Textilindustrie Entwicklungsministerin Schulze: „Rana Plaza war ein schrecklicher Weckruf für mehr unternehmerische Verantwortung“

Pressemitteilung vom 22. April 2023 | Vor 10 Jahren, am 24. April 2013, ereignete sich in Bangladesch die bisher schlimmste Katastrophe in der Textilindustrie. Beim Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes starben mehr als 1.100 Menschen, die dort arbeiteten – der Großteil davon Frauen. Tausende weitere wurden verletzt. Die Schattenseiten der globalisierten Textilindustrie wurden international bekannt und führten zu einem Umdenken. In Bangladesch und anderen asiatischen Ländern wurden höhere Sozial- und Umweltstandards in der Textilindustrie durchgesetzt. In Deutschland gründete das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) das Bündnis für nachhaltige Textilien und führte das staatliche Textilsiegel „Grüner Knopf“ ein. Auch das am 1. Januar in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz und die aktuellen Verhandlungen über ein europäisches Lieferkettengesetz sind direkte Folgen der Katastrophe von Rana Plaza.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze: „Die Katastrophe von Rana Plaza war ein schrecklicher Weckruf für mehr Verantwortung der Unternehmen hier in Europa. Sie führte der ganzen Welt vor Augen, unter welchen Bedingungen Menschen in Bangladesch unsere Kleidung nähen. Dass wir heute in Deutschland ein Lieferkettengesetz haben, ist auch eine Konsequenz aus den Ereignissen von vor zehn Jahren. Es verpflichtet Unternehmen, entlang ihrer gesamten Lieferkette sicherzustellen, dass Menschenrechte eingehalten werden. Aber wir dürfen nicht nachlassen in unseren Bemühungen, gute Arbeit weltweit zum Standard zu machen. Besonders bei existenzsichernden Löhnen und Geschlechtergerechtigkeit gibt es noch viel zu tun. Der nächste Schritt muss nun eine starke europäische Lieferkettengesetzgebung werden. Mir ist dabei besonders wichtig, dass die Regeln denen helfen, für die sie gemacht werden: den Menschen am Anfang der Lieferkette, darunter viele Frauen und Kinder.“

Das BMZ setzt sich seit Langem für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in der Textillieferkette ein und machte dies nach dem verheerenden Einsturz des Rana-Plaza Gebäudes zur politischen Priorität:

  • Die Umsetzung des Abkommens für Feuerschutz und Gebäudesicherheit (Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh) wurde vom BMZ unterstützt – dem weltweit ersten rechtlich verbindlichen Abkommen zwischen 200 internationalen Markenunternehmen, internationalen Gewerkschaften und bangladeschischen Zulieferbetrieben. Es sieht vor, dass unabhängige Prüferinnen und Prüfer Zulieferbetriebe auf deren Kosten inspizieren. Mängel bei Gebäudesicherheit, Arbeits- und Feuerschutz werden veröffentlicht und müssen in einer festgesetzten Frist behoben werden. Seit Einführung des Abkommens 2013 wurden dadurch über 100.000 Mängel in mehr als 1.600 Fabriken behoben. Im Mai 2020 wurde das Abkommen in das Ready Made Garment Sustainable Council, also in ein dauerhaftes Gremium, überführt. Seit Januar 2023 gibt es das Abkommen auch in Pakistan. Das BMZ unterstützt die Ausweitung des Abkommens auf andere Länder.
  • Im Juni 2022 ist in Bangladesch außerdem eine Arbeitsunfallversicherung als Pilotprojekt in Kraft getreten, die das BMZ in Kooperation mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) fördert.
  • In Pakistan konnten durch Programme der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in über 150 Betrieben für mehr als 250.000 Beschäftigte zahlreiche Verbesserungen erreicht werden: von Arbeitsverträgen über gestiegene Einkommen bis zur Verringerung von Unfallrisiken am Arbeitsplatz sowie die Reduzierung von Überstunden.
  • Zur Umsetzung fairer Einkaufspraktiken und existenzsichernder Löhne unterstützt das BMZ unter anderem die Sustainable Terms of Trade Initiative (STTI). In dieser von Produzenten vorangetriebenen Initiative arbeiten 15 Verbände der Bekleidungsindustrie aus 11 Ländern gemeinsam daran, systemische Veränderungen anzustoßen, wie die Umsetzung von verantwortungsvollen Einkaufspraktiken, die einzelne Akteure allein niemals erreichen könnten.
  • In Deutschland hat das BMZ 2014 das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. In dieser Initiative arbeiten Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik gemeinsam daran, die sozialen und ökologischen Bedingungen in textilen Lieferketten zu verbessern. Um Verbraucherinnen und Verbrauchern Orientierung beim Einkauf zu geben, brachte das BMZ 2019 das staatliche Siegel Grüner Knopf auf den Markt. Der Grüne Knopf kennzeichnet nachhaltige Textilien von verantwortungsvollen Unternehmen.
  • 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz „Lieferkettengesetz“, in Deutschland in Kraft getreten. Es regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in den globalen Lieferketten. Das Gesetz gilt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000, ab 2024 auch für solche mit mindestens 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Inland. Zentral ist dabei, dass Unternehmen gemeinsam mit ihren Zulieferern auf die Einhaltung von Menschenrechten hinarbeiten, anstatt sich aus riskanten Märkten zurückzuziehen. Die Bundesregierung unterstützt die Unternehmen sowie ihre Partner vor Ort bei der Umsetzung der Anforderungen.
  • Bis Ende 2023 soll zudem eine EU-Richtlinie verabschiedet werden, die von den Mitgliedstaaten anschließend in nationale Lieferkettengesetze umgesetzt werden muss.

Aber auch 10 Jahre nach Rana Plaza bleiben Herausforderungen im Textilsektor bestehen. Krisen wie Covid-19, politische Unruhen und steigende Preise bei gleichbleibendem Konkurrenz- und Preisdruck erschweren weitreichende Veränderungen. Viele Arbeiterinnen erhalten immer noch zu geringe Löhne, leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen, leisten und erfahren geschlechterspezifische Diskriminierung. Auch der ökologische Fußabdruck der Textilindustrie ist noch immer sehr hoch. Das BMZ wird daher weiter gemeinsam mit Partnern in Produktionsländern sowie auf europäischer und internationaler Ebene daran arbeiten, die Sozial- und Umweltstandards in der globalen Textilindustrie zu verbessern und sicherzustellen, dass sie effektiv umgesetzt werden.

Am 25. April 2023 veranstaltet das BMZ in Berlin die Paneldiskussion „Towards decent work for all: Asia’s textile industry 10 years after Rana Plaza“. Teilnehmerinnen sind unter anderem die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Bärbel Kofler, die Gewerkschafterin Nazma Akter aus Bangladesch sowie Rubana Huq, die sich um die Sicherheitsprüfung von Fabriken kümmert. Außerdem ist der Direktor des ILO Better Work Programm, Conor Boyle, anwesend. Darüber hinaus stellen sich am Rande der Veranstaltung weitere Initiativen vor, die sich substantiell für positive Verbesserungen in der Textillieferkette einsetzen: