21. Mai 2024 Rede von Bundesministerin Svenja Schulze bei der Abschlusskonferenz der Denkfabrik für transnationale Skills Partnerships der Bertelsmann-Stiftung

Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich beginne mit dem Offensichtlichen: Wir brauchen Arbeitsmigration.

Das sagt die deutsche Wirtschaft. (Und zwar immer dringender, wie Sie, Herr Dittrich mit Ihrer Erfahrung für das Deutsche Handwerk gleich genauer darlegen werden.)

Und das höre ich auch immer wieder von Vertreterinnen und Vertreter unserer Partnerländer.

Als Entwicklungsministerin weiß ich: Migration bietet ein großes Potential. Sie fördert Beschäftigung, Innovation, nachhaltiges Wachstum und Wohlstand von Gesellschaften – wenn sie geordnet und sicher gestaltet wird.

Viele Länder in Afrika, Asien und Südamerika haben daher ein Interesse daran, dieses Potenzial zu nutzen. Und mit Deutschland gemeinsam über reguläre Fachkräftemigration in den Dialog zu treten.

Genauso wie wir in Deutschland ein Interesse daran haben. Hier fehlen in fast allen Branchen und Regionen Köpfe, die mitdenken. Hände, die mitanpacken, um den gemeinsamen Wohlstand zu erhalten. Um die Lücke auf dem Arbeitsmarkt zu schließen, müssten ab jetzt im Schnitt 400.000 zusätzliche Arbeits- und Fachkräfte pro Jahr nach Deutschland zuwandern. Das sind fast so viele Menschen wie derzeit in Duisburg leben – und damit ist der Bedarf noch konservativ geschätzt.

Die Aufgabe, der sich alle Beteiligten gegenübersehen, ist also klar. Sie besteht darin, Arbeits- und Fachkräftemigration so zu gestalten, dass ein dreifacher Gewinn entsteht. Das ist leichter gesagt als getan.

Erstens für die Menschen.

Für Migrantinnen und Migranten entsteht ein Gewinn, wenn sie einen guten Job unter fairen Bedingungen finden. Sie suchen Perspektiven und sichere Migrationswege.

Zweitens für Herkunftsländer.

Migration stärkt die berufliche Bildung im eigenen Land und ermöglicht Wissenstransfer, zum Beispiel durch die Rückkehr der Fachkräfte. Sie entlastet angespannte Arbeitsmärkte und sorgt außerdem für Rücküberweisungen in die eigene Volkswirtschaft.

Und drittens für Zielländer wie Deutschland.

Migration bringt dringend benötigte Fachkräfte und Auszubildende und hält so die Wirtschaft am Laufen. Insbesondere in klimarelevanten Berufen, die wir für die Energiewende brauchen, ist das wichtig – zum Beispiel in der Energietechnik, in der Architektur, in der Stadtentwicklung.

Die Vorteile von Arbeits- und Fachkräftemigration liegen auf der Hand.

Sie spielt eine wichtige Rolle für den Wohlstand. In einer alternden Gesellschaft wie Deutschland genauso wie in Gesellschaften, in denen nicht genug Stellen für alle Menschen im erwerbstätigen Alter zur Verfügung stehen. Die Bedarfe auf allen Seiten sind groß. Also was können wir in Deutschland tun, um sie – endlich – partnerschaftlich und effizient auszubauen?

In der Entwicklungspolitik haben wir gemeinsam mit Partnerländern und Akteuren aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft bereits eine Reihe von praxistauglichen Ansätzen auf den Weg gebracht.

Die Zentren für Migration und Entwicklung – die ZME – in unseren Partnerländern haben genau diesen dreifachen Gewinn im Blick:

Hier können sich Menschen zu Arbeitsmigration nach Deutschland oder in andere Länder in der Region informieren. Die Zentren vermitteln zudem Möglichkeiten zur Ausbildung und Qualifizierung, damit sie fit für den Arbeitsmarkt in einem anderen Land sind. So wird eine informierte Arbeitsmigration nach Deutschland und Europa oder auch innerhalb der Region gefördert.

Ein zweites Beispiel ist das THAMM-Programm, das von der EU mitfinanziert wird. Es verbessert die Rahmenbedingungen für Arbeitsmigration zwischen Nordafrika und Europa, von der alle profitieren. Indem es einerseits einen engen Austausch mit Ministerien und Arbeitsagenturen in Ägypten, Marokko und Tunesien fördert. Und auch, indem es Menschen fachlich weiterqualifiziert, Sprachkurse und interkulturelle Kompetenz fördert.

Davon hat zum Beispiel auch Mohamed Kadur profitiert. Er hat über THAMM Deutsch gelernt und seine Qualifikationen anerkennen lassen. Und die hat er reichlich: Er ist als Fachkraft im Bereich Klima- und Gewerbekälte ausgebildet und hat bereits zehn Jahre in seiner Heimat Marokko in diesem Bereich gearbeitet. Als ich ihn Anfang des Jahres in Rabat getroffen habe, wartete er darauf, von der Bundesagentur für Arbeit an einen deutschen Arbeitgeber vermittelt zu werden. Jetzt freut er sich darauf, dass es bald losgehen kann.

