Katastrophen zu überstehen: In Entwicklungsländern gibt es bisher kaum Absicherung. Wir haben Klimarisikoversicherungen entwickelt. Damit haben die Versicherungsnehmer – Einzelpersonen oder ganze Staaten – Anspruch auf Unterstützung im Schadensfall, statt Bittsteller bei Hilfsorganisationen zu sein. Wir arbeiten mit den G20, den verwundbarsten Ländern, der Versicherungswirtschaft und weiteren internationalen Partnern zusammen. 200 Millionen US-Dollar wurden nach Dürren und Naturkatastrophen schon ausgezahlt.

6. Deutschland übernimmt Verantwortung: Die Bundesregierung hat 2017 6,7 Milliarden Euro für den internationalen Klimaschutz bereitgestellt. Damit sind wir Spitzenreiter in der Europäischen Union. Mehr als 80 Prozent davon kommen aus dem Haushalt des Entwicklungsministeriums.

7. Aber allein mit öffentlichen Geldern ist das Klimaproblem nicht zu lösen. Wir müssen alle ins Boot holen, die Verantwortung übernehmen können.

Deshalb habe ich die „Allianz für Entwicklung und Klima“ ins Leben gerufen. Fast 150 Unternehmen, Institutionen und Nichtregierungsorganisationen sind schon dabei. Das Ziel: klimaneutral werden. Unter anderem aus Bayern mit dabei: Munich Re, Sparkasse Augsburg, BayWa.

Emissionen, die nicht vermeidbar sind, werden in qualitätsgeprüften Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern kompensiert. So mobilisieren wir zusätzliche, freiwillige Mittel für Klimaschutz in unseren Partnerländern.

Global denken, global handeln! Würden alle leben wie wir, bräuchten wir drei Erden. Es braucht ein Wachstumsmodell, das für alle Menschen auf der Welt gelten kann!

Klimaschutz ist eine Frage der Gerechtigkeit – gegenüber kommenden Generationen, und gegenüber denen, die heute schon leiden.

Und er ist in unserem eigenen Interesse: Sonst sind die Probleme in Entwicklungsländern – Armut, Hunger, Bürgerkriege – bald auch unsere: Heißzeiten, Überflutungen, Schneechaos, wegbrechende Absatzmärkte, scheiternde Staaten, Massen-Migration.

Wir brauchen einen Wertewandel. Wir müssen die natürlichen Ressourcen der Erde und ihre Leistungen wieder schätzen lernen. Und dazu kann jeder beitragen – mit seinem Konsum, seiner Art zu reisen, zu essen, sich fortzubewegen.

Denn wir alle tragen Verantwortung: Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Ich. Und Sie! Sie hier an der Hochschule Kempten können mit guten Ideen vorangehen!