19. Januar 2018 Schluss mit unserem Kolonialismus!

Ob Kaffee oder seltene Rohstoffe: Wir leben auf Kosten Afrikas. Dieser unhaltbare Zustand lässt sich nur durch eine Reformagenda mit dem rasant wachsenden Kontinent überwinden.

Gastkommentar von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller in der Wirtschaftswoche

Die Entwicklung Afrikas ist Europas Schicksal und Chance. Die aktuellen Bilder einer nach Arbeit rufenden, rebellierenden Jugend in Tunesien führen uns erneut vor Augen: Tragen wir nicht zur Lösung der Probleme bei, kommen die Menschen zu uns. Afrikas Bevölkerung wird sich bis 2050 auf weit über zwei Milliarden Menschen verdoppeln. Jedes Jahr kommen 20 Millionen Jugendliche neu auf den Arbeitsmarkt. Allein mit Entwicklungshilfe lassen sich diese Herausforderungen nicht bewältigen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in Politik und Wirtschaft. Die Zusammenarbeit Europas mit Afrika muss auf eine neue, partnerschaftliche Grundlage gestellt werden.

Die neokolonialistische Ausnutzung der Arbeitskraft und der Ressourcen dieses reichen Kontinents muss ein Ende haben. Was abstrakt klingt, hat konkrete Folgen. Denn wir nehmen es immer noch hin, dass unser Kaffee und Kakao von Kindern und Familien für einen Tagelohn von 50 Cent in Westafrika geerntet und dann zur Weiterverarbeitung nach Europa verschifft wird. Wir wollen nicht wissen, dass Coltan und seltene Mineralien in den Minen Kongos mit Kinderarbeit zu Sklavenlöhnen abgebaut werden. Kein Handy, kein Auto in Deutschland funktioniert ohne diese Rohstoffe. Diese Zustände müssen wir ändern – und zwar sofort und dauerhaft.

Wir brauchen eine neue Handelskultur mit Afrika. Dafür müssen wir Made in Africa stärken. Die Rohstoffe müssen mehr als bislang in Afrika selbst verarbeitet und die Wertschöpfung muss vor Ort erzielt werden. Mir geht es darum, dass mehr in Afrika produziert wird, und nicht, dass Europa möglichst zollfrei nach Afrika liefert. Deshalb müssen die Abkommen zu Wirtschaftspartnerschaften überprüft werden, insbesondere, was die zollfreien Importe aus Europa betrifft. Gerade im Agrarbereich brauchen Afrikas Märkte häufig noch Schutz vor der überlegenen Konkurrenz aus den Industriestaaten. Afrikas Wirtschaft braucht zudem Investitionen und wirksame Schutzklauseln zur Entwicklung. Notwendig ist die Unterstützung bei der Mobilisierung von Kapital, dem Ausbau von Steuerbehörden, dem Aufbau von Antikorruptionsbehörden und unabhängigen Rechnungshöfen, wie dies mit unserer Unterstützung beispielsweise in Ruanda gelungen ist.

Notwendig sind auch die Förderung von Investitionen insbesondere mittelständischer Betriebe in Afrika und neue Instrumente einer verbesserten Risikoabsicherung. Im Rahmen eines Entwicklungsinvestitionsgesetzes schlage ich steuerliche Anreize, die Ausweitung der Hermes-Deckungen sowie den Ausbau von Investitionsschutz und Doppelbesteuerungsabkommen vor. Darüber hinaus gilt es, durch neue Anlageprodukte, Investitionsprogramme der Weltbank und internationaler Entwicklungsbanken eine Investitionsoffensive in wichtigen Wachstumsbranchen wie Landwirtschaft und Energiesektor umzusetzen. Afrika ist der Chancenkontinent der Zukunft. Schon heute sind sechs der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften afrikanische Länder. Allerdings müssen soziale und ökologische Mindeststandards die Grundlage einer neuer Handelskultur mit Afrika werden. Es muss unser Anspruch sein, Mindeststandards im Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsbereich ab sofort und in allen EU-Handels und Investitionsabkommen zu verankern. Wir sollten mit der afrikanischen Wirtschaft einen nachhaltigen Weg für Wachstum und Jobs entwickeln, anders als dies China macht. Neben dem Ausbau einer Panafrikanischen Freihandelszone gilt es, die Marktintegration und Öffnung des EU-Binnenmarktes voranzutreiben. Dazu müssen tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut und die Handelshilfen ausgebaut werden.

Der afrikanische Kontinent muss gerade auf dem Gebiet der Landwirtschaft zum Selbstversorger werden und für seine Produkte einen freien Zugang zum EU-Binnenmarkt haben. Schon heute kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten – und fairen Kaffee, Kakao, Baumwolle oder Bananen kaufen. Nur so haben Afrikas Kinder und Jugendliche eine Chance auf ein Leben und eine Zukunft in Würde. Wichtig ist auch, dass wir gemeinsam mit Afrika unseren Marshallplan vorantreiben. Dieser steht für eine neue Partnerschaft, für Entwicklung und Frieden. Afrika braucht afrikanische Lösungen in der Ernährungssicherung, Bildung, Energie, Infrastruktur und Gesundheitsversorgung. All das sind große Aufgaben, aber sie sind lösbar. Wir nehmen die Afrikaner beim Wort und werden die Entwicklungszusammenarbeit besonders mit den Partnern intensivieren, die gute Regierungsführung, Rechtssicherheit, Bekämpfung der Korruption und Einhaltung der Menschenrechte garantieren. Klar ist aber auch, dass die afrikanischen Regierungen selbst mehr leisten müssen, also vor allem in Bildung, Infrastruktur, Klimaschutz, die Bewältigung von Armut und die Schaffung von Arbeitsplätzen investieren.

Europa muss diese Reformagenda stärker unterstützen. In der neuen Finanzperiode muss die EU Afrika zu einem Schwerpunkt machen, die Mittel möglichst verdoppeln, bessere Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen schaffen und die Handelsbeziehungen fairer gestalten. Wir als Industrienationen tragen die Verantwortung dafür.

Deutschland ist Heimat der sozialen Marktwirtschaft. Gemeinwohlorientierung, Verantwortung für den Erhalt der Schöpfung und Menschenrechte sind unsere unteilbaren Werte. Diese müssen wir auch zur Grundlage unseres Handels mit Afrika machen.