26. Juni 2018 Welternährung 2.0
Hunger ist und bleibt der größte vermeidbare Skandal auf unserem Planeten, denn die Erde hat das Potenzial, alle Menschen zu ernähren. Seit 1990 konnten wir große Erfolge erzielen und die Zahl der Hungernden weltweit um 200 Millionen verringern, obwohl die Weltbevölkerung in der gleichen Zeit um zwei Milliarden Menschen gewachsen ist. Der Anteil der Hungernden wurde auf elf Prozent halbiert. Trotzdem haben weiterhin 800 Millionen Menschen nicht genug zu essen und sterben täglich 8.000 Kinder an Nahrungsmangel.
Das dürfen wir nicht akzeptieren. Wir können auch neun Milliarden Menschen ernähren, die 2050 auf diesem Planeten leben. Das Wissen ist da, Technologien und Lösungen sind bekannt. Wir müssen sie nur einsetzen: Wir brauchen eine Welternährung 2.0.
Ein Kernelement ist erstens eine innovativere Agrar- und Ernährungswirtschaft. So unterstützen wir mit unseren Grünen Innovationszentren Kleinbauern dabei, ihre Ernten mit nachhaltigen Anbaumethoden zu steigern: mit lokal angepassten Sorten, biologischem Dünger, klugen Bewässerungssystemen und genauen Wettervorhersagen per SMS können wir die Erträge verdoppeln. Eine Million Kleinbauern profitiert bereits von solchen Wissenstransfers und sichert so die Ernährung von acht Millionen Menschen.
Zweitens brauchen wir mehr lokale Wertschöpfung. Rohprodukte wie Kaffee, Kakao oder Obst müssen viel stärker in den ländlichen Regionen verarbeitet werden, damit die Menschen mehr von ihrer harten Arbeit haben. In Kenia haben wir uns an der Finanzierung einer Mango-Saftfabrik beteiligt. 360.000 Kleinbauern aus der Umgebung haben seither einen Abnehmer für ihre Ernte und verlässliche Einkommen.
Drittens müssen wir exzessive Spekulationen mit Nahrungsmitteln eindämmen, die zu großen Preisschwankungen der Rohprodukte führen. Den Kakao- oder Maisbauern kann dies innerhalb kürzester Zeit die Lebensgrundlage entziehen. Um Preiskrisen vorzubeugen, sollten wir eine europaweite Finanztransaktionssteuer auf spekulative Geschäfte einführen und zügig die EU-Regelung zu den „Positionslimits“ umsetzen, so dass einzelne Händler keine Marktmacht aufbauen können.
Viertens brauchen wir eine faire Agrar-Handelspolitik. Mauretanien hat den besten Fisch der Welt. Aber er kommt wegen hochkomplizierter EU-Anforderungen nicht auf unsere Teller. Für Tomaten und Oliven aus Tunesien ist der Zugang zur EU beschränkt. Wir müssen allen afrikanischen Staaten einen zoll- und quotenfreien Zugang für ihre Produkte zum EU-Binnenmarkt gewähren.
Wir brauchen fünftens eine Nahrungsmittelproduktion, die unsere natürlichen Ressourcen bewahrt, statt unsere Erde zu zerstören. In Brasilien und Argentinien werden Wälder für den Soja-Anbau abgeholzt. Drei Viertel davon wird an Tiere verfüttert, anstatt Menschen unmittelbar zu ernähren.
Um eine wachsende Weltbevölkerung mit geringerem Ressourcenverbrauch satt zu bekommen, können auch traditionelle Alternativen helfen. Auf der diesjährigen Grünen Woche waren schmackhaft zubereitete Insekten in der Halle des Entwicklungsministeriums beim Publikum sehr beliebt. Was hierzulande exotisch ist, steht in vielen Ländern als gesunde Proteinquelle auf dem Speiseplan. Eine Welt ohne Hunger ist machbar – wenn wir es wollen und eine Welternährung 2.0 zügig umsetzen.