Ein dritter Ansatz des BMZ ist die sogenannte entwicklungsorientierte Ausbildungsmigration.

Hier arbeitet Deutschland derzeit mit Ecuador, Vietnam und Jordanien zusammen. In Jordanien beispielsweise steht der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der ZDH, in engem Austausch mit jordanischen Berufsschulen und anderen Ausbildungsanbietern. Gemeinsam entwickeln sie Curricula weiter, bauen technische Ausbildungskurse auf, und sprechen interessierte Menschen an. Sie können dann mit einem mehrmonatigen Sprachkurs sowie einem interkulturellen Training in Jordanien starten, bevor es mit einer handwerklichen Ausbildung in Deutschland weitergeht.

Grundlage dafür ist der Aufbau von Partnerschaften zwischen Handwerksorganisationen – weil das kann kein Einzelbetrieb leisten – und Berufsbildungsanbietern in Deutschland und in Jordanien.

Bei allen positiven Entwicklungen müssen wir trotzdem ehrlich sein: Beispiele wie das von Mohamed oder auch die Auszubildenden, die über die Kooperation mit dem ZDH im September in deutschen Handwerksbetrieben ihre Lehre machen werden, sind leider immer noch Einzelfälle.

Denn Fachkräfte aus Ländern außerhalb der EU zu gewinnen, ist kein Selbstläufer. Das kann nur funktionieren, wenn die Wirtschaft mitmacht. Unternehmen wissen, dass es ihre Aufgabe ist, Arbeits- und Fachkräfte anzuwerben. Entwicklungspolitik kann kein Recruiting machen.

Der Staat kann zwar die Rahmenbedingungen verbessern und mit Pilotprojekten praxistaugliche Grundlagen schaffen. Aber er wird den Betrieben in Deutschland keine Arbeits- und Fachkräfte vor die Unternehmenstür bringen können. Und das erwartet in den Unternehmen auch niemand.

Um unsere Pilotvorhaben auszubauen, bedarf es eines verstärkten Engagements der deutschen Wirtschaft. Dazu will ich eine engere Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Entwicklungspolitik anstoßen.

Das BMZ initiiert daher eine neue Allianz mit der Wirtschaft, um Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland im Sinne eines dreifachen Gewinns gemeinsam zu gestalten und auszubauen.

Zum Beispiel, indem sich Unternehmen, Handelskammern, Verbände und Gewerkschaften im Rahmen der neuen Allianz stärker finanziell an der Ausbildung für beide Arbeitsmärkte beteiligen – in Deutschland und den Herkunftsländern. So werden dem Herkunftsland nicht einfach die gut ausgebildeten Arbeitskräfte entzogen und ein Brain Drain befördert.

Und indem die Mitglieder der Allianz die Menschen besser auf ein Leben in Deutschland, zum Beispiel über Sprachkurse im Herkunftsland, vorbereiten, ist das Ganze dann auch deutlich erfolgreicher.

Die neue Fachkräfte-Allianz hat zum Ziel, die Wirtschaft mit all ihrer Innovationskraft mit den Netzwerken und Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit zusammenzubringen.

Mit der heutigen Ankündigung der Fachkräfte-Allianz lade ich Sie alle hier im Raum ganz herzlich dazu ein, die neue Allianz mit Leben zu füllen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Chancen der Fachkräftemigration für alle Beteiligten zu nutzen.

Anknüpfungspunkte gibt es viele – zum Beispiel zur Denkfabrik und den Überlegungen, eine „Nationale Allianz“ als Vernetzungsplattform für Regierungen, Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Zivilgesellschaft zu bieten.

Meine Damen und Herren,

ich habe mit dem Offensichtlichen begonnen: Wir brauchen Arbeitsmigration. Zielländer, Herkunftsländer sowie Migrantinnen und Migranten profitieren davon.

Ich schließe mit einer weiteren Offensichtlichkeit:

Wir brauchen Menschen, damit Arbeitsmigration funktionieren kann.

Menschen, die bereit sind, ihr Zuhause zu verlassen und in einem anderen Land zu leben, und sei es auch nur zeitweise.

Die nicht verzagen, auch wenn sie sich am neuen Ort vielleicht nicht immer willkommen fühlen – denn auch das ist Realität in Deutschland.

Wir brauchen Menschen, die eine neue Sprache lernen.

Die Geduld mitbringen, angesichts der ein oder anderen bürokratischen Hürde, die wir haben.

Die den Mut haben, neue Wege zu gehen.

Auf sie – die Menschen – kommt es bei gut gestalteter Arbeitsmigration an.

Lassen Sie uns gemeinsam die besten Voraussetzungen für sie schaffen!

Vielen Dank